War­um ich das Hand­tuch wer­fe – Bekennt­nis­se eines resi­gnier­ten Gabbais

 

Ach­tung: die in fol­gen­dem Bei­trag nie­der­ge­leg­ten Gedan­ken habe ich nach ziem­lich genau vier Jah­ren des Nach­den­kens einer kri­ti­schen Neu­be­wer­tung unter­zo­gen, die hier zu lesen ist. Ich habe den Bei­trag natür­lich trotz­dem in sei­ner ursprüng­li­chen Form ste­hen­ge­las­sen. Er ist in gewis­ser Wei­se ein Doku­ment mei­ner Lebens­ge­schich­te und es wäre vor allem unauf­rich­tig, jetzt plötz­lich so zu tun, als hät­te ich ihn nie geschrieben.

Hal­lo Ihr Lieben,

ab heu­te ist es amt­lich: ich habe mei­ne Tätig­keit als Gab­bai (also als Mit­glied des Syn­ago­gen­vor­stands) in der Frank­fur­ter West­end­syn­ago­ge nach gut elf Jah­ren mit sofor­ti­ger Wir­kung beendet.

Auch wenn die Ent­wick­lun­gen, die mich zu die­sem Schritt gebracht haben, ver­mu­ten las­sen, dass es nicht all­zu vie­le Men­schen geben dürf­te, die jenem Ent­schluss über­haupt irgend­ei­ne Bedeu­tung bei­mes­sen, so mag es den­noch eini­ge unter Euch geben, die sich schon auf­grund ihrer per­sön­li­chen Nähe zu mir für mei­ne Motiv­la­ge inter­es­sie­ren könn­ten, so dass ich für alle Fäl­le mit die­sem klei­nen Bei­trag dar­le­gen möch­te, wel­che Beweg­grün­de hin­ter mei­ner Ent­schei­dung stecken.

Um Miss­ver­ständ­nis­sen vor­zu­beu­gen und es gleich vor­weg ein für alle­mal klar­zu­stel­len: mein Ent­schluss hat nichts, ja wirk­lich abso­lut gar nichts mit dem Weg­gang unse­res geehr­ten Rab­bi­ner Men­achem Hale­vi Klein und noch viel weni­ger als nichts mit dem Amts­an­tritt unse­res geehr­ten Rab­bi­ner Juli­an-Cha­im Sous­san oder unse­res neu­en Kan­tors Yoni Rose zu tun. Ganz im Gegen­teil: hät­te Rav Sous­san nicht durch den Weg­gang von Rav Klein in die West­end­syn­ago­ge gewech­selt, hät­te ich mei­nen Rück­zug aus dem Syn­ago­gen­vor­stand schon Ende letz­ten Jah­res ange­tre­ten. Dass ich damit bis heu­te gewar­tet habe, ist also gera­de der Über­le­gung geschul­det, auf kei­nen Fall den Ein­druck erwe­cken zu wol­len, mein Ent­schluss hät­te etwas mit der neu­en Rol­len­defi­ni­ti­on von Rav Sous­san zu tun.

Rav Sous­san ist für mich eben­so wie Yoni Rose viel­mehr ein leuch­ten­der Hoff­nungs­trä­ger für einen längst über­fäl­li­gen Moder­ni­sie­rungs­schub in Kul­tus und Reli­gi­ons­päd­ago­gik unse­rer Gemein­de und als ich Rav Sous­san vor eini­gen Wochen über mei­ne Rück­zugs­ab­sich­ten aus dem Syn­ago­gen­vor­stand in Kennt­nis gesetzt habe, habe ich ihm gegen­über unmiss­ver­ständ­lich deut­lich gemacht, dass ich auch wei­ter sehr ger­ne für jede Form der Unter­stüt­zung sei­ner Arbeit zur Ver­fü­gung ste­he, bei der ich mei­ne Ener­gien kon­struk­tiv und frucht­bar zur Ent­fal­tung brin­gen kann.

Und genau damit sind wir eigent­lich auch schon beim Kern mei­ner Moti­va­ti­on für die Been­di­gung mei­ner Tätig­keit im Syn­ago­gen­vor­stand: mir ist in den letz­ten zwei Jah­ren nach lan­gem inne­ren Hadern end­lich klar gewor­den, dass ich mich im Rah­men die­ses Amts in einer Wei­se enga­gie­re, die an der Bedürf­nis­la­ge der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit unter den G*ttesdienstteilnehmern kom­plett vorbeigeht.

Wäh­rend näm­lich mei­ne Vor­stel­lung eines wür­di­gen G*ttesdienstablaufs so etwas wie gemein­schaft­lich geteil­te Gesän­ge, Andacht und Besinn­lich­keit beinhal­tet, sucht der über­wie­gen­de Teil der all­wö­chent­li­chen G*ttesdienstteilnehmer vor allem so etwas wie sozia­le Begeg­nun­gen, Gesel­lig­keit und Gra­tis­ver­kös­ti­gung mit einem biss­chen „Jid­disch­keit” als unauf­dring­li­cher Hin­ter­grund­mu­sik. Das gilt frei­lich umso mehr für das Publi­kum, das sich zu den Hohen Fei­er­ta­gen oder an Sim­chat-Torah bzw. Purim einfindet.

Man kann es meta­pho­risch viel­leicht am bes­ten so aus­drü­cken: wäh­rend ich fort­wäh­rend bemüht bin, Raum für ein Kon­zert zu schaf­fen, bei wel­chem mög­lichst vie­le Teil­neh­mer aktiv mit­wir­ken und der Rest zumin­dest in respekt­vol­ler Stil­le ver­harrt und der Musik als zen­tra­les Gesche­hen der Ver­an­stal­tung auf­merk­sam lauscht, betrach­ten sich die meis­ten Teil­neh­mer unse­rer G*ttesdienste eher als so etwas wie die Gäs­te in einer Pia­no-Bar, in der man aus­gie­big quatscht, isst und trinkt und die Musik der Stim­mung hal­ber aus dem Hin­ter­grund auf sich wir­ken lässt. Mei­ne Ver­su­che, die G*ttesdienst-Teilnehmer zur Mit­wir­kung, zumin­dest aber zu andäch­ti­ger Stil­le zu ermah­nen, neh­men sich aus deren Sicht also in etwa so aus, als wür­de der Betrei­ber der Pia­no-Bar oder gar der Pia­nist selbst sei­ne Gäs­te fort­wäh­rend zum akti­ven Musi­zie­ren, zumin­dest aber zu auf­merk­sa­mem und stil­lem Zuhö­ren auf­for­dern. Dar­auf wür­de ich als Gast in einer Pia­no-Bar wohl auch mit eben jenem Unver­ständ­nis (Mot­to: „neb­bich –  er kapiert’s ein­fach nicht”) oder bis­wei­len auch Unmut (Mot­to: „von dem Schmock las­se ich mir garan­tiert nicht den Mund ver­bie­ten”) reagie­ren, die mir in der Syn­ago­ge übli­cher­wei­se denn auch in sol­chen Momen­ten entgegenschwingen.

Immer und immer wie­der haben wir uns in den letz­ten zehn Jah­ren im Syn­ago­gen­vor­stand gemein­sam mit den ver­schie­de­nen Gemein­de­rab­bi­nern, der Gemein­de­di­rek­ti­on oder auch diver­sen Vor­stands- und Gemein­de­rats­mit­glie­dern den Kopf dar­über zer­bro­chen, was man wohl alles noch tun kön­ne, um ins­be­son­de­re zu den hohen Fei­er­ta­gen für mehr Ruhe und Wür­de in der Syn­ago­ge zu sor­gen. Dabei haben wir so gut wie kei­ne Über­le­gung aus­ge­las­sen – sei es die viel­zi­tier­te Instal­la­ti­on kosche­rer Mikro­fo­ne, bezahl­te Saal­ord­ner, wel­che die Beten­den zur Ruhe ermah­nen soll­ten, der Ein­bau von Glas­tü­ren zwi­schen Haupt- und Vor­raum oder auch ein Bis­t­rot im Kid­du­sch­raum, das die quat­schen­de Men­ge aus dem Bet­raum locken sollte.

Nur die eine ent­schei­den­de Fra­ge haben wir uns nicht gestellt: war­um wol­len wir die Gemein­de eigent­lich mit tech­ni­schen, logis­ti­schen oder orga­ni­sa­to­ri­schen Maß­nah­men zu einem Ver­hal­ten zwin­gen, an dem sie in ihrer über­wie­gen­den Mehr­heit über­haupt nicht inter­es­siert ist? Denn wäre sie es, dann müss­te man ja regel­mä­ßig beob­ach­ten kön­nen, wie sich eine an Stil­le und Wür­de inter­es­sier­te Mehr­heit unter den Gebets­teil­neh­mern wäh­rend des G*ttesdienstes gegen die lär­men­de Min­der­heit in Form hör­ba­rer Ermah­nun­gen zu Ruhe und Andacht durch­zu­set­zen ver­sucht. Nichts der­glei­chen wäre mir in den letz­ten zehn Jah­ren indes­sen auf­ge­fal­len (naja, bis­wei­len beob­ach­te ich schon mal den echauf­fier­ten Ver­such von Sei­ten eines der reni­ten­tes­ten Dau­er­stö­rer, die ver­sam­mel­ten Syn­ago­gen­be­su­cher zur Ruhe zu ermah­nen, weil der Kan­tor gera­de eines sei­ner Lieb­lings­stü­cke dar­bie­tet. Das wäre also in etwa so, als wür­de sich ein beson­ders gesel­li­ger und laut­star­ker Gast in einer Pia­no-Bar plötz­lich von sei­nem Platz erhe­ben und die ande­ren Gäs­te empört um Ruhe bit­ten, wo der Pia­nist doch gera­de sein Lieb­lings­stück zum Bes­ten gibt. Ich neh­me an, Ihr wer­det mir nach­se­hen, wenn ich das als Gro­tes­ke zu den Akten lege und in mei­ner oben ange­stell­ten empi­ri­schen Betrach­tung nicht wei­ter berücksichtige).

Kurz: wer an einer Kon­zert­ver­an­stal­tung inter­es­siert ist, soll­te nicht ein eine Pia­no-Bar gehen (oder gar eine betrei­ben) und die Gäs­te dort zu Ruhe und Auf­merk­sam­keit zwin­gen wol­len. Sie neh­men näm­lich zurecht für sich in Anspruch, in eine Pia­no-Bar zu gehen, um sich bei unauf­dring­li­cher Hin­ter­grund­mu­sik mit­ein­an­der unter­hal­ten zu kön­nen, zu trin­ken und ggf. zu essen. Und weil das so ist, habe ich für mich beschlos­sen, mich ab sofort nach Mög­lich­kei­ten umzu­se­hen, wie­der ech­te Kon­zert­ver­an­stal­tun­gen zu besu­chen bzw. in Orches­tern mit­zu­wir­ken, anstatt mich län­ger an dem absur­den Vor­ha­ben auf­zu­rei­ben, eine Pia­no-Bar für Kon­zert­ver­an­stal­tun­gen miss­brau­chen zu wol­len und auf die Gäs­te zu schimp­fen, die sich das zurecht ver­bit­ten. Soll­te mir wider erwar­ten dann doch mal der Sinn nach einer Pia­no-Bar ste­hen, weiß ich natür­lich, wo ich hin­zu­ge­hen habe…

Alles Lie­be

Dani­el

24 Kommentare

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  • Sehr bedau­er­lich (aus Gemeindesicht).
    Sehr nach­voll­zieh­bar (aus Dei­ner Sicht).
    Ich kann mich nur wun­dern und Dei­ne Lang­mut bewun­dern, dass Du das solan­ge aus­ge­hal­ten hast.
    Es war vor 10 Jah­ren wäh­rend ארשת שפתינו יערב לפניך, dass mir klar wur­de, dass wür­di­ge תפילה im West­end kei­ne Zukunft hat.

    Soll­te Dir zur Abwechs­lung der Sinn nach einer Gemein­de ste­hen, wo כבוד בית הכנסת noch ernst­ge­nom­men wird: Du weisst ja, wo Du mich findest…

    • Dan­ke für Dei­ne eben­so auf­mun­tern­den wie ver­ständ­nis­vol­len Wor­te. Ich kann mich an Dei­nen sei­ner­zei­ti­gen Ent­schluss noch gut erin­nern. Damals habe ich in mei­nem jugendlich/naiven Leicht­sinn ver­sucht, Dich im Inter­es­se der Gemein­schaft umzu­stim­men. Heu­te wür­de ich das zwei­fel­los nicht mehr tun…

    • Lie­ber Daniel,
      Ich habe dei­nen Bei­trag zu dei­nem Weg­gang sehr auf­merk­sam durch­ge­le­sen und füh­le mich nicht nur belei­digt son­dern als Gemein­de­mit­glied und häu­fi­ger Gast der West­end­Syn­ago­ge ange­grif­fen. Geit HaK­ne­s­set heißt über­setzt, Haus der Ver­samm­lung. Wie ich es gelernt habe wird in einer Ver­samm­lung auch mit­ein­an­der gespro­chen. Da wir in einer äußerst mul­ti­kul­tu­rel­len Stadt leben, ist der Syn­ago­gen­be­such auch eine sel­te­ne Mög­lich­keit Gemein­de­mit­glie­der zu sehen, die man nicht so oft sieht und sich vor allem GEMEINSAM jid­disch zu füh­len. Dein Ver­gleich der Frank­fur­ter Syn­ago­ge mit einer Pia­no­bar, ist in mei­nen und sicher auch in den Augen vie­ler ande­rer respekt­los. Ich mei­ne unse­re wun­der­schö­ne Syn­ago­ge soll einer Pia­no­bar ähneln? Wie vie­le Leu­te wür­den dir da zustim­men? Ich bin mir sicher weni­ge. Allein dei­ne Denk­wei­se und dei­ne Argu­men­ta­ti­on zeigt, dass du dich nicht als Mit­glied der Syn­ago­ge gese­hen hast son­dern eher mit erho­be­nen Zei­ge­fin­ger drü­ber stan­dest. Kann ich rich­ti­ger­wei­se anneh­men, dass du dich für die Syn­ago­ge und die Mit­glie­der schämst? Ich erwar­te nicht ein­mal eine Ant­wort auf mei­nen Kom­men­tar. Mir ist wich­tig, dass Gemein­de­mit­glie­dern die ähn­lich den­ken, was sicher die meis­ten sein wer­den, eine Stim­me gege­ben wird, auch hier in dei­nem Blog. Dein Rück­tritt ist den­noch bedau­er­lich, jedoch hät­te die­ser auch ohne eine solch nega­ti­ve Kri­tik an der Syn­ago­ge, der du nach eige­nen Anga­ben 11 Jah­re lang vor­ge­stan­den bist, statt­fin­den kön­nen. Ich den­ke falls du mal Lust hast eine ech­te Pia­no­bar zu besu­chen, soll­test du das tun, falls du aber Lust hast auf einen G’t­tes­dienst, an dem zwar nicht jeder teil­nimmt, aber bei dem jedoch eine wun­der­ba­re Atmo­sphä­re herrscht und Men­schen der sel­ben Reli­gi­on mit­ein­an­der reden und sich aus­tau­schen, so wie das seit Jahr­tau­sen­den üblich ist, dann bist du in der West­end Syn­ago­ge richtig. 

      Lie­ben Gruß und wei­ter­hin viel Erfolg

      A Frank­fur­ter Yid

    • Vie­len Dank für Dei­ne offe­nen Worte. 

      Ganz sicher war es nicht mei­ne Absicht, mit mei­nem Blog-Bei­trag irgend­wen zu belei­di­gen und ich habe auch nach mehr­fa­chem selbst­kri­ti­schen Durch­le­sen kei­nen Anhalts­punkt dafür gefun­den, dass er so rüber­kom­men könn­te. Sicher: ich habe mich alle­go­ri­scher Stil­mit­tel bedient, um mei­nen Stand­punkt bes­ser zum Aus­druck gelan­gen zu las­sen. Aber kei­nes­falls habe ich sagen wol­len, dass ich die West­end­syn­ago­ge per se als Pia­no-Bar emp­fin­de (was man mir dann in der Tat als abschät­zig hät­te ankrei­den können). 

      Ich habe viel­mehr deut­lich machen wol­len, dass sie sich im Ver­hält­nis zu dem, was ich mir unter einem wür­di­gen und andäch­ti­gen G*ttesdienstablauf vor­stel­le, in etwa so ver­hält wie eine Pia­no-Bar zu einem Kon­zert­saal – und zwar für jene Musik­lieb­ha­ber, die eben vor allem der Musik wegen in Kon­zer­te gehen oder gar selbst zu Orches­ter­mu­si­kern wer­den. Dass man Musik auch in einer Pia­no-Bar genie­ßen kann und es vie­le Leu­te geben mag, die es dort sogar lie­ber tun als in einem Kon­zert­saal, ist unbe­strit­ten. War­um soll­te es sonst auch Pia­no-Bars geben?

      Für jeman­den, der den betref­fen­den Ver­an­stal­tungs­ort indes­sen pri­mär wegen des Musik­ge­nus­ses besucht, ist eine Pia­no-Bar schlicht­weg nicht der opti­ma­le Ort. Eben­so ist nach mei­ner mitt­ler­wei­le gereif­ten Über­zeu­gung die West­end­syn­ago­ge nicht der rich­ti­ge Ort für jeman­den, der sich in andäch­ti­ger Stil­le ins Gebet ver­tie­fen möch­te und die tief­grei­fen­de, unge­trüb­te Wir­kung des jüdi­schen Gebets­ab­lauf mit der geball­ten Kraft sei­ner Lyrik und der zuge­hö­ri­gen Vor­trags­kunst erfah­ren möch­te. Ich mei­ne, auch Dei­nen Bemer­kun­gen ent­neh­men zu kön­nen, dass Du es genau­so siehst.

      Natür­lich ist eine Syn­ago­ge kei­ne Kir­che, in der schon der Ver­such, sei­nem Nach­barn etwas zuzu­flüs­tern, als unge­hö­rig emp­fun­den wird. Das fin­de ich per­sön­lich auch sehr gut so, denn die Syn­ago­ge ist – wie Du im Grund­satz völ­lig zurecht bemerkst – selbst­ver­ständ­lich auch ein Ort der Ver­samm­lung, zumal sie tra­di­tio­nell ja auch als Lehr­haus genutzt wur­de und wird (wes­we­gen sie ja auch als „Shul” oder „Shil” bezeich­net wird und wes­we­gen der Deut­sche Volks­mund das Sprich­wort her­vor­ge­bracht hat: „hier geht es ja zu, wie in der Juden­schu­le”). Eine „Ver­samm­lung” ist aber nach mei­nem Ver­ständ­nis kei­nes­wegs mit einer pri­mär auf Gesel­lig­keit aus­ge­rich­te­ten Zusam­men­kunft zu ver­wech­seln. Es geht nach mei­nem Dafür­hal­ten viel­mehr dar­um, die inni­ge Erfah­rung der jüdi­schen Lit­ur­gie als Gemein­schaft zu tei­len und zu erle­ben bzw. durch die Gemein­sam­keit über­haupt erst zu dem wer­den zu las­sen was sie ist: ein Stück geleb­tes Juden­tum. Und ja: auch aus­ge­präg­te Gesel­lig­keit gehört untrenn­bar zum G*ttesdienst nach jüdi­scher Bau­art dazu – aber bit­te erst im beim Kid­dusch im Anschluss an das Gebet. 

      Davon, dass es auch anders geht, durf­te ich mich als weit­ge­reis­ter Syn­ago­gen­be­su­cher viel­fach über­zeu­gen. Inso­fern lebe ich also in der Gewiss­heit, dass mei­ne per­sön­li­chen Vor­stel­lun­gen davon, was einen wür­di­gen G*ttesdienst aus­macht, kei­nes­wegs idea­lis­tisch sind son­dern in vie­len Syn­ago­gen die­ser Welt all­täg­lich prak­ti­ziert werden. 

      Was die Fra­ge nach der Rezep­ti­on mei­nes Bei­trags durch die Gemein­de­mit­glie­der angeht, kann ich Dei­ne Ver­mu­tun­gen – zumin­dest aus empi­ri­scher Sicht – nicht bestä­ti­gen. Bis­her habe ich außer Dei­nem Kom­men­tar aus­nahms­los gro­ßes Ver­ständ­nis und ansons­ten – zu mei­nem eige­nen Erstau­nen – aus­drück­li­ches Bedau­ern für mei­ne Ent­schei­dung zurück­ge­mel­det bekom­men. Mir scheint daher, dass vie­len Gemein­de­mit­glie­dern die schwie­ri­ge Situa­ti­on in der West­end­syn­ago­ge durch­aus bewusst ist und mei­ne kri­ti­schen Gedan­ken inso­weit auf weit­hin frucht­ba­ren Boden gefal­len sind. 

      Dei­ne Kri­tik an mei­nem Bei­trag also in allen Ehren: nach gegen­wär­ti­gem Sach­stand stellt sie sich als – natür­lich hoch­ge­schätz­te – Ein­zel­mei­nung dar, die ich mir des­halb aber selbst­ver­ständ­lich nicht weni­ger zu Her­zen neh­me. Letzt­lich dürf­te aber mein Rück­zug aus dem Syn­ago­gen­vor­stand dann ja voll in Dei­nem Sin­ne sein: jemand, der – wie Du schreibst – sich nicht als Syn­ago­gen­mit­glied emp­fin­det und statt­des­sen aus über­ho­be­ner Posi­ti­on auf das „ein­fa­che Volk” her­ab­schaut, hat in so einer Posi­ti­on in der Tat nichts zu suchen. Nach eige­nem Emp­fin­den habe ich mich zwar all die Jah­re immer unter Zurück­nah­me mei­ner eige­nen Bedürf­nis­se für das Wohl der Gemein­schaft ein­zu­set­zen ver­sucht, aber wenn das wirk­lich so nicht rüber­ge­kom­men sein soll­te, dann habe ich mit mei­nem Rück­zug auf jeden Fall die rich­ti­ge Ent­schei­dung getroffen.

      Du fragst, ob ich mich für die Syn­ago­ge und ihre Mit­glie­der schä­me? Ein­deu­tig: nein! Erwach­se­ne Men­schen müs­sen sich per defi­ni­tio­nem für ihr eige­nes Ver­hal­ten selbst ver­ant­wor­ten. Und gera­de weil ich end­lich aner­kannt habe, dass es nicht an mir sein kann, erwach­se­ne Men­schen umzu­er­zie­hen, habe ich ja beschlos­sen, mich nicht län­ger an die­sem eben­so anma­ßen­den wie aus­sichts­lo­sen Ver­such aufzureiben. 

      Das Recht, kri­ti­sche Betrach­tun­gen anzu­stel­len um den­je­ni­gen, die es inter­es­siert, zu ver­mit­teln, aus wel­chen Grün­den ich mei­ne Ent­schei­dung getrof­fen habe, soll­test Du mir den­noch zuge­ste­hen. Ich fin­de, dass soll­te unter mün­di­gen Men­schen kein Dis­kus­si­ons­ge­gen­stand sein.

      Noch­mals dan­ke für Dei­ne Rück­mel­dung & alles Liebe

      Dani­el

    • „[B]eit HaK­ne­s­set heißt über­setzt, Haus der Versammlung.
      Wie ich es gelernt habe wird in einer Ver­samm­lung auch mit­ein­an­der gesprochen.”

      Ich bewun­de­re die auf­rich­ti­ge Unver­fro­ren­heit, mit der hier der Zweck eines Syn­ago­gen­be­suchs umge­deu­tet wird. Unse­re Quel­len sind äußerst klar, wie die Kon­ver­sa­ti­on wäh­rend des G‑ttesdientes (oder gar in einer Syn­ago­ge aus­ser­halb des G‑ttesdienstes) zu bewer­ten ist.
      לא ישיח שיחת חולין בשעה ששליח ציבור חוזר התפלה ואם שח הוא חוטא וגדול עונו מנשוא וגוערים בו.
      (von hier)
      Frei: Wer wäh­rend der Wie­der­ho­lung der Ami­dah schwätzt, lädt sich eine grö­ße­re Sün­de auf als er tra­gen kann, und wer es trotz­dem tut, ist zu ermahnen.)
      Sie­he auch mei­nen Hin­weis unten (12. Okto­ber 2015 um 20:16)

      בתי כנסיות ובתי מדרשות אין נוהגין בהם קלות ראש כגון שחוק והתול ושיחה בטילה
      (von hier 
      Frei: In Syn­ago­gen und Lern­häu­sern (=„Schul”, „Schtie­bel”) beneh­men wir uns nicht fri­vol, z. B. Hei­ter­keit oder Geschwätz.

      „so wie das seit Jahr­tau­sen­den üblich ist”

      Ist das aus jüdi­scher Sicht ein schlüs­si­ges Argument?
      Wir erin­nern uns: Hät­te unser Vor­va­ter Abra­ham dem Göt­zen­dienst gefrönt, wie das zu sei­ner Zeit seit lan­gem „üblich” war, hät­te es das Juden­tum nie gege­ben. Geht es im Juden­tum nicht genau dar­um, sich auf­rich­tig zu bemü­hen, das Rich­ti­ge zu tun anstel­le des Üblichen?

    • Lie­ber „Frank­fur­ter Yid”,

      da Du offen­bar das Bedürf­nis ver­spürst, Dich „jid­disch zu fühlen”:
      1. Ich bin nicht sicher, ob aus jüdi­scher Sicht (aus­ser viel­leicht im kar­dio­lo­gi­schen Juden­tum – „ich habe ein jüdi­sches Herz”) sich jüdisch füh­len einen Wert an sich darstellt.
      2. Gemäß Saa­dia Gaon sind wir ein Volk nur durch Torah. ( Emu­noth veDe­oth , 3:7)
      3. Ergo: Ich schla­ge vor, Du beginnst, beispielswesie
      – Scha­bat zu hal­ten (31. Okto­ber 13:34 wäre nur legi­tim wenn Du in Ost­asi­en warst…);
      – Tefil­lin zu legen;
      – Torah zu lernen;
      – Dich bei Dei­nen Syn­ago­gen­be­su­chen auf die ver­ti­ka­le anstatt auf die hori­zon­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on zu fokussieren;
      und ich garan­tie­re Dir: Du wirst Dich viel, viel jüdi­scher füh­len als wenn Du mit Dei­nem Sitz­nach­barn in der Syn­ago­ge schwätzt und dabei die­je­ni­gen störst, die aus legi­ti­me­ren Grün­den gekom­men sind. Pro­bie­re es aus!

  • Lie­ber Daniel,

    dan­ke, dass Du uns in Kennt­nis über den für Dich sicher nicht leich­ten Schritt gesetzt hast. Ich ahne, wie lan­ge, ernst­haft durch­aus ambi­va­lent und schmerz­haft die­ser Pro­zess für Dich war. Es tut mir daher ein­fach leid. Einer­seits für Dich, ande­rer­seits für uns, als Gemein­de und letzt­end­lich als Zeug­nis für einen Teil unse­res Gemein­de­le­bens (das ich sonst sehr lie­be), das in die­sem Fal­le lei­der nicht die schöns­te Sei­te des­sel­bi­gen zeigt. 

    Trotz­dem eine klei­ne Anmer­kung zu unse­rem G’t­tes­dienst. Ich war die­ses Jahr nur zu Jom Kipur in unse­rer Syn­ago­ge – und ich fand es wun­der­bar. Wahr­schein­lich immer noch nicht ruhig genug, aber ein­fach wunderbar. 

    Dan­ke Dir auf jeden Fall für Dein lang­jäh­ri­ges Enga­ge­ment. Und ich wer­de Dei­ne Bli­cke und Ermah­nun­gen auf der Habi­ma missen. 

    Lie­ben Gruß
    Cathy

    • Ja, ich gebe zu: leicht habe ich mir die­se Ent­schei­dung nicht gemacht. Aber ich bin ziem­lich sicher, dass der weit­aus über­wie­gen­de Teil der G*ttesdienstbesucher zu den Hohen Fei­er­ta­gen beim nächs­ten Mal nicht ein­mal bemer­ken wird, dass ich mich zurück­ge­zo­gen habe. Jeden­falls wird es auf den Ablauf und die Stim­mung kei­ne mess­ba­re Aus­wir­kung haben. Inso­fern ist mein schlech­tes Gewis­sen ent­spre­chend eng begrenzt.

      Auf jeden Fall vie­len Dank für Dei­ne ein­fühl­sa­men Wor­te. So etwas liest man immer gerne…

  • Wow! Das ist ja ein ganz schoe­ner Schock, da ich doch vor vie­len Jah­ren nicht zuletzt Dei­net­we­gen zum Syn­ago­gen­gang moti­viert wor­den bin. 

    Dei­ne Frus­tra­ti­on ueber das Ver­hal­ten der „Mit­pa­lelim”, bzw. „Mit­da­b­rim” ist uns natuer­lich schon lan­ge bewusst gewe­sen. Trotz­dem geht mit Dir natuer­lich ein wei­te­res Stueck des gewohn­ten West­end-Syn­ago­gen Lebens verloren. 

    Man muss sich in der Tat fra­gen, was die Ziel­set­zung und Auf­ga­be der zen­tra­len Syn­ago­ge in einer Stadt wie Frank­furt ist und sein soll. Ist sie in ers­ter Linie eine „Bet Knes­set”, ein gemein­schaft­li­cher Ver­samm­lungs­ort, oder ein „Bet Tfi­la”, ein Haus des Gebe­tes und der Andacht? 

    Jeden­falls tut es mir sehr leid, dass Du Dich nun nicht mehr in die­sem Haus so ver­stan­den fuehlst, wie Du es Dir gewuenscht haettest.

    Wie ich aus Dei­nem Arti­kel erken­ne, hast Du bereits Vor­stel­lun­gen, was eine Alter­na­ti­ve angeht. Als „Aus­sen­sei­ter” wuer­de es mich natuer­lich inter­es­sie­ren, wel­che Moeg­lich­kei­ten es z.Z. in Frank­furt ueber­haupt gibt.

    Wie auch immer, es gebuehrt Dir in jedem Fal­le ein gros­ses Shkoiech fuer Dei­nen jah­re­lan­gen Ein­satz und ich hof­fe, Du fin­dest einen Weg, Dei­nen Beduerf­niss nach einer wuer­di­gen Tfi­la ent­spre­chend nach­zu­kom­men. Behatzlcha!

    • Vie­len Dank für Dei­ne auf­mun­tern­den Wor­te. Die Fra­ge, was Ziel­set­zung und Auf­ga­be der zen­tra­len Syn­ago­ge in Frank­furt ist, wird der­zeit „mit den Füßen” beant­wor­tet: rein empi­risch betrach­tet ist es – soviel kann ich nach elf Jah­ren mit Sicher­heit sagen – mehr­heit­lich genau das, was ich in mei­nem Bei­trag dar­ge­legt habe: Gesel­lig­keit und Ver­kös­ti­gung mit ein wenig Jüdi­scher Iden­ti­tät als unauf­dring­li­che Hin­ter­grund­stim­mung. Ob das im Sin­ne des iden­ti­täts­mä­ßi­gen Fort­be­stands unse­rer Gemein­de zukunfts­fä­hig ist, steht auf einem ande­ren Blatt. Ich fürch­te nur, man kann es nur sehr bedingt von Sei­ten der Gemein­de­ver­wal­tung beein­flus­sen – jeden­falls nicht kurz- und ver­mut­lich auch nicht mit­tel­fris­tig. Ich habe dazu mal auf der Som­mer­aka­de­mie des Zen­tral­rats letz­tes Jahr einen Vor­trag für Stu­den­ten gehal­ten, der hier auf mei­nem Blog ver­öf­fent­licht ist: Das Frank­fur­ter Modell. Viel­leicht fin­dest Du das ja interessant…

      Dan­ke noch­mals für die lie­ben Worte…

  • „über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit unter den G*ttesdienstteilnehmern”:
    Ist das mög­li­cher­wei­se der Kern des Miß­ver­ständ­nis­ses zwi­schen גבאים und den Anwe­sen­den in der „Pia­no-Bar” (mit Orgel­pfei­fen, und extre­mem Hall­ef­fekt dank Mar­mor und Kup­pel)? Kommt die­se Mehr­heit tat­säch­lich mit der Absicht, an einem sol­chen teilzunehmen?

    „Gra­tis­ver­kös­ti­gung”: Die­ser Fak­tor läßt sich leicht begren­zen, jeden­falls am שבת. Zuge­ge­be­ner­mas­sen ist das irrele­vant für die ימים נוראים.

    In mei­ner Erin­ne­rung gin­gen auch nicht alle anwe­sen­den Mit­glie­der von Gemein­de­vor­stand und Gemein­de­rat stets ver­ant­wor­tungs­voll mit Ihrer Vor­bild­rol­le im Bezug auf כבוד בית הכנסת um…

    @Manu: Schön, Dich hier zu sehen, zumin­dest virtuell.

    • Also ich glau­be, die Mehr­heit nimmt an dem Teil, was sie sich unter dem Begriff G*ttesdienst vor­stellt, so wie der Gast in der Pia­no-Bar dort­hin geht, um sei­ne Vor­stel­lung von Musik­ge­nuss zu leben. 

      Mit der Gra­tis­ver­kos­tung haben wir auch schon mal expe­ri­men­tiert und für eini­ge Zeit regel­mä­ßig nur noch einen klei­nen Kid­dusch ange­bo­ten (Vod­ka, Hering, Cra­cker und Soft­drinks). Damit woll­ten wir die Wohl­ha­ben­den unse­rer Beter­ge­mein­schaft ver­stärkt dazu ani­mie­ren, öfters mal einen „rich­ti­gen” Kid­dusch zu spen­den. Im Ergeb­nis sind vie­le Besu­cher den G*ttesdiensten kur­zer­hand fern­ge­blie­ben und wir haben die poten­zi­el­len Spen­der eher ver­är­gert als moti­viert. Also haben wir dann schließ­lich wie­der reu­mü­tig die „Voll­ver­si­on” des Kid­duschs reaktiviert.

      Ja, auch Gemein­de­rat und Vor­stand, so sie denn über­haupt zu den Schabbat‑G*ttesdiensten ver­tre­ten sind, bekle­ckern sich übli­cher­wei­se nicht gera­de mit Ruhm, wenn es dar­um geht, zu einem wür­de­vol­len Ablauf der Ver­an­stal­tung bei­zu­tra­gen. War­um auch? Schließ­lich sind sie ja Reprä­sen­tan­ten der Gemein­de und als sol­che gebär­den sie sich eben gera­de so, wie es die Mehr­heit der Gemein­de tut…

  • Vor­stel­lung der Mehr­heit von „G*ttesdienst”:
    שלח את-עמי, ויעבדני (Das berühm­te: „Lass Mein Volk zie­hen, damit es Mir diene”)
    Hät­te Pha­rao gewusst, dass sie bloss einen Abste­cher in eine Pia­no-Bar machen woll­ten, hät­te er doch gewiss zugestimmt.
    Im Ernst, mir scheint, letzt­lich ist die Ursa­che die­ser Frus­tra­ti­on die glei­che wie in hier , näm­lich eine fort­schrei­ten­de Aus­höh­lung jüdi­scher Begrif­fe (dort: כשרות, בר מצווה; hier: עבודת השם) bis zur Unkenntlichkeit.

    „Besu­cher den G*ttesdiensten kur­zer­hand ferngeblieben”:
    „Besu­cher” sind etwas ande­res als „Teil­neh­mer”. Was die Abwe­sen­heit von Tschol­ent nicht alles bewirkt:
    (Schmot 16:3) בשבתנו על-סיר הבשר, באכלנו לחם לשבע
    (BaMid­bar 11:4) והאספסף אשר בקרבו, התאוו תאוה; וישבו ויבכו, גם בני ישראל, ויאמרו, מי יאכלנו בשר
    Die Rück­kehr zu den Fleisch­töp­fen Ägyptens?
    Wie lasen wir doch so schön letz­ten שבת in קהלת:
    ואין כל-חדש, תחת השמש: Nichts neu­es unter der Sonne…

    „poten­zi­el­len Spen­der eher verärgert”:
    pas­send zur Pia­no-Bar: „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen”

    „Reprä­sen­tan­ten der Gemein­de” .-. „Vor­bild­rol­le”:
    Near the end of Sot­ah 49b, it is writ­ten: “The face of the gene­ra­ti­on (of the Chev­lai Moshiach) is like the face of a dog …” Inte­res­t­ing ana­lo­gy. The Tal­mud offers pos­si­ble expl­ana­ti­ons for this expression:
    „Rab­bi Elchanan Was­ser­man in Kun­tres Ikvos Mes­hicha quo­tes an expl­ana­ti­on heard from the Cha­fetz Cha­im. The face of the gene­ra­ti­on are the lea­ders (Bereishis Rab­bah 79:6). A lea­der must gui­de his peo­p­le aut­ho­ri­ta­tively and teach them right from wrong. But in the peri­od befo­re Moshiach, the osten­si­ble lea­ders will first check to see if their views will be popu­lar­ly recei­ved, like a dog that looks back to see if his mas­ter follows”
    (von hier hier )

    • Naja, also jetzt wird es mir doch ein wenig zu pathe­tisch. Säku­la­ri­sie­rung und Assi­mi­la­ti­on sind kei­ne exklu­si­ven Phä­no­me­ne unse­rer Zeit. Es hat immer Wel­len der Abkehr und dann auch wie­der Wel­len der Rück­be­sin­nung im Lau­fe der Jüdi­schen Geschich­te gege­ben. Letzt­lich konn­te die Iden­ti­tät des Juden­tums immer­hin über 3.300 Jah­re bewahrt wer­den. Natür­lich sind dabei Unzäh­li­ge von Glau­be und Kul­tur abge­fal­len und der Jüdi­schen Gemein­schaft inso­weit ver­lo­ren gegan­gen. Aber als Gesamt­kon­zept hat das Juden­tum sich ohne jeden Zwei­fel bewährt. Inso­fern war die Geburt der Israe­li­ti­schen Nati­on im alten Ägyp­ten also kei­nes­wegs ein sinn­lo­ser Vorgang.

      Und auch, dass man mit Speck Mäu­se fängt, ist ja nichts neu­es (unter der Son­ne). Sich für gutes Essen zu begeis­tern ist in der Regel leich­ter als für Kul­tus und Glaube.

      Geär­gert haben die poten­zi­el­len Spen­der sich sei­ner­zeit wohl vor allem über die­se sub­ti­le Art der Anpran­ge­rung. Einen ande­ren Men­schen öffent­lich zu bla­mie­ren, gehört ja bekannt­lich zu den schlimms­ten Sün­den im Juden­tum. So gese­hen war es wohl rich­tig, nicht län­ger an die­ser Pra­xis festzuhalten.

      Auch was die Gemein­de­füh­rung betrifft, wür­de ich jetzt nicht das Kind mit dem Bade aus­schüt­ten wol­len. Man hat schon oft genug Maß­nah­men durch­ge­zo­gen, die her­be, laut­stark arti­ku­lier­te Kri­tik aus der Mit­te des Gemein­de­volks her­vor­ge­ru­fen haben. Es ist also nicht so, dass die Gemein­de­füh­rung im Wesent­li­chen popu­lis­tisch agie­ren würde.

      Nichts­des­to­we­ni­ger ist an allem, was Du schreibst, im Grund­satz eine Men­ge dran und man kann nicht deut­lich genug davor war­nen, das alles ein­fach nur als gege­ben hin­zu­neh­men. Allein: Abhil­fe zu schaf­fen ist müh­sam und äußerst lang­wie­rig. Das will sich offen­bar kaum jemand wirk­lich ger­ne antun…

  • „Wel­len der Rückbesinnung”:
    Schon die Bücher der Pro­phe­ten sind bekannt­lich voll davon.
    Und nicht zuletzt haben wir gera­de תשובה fokus­sier­te Wochen hin­ter uns.
    Aber wur­den die­se ver­gan­ge­nen Wel­len durch Aus­höh­lung von Begrif­fen und durch Ver­kös­ti­gung mit „Speck” in „Pia­no-Bars” bewirkt?

    „Geburt … kei­nes­wegs sinnlos”:
    So woll­te ich gewiss nicht ver­stan­den wer­den! (Und mir ist unklar, wo ich etwas schrieb, dass so miss­ver­stan­den wer­den konnte.)

    „G*ttesdienste” ./. „mit Speck Mäu­se fangen”:
    Offen­bar besteht zwi­schen bei­den ein Zielkonflikt.
    Gibt es eine Vor­stel­lung, wie vie­le „JFK”-Besu­cher im Lauf der Zeit zu akti­ven G*ttesdienstteilnehmern wurden?

    „Anpran­ge­rung poten­ti­el­ler Spender”:
    Auf die­se Les­art wäre ich gar nicht gekom­men. Ich hät­te gedacht, dass dien­te vor allem dazu, indi­rekt den Geräusch­pe­gel zu kontrollieren.
    Wie wäre es denn, gene­rell die Kid­du­schim zu redu­zie­ren, ohne dabei auf poten­ti­el­le Speck-Spen­der zu war­ten, und das auch so zu publi­zie­ren? Dann fühlt sich nie­mand ange­schnorrt oder ange­pran­gert, und der Geräusch­pe­gel sinkt hof­fent­lich auch.

    „Gemein­de­füh­rung”:
    Ich woll­te das Chofetz-Cha­jim-Zitat hier aus­schliess­lich im Kon­text von Reprä­sen­ta­ti­on ver­sus Vor­bild­rol­le in der „Pia­no-Bar” ver­stan­den wissen.

    In mei­nen Augen ist es ein­fach nur äußerst scha­de, dass die Gemein­de einen so enga­gier­ten und kom­pe­ten­ten גבאי ver­liert. Aber das hat sie sich wohl selbst zuzuschreiben…

    Wie sieht es eigent­lich mit poten­ti­el­ler Nach­fol­ge aus?

    • Also eine Wel­le der Rück­be­sin­nung soll­te wohl eher auf jene Ent­wick­lun­gen fol­gen, die ich in mei­nem Bei­trag beklagt habe. Das wer­den wir wohl kaum damit errei­chen, dass wir die reli­gi­ons­fer­nen Glau­bens­ge­nos­sen mit ober­fläch­li­chen Lock­mit­teln zum Syn­ago­gen­gang bewe­gen. Ande­rer­seits könn­te man auch sagen: bes­ser „Jid­disch­keit als Hin­ter­grund­mu­sik” denn „über­haupt kei­ne Jid­disch­keit”. Viel­leicht bleibt so wenigs­tens ein klei­nes biss­chen hängen…

      Also wenn Du schreibst, dass Pha­rao die Israe­li­ten nicht hät­te zie­hen las­sen, wenn er die gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lung anti­zi­piert hät­te, klingt das schon danach, dass Du die Sinn­haf­tig­keit des Aus­zugs aus Ägyp­tens, in dem sich ja die For­ma­ti­on der Israe­li­ti­schen Nati­on mani­fes­tiert hat, ange­sichts des heu­ti­gen Zustands der Nati­on in Fra­ge stellst.

      Ich wuss­te gar nicht, dass es schon einen Fach­be­griff für Ver­kös­ti­gungs-getrie­be­nen Syn­ago­gen­be­such gibt. Jeden­falls könn­te man argu­men­tie­ren, dass sich die­ses Lock­mit­tel schon dann bewährt, wenn auch nur ein Ein­zi­ger auf die­se Wei­se für die akti­ve G*ttesdienstteilnahme gewon­nen wer­den konn­te. Ob das so ist, kann ich indes­sen nicht beurteilen.

      Also wie gesagt: wenn wir auch nur ganz Weni­ge mit der „Speck”-Taktik zum „Über­lau­fen” bewe­gen kön­nen, soll­ten wir sie nicht ein­fach so aufgeben.

      Ich habe mei­nen Kol­le­gen und dem amtie­ren­den Rab­bi­ner einen Nach­fol­ge­vor­schlag unter­brei­tet. Ob man die betref­fen­de Per­son anspricht und sie dann den Job auch noch machen will, liegt nicht mehr in mei­nem Ermes­sen. Wir wer­den sehen. De fac­to wird mein Feh­len aber ansons­ten kaum eine mess­ba­re Aus­wir­kung haben, denn mei­ne Anwe­sen­heit hat­te es ja lei­der auch nicht…

  • Bes­ser „Jid­disch­keit als Hin­ter­grund­mu­sik“ denn „über­haupt kei­ne Jiddischkeit“:
    Ich bin nicht sicher. In ande­ren Situa­tio­nen bewirkt erst der Auf­schlag auf dem Boden die Besin­nung, das Auf­rap­peln und den müh­sa­men Wiederaufstieg.

    „Wenn Du schreibst”:
    War es nicht genau anders­her­um? Pha­rao woll­te uns nicht zie­hen las­sen, damit wir Haschem die­nen. Und ich schrieb, er hät­te uns „gewiss” ger­ne in die Pia­no-Bar zie­hen las­sen. (Denn dann hät­ten wir kein Gegen­mo­dell zu sei­nem Mate­ria­lis­mus dar­ge­stellt und wären kei­ne Bedro­hung für sei­ne Weltanschauung.)

    Bewähr­tes Lockmittel:
    Es könn­te aber auch sein, dass ernst­haf­te Inter­es­sen­ten sich durch das Geba­ren sowohl in der „Pia­no-Bar” als auch bei der „Gra­tis­ver­kös­ti­gung” mit „Speck” abge­stos­sen füh­len, so das ein nega­ti­ver Sal­do resultiert.

    Dein „Feh­len”:
    Aber als מתפלל bleibst Du doch hof­fent­lich erhalten?

  • „Mess­ba­re Aus­wir­kung mei­ner Anwe­sen­heit” ./. „Reli­gi­ons­päd­ago­gik”:
    Ich fin­de, Du gehst hier viel zu hart mit Dir ins Gericht.
    Es kann nicht Dei­ne Auf­ga­be sein, etwas an der „schlech­ten Erzie­hung der Gemein­de” zu ändern, die „im reli­giö­sen Sin­ne hoff­nungs­los ver­zo­gen” zu sein scheint.

    Unter­halt­sam und frus­tie­rend zu gleich:
    „Aber die Klei­dung der übri­gen Frau­en war nicht min­der merk­wür­dig und bestand wohl aus einem Gemi­sche von Moden ver­schie­de­ner Zei­ten, und man­ches Weib­lein, bedeckt mit Gold und Dia­man­ten, glich einem wan­deln­den Juwe­lier­la­den. Es war frei­lich den Frank­fur­ter Juden damals eine bestimm­te Klei­dung gesetz­lich vor­ge­schrie­ben, und zur Unter­schei­dung von den Chris­ten, soll­ten die Män­ner an ihren Män­teln gel­be Rin­ge und die Wei­ber an ihren Müt­zen hoch­auf­ste­hen­de blau­ge­streif­te Schlei­er tra­gen. Jedoch im Juden­quar­tier wur­de die­se obrig­keit­li­che Ver­ord­nung wenig beach­tet, und dort, beson­ders an Fest­ta­gen, und zumal in der Syn­ago­ge, such­ten die Wei­ber so viel Klei­der­pracht als mög­lich gegen ein­an­der aus­zu­kra­men, teils um sich benei­den zu las­sen, teils um den Wohl­stand und die Kre­dit­fä­hig­keit ihrer Ehe­herrn dar­zu­tun.
    Wäh­rend nun unten in der Syn­ago­ge die Gesetz­ab­schnit­te aus den Büchern Mosis vor­ge­le­sen wer­den, pflegt dort die Andacht etwas nach­zu­las­sen. Man­cher macht es sich bequem und setzt sich nie­der, flüs­tert auch wohl mit einem Nach­bar über welt­li­che Ange­le­gen­hei­ten, oder geht hin­aus auf den Hof, um fri­sche Luft zu schöp­fen. Klei­ne Kna­ben neh­men sich unter­des­sen die Frei­heit ihre Müt­ter in der Wei­ber­ab­tei­lung zu besu­chen, und hier hat als­dann die Andacht wohl noch grö­ße­re Rück­schrit­te gemacht; hier wird geplau­dert, gerud­delt, gelacht, und, wie es über­all geschieht, die jün­ge­ren Frau­en scher­zen über die alten, und die­se kla­gen wie­der über Leicht­fer­tig­keit der Jugend und Ver­schlech­te­rung der Zei­ten. Gleich­wie es aber unten in der Syn­ago­ge zu Frank­furt einen Vor­sän­ger gab, so gab es in der obern Abtei­lung eine Vor­klat­sche­rin.
    von hier , geschrie­ben von Hein­rich Hei­ne im frü­hen 19. Jhd, spielt im 13. Jhd.
    Kommt uns das bekannt vor? Man­che Din­ge haben offen­bar eine lan­ge Tra­di­ti­on, und las­sen sich nicht so leicht ändern. (Kur­si­ve Her­vor­he­bun­gen von mir.)

    Gera­de­zu auf­rüt­telnd fin­de ich die­ses. Auch hier sieht man: das Pro­blem ist nicht neu und nicht lokal.

    Ande­rer­seits ein posi­ti­ves Beispiel:
    „The Eisen­mann Syn­ago­gue is an his­to­ric syn­ago­gue in Ant­werp, Bel­gi­um. It was built by Jacob Eisen­mann in 1907 and is the only syn­ago­gue in Ant­werp to have sur­vi­ved the Holo­caust and the Nazi occu­pa­ti­on of Belgium.…
    The tra­di­ti­on of the Jewish com­mu­ni­ty in his nati­ve Frank­furt was clo­se to his heart, and he was annoy­ed at the way of life of Eas­tern Euro­pean immi­grants brought to Ant­werp. Spe­ci­fi­cal­ly the lack of decorum during the tefil­lot and con­ver­sa­ti­on during pray­ers that per­tur­bed him. As a result, he deci­ded to start his own min­yan, one which the tra­di­ti­ons of the Jewish com­mu­ni­ty in Frank­furt, would be kept.” von hier 

    • Tja, wie hier ja schon mehr­fach fest­ge­stellt wur­de, lag der alte König Schlo­mo wohl gold­rich­tig mit sei­ner Erkennt­nis, dass es nun ein­mal nichts neu­es unter der Son­ne gäbe. Schön, dass ich mich bezüg­lich der Wahr­neh­mung der betref­fen­den Ver­hal­tens­wei­sen in einer gemein­sa­men Tra­di­ti­on mit dem gro­ßen Deut­schen Dich­ter Hein­rich Hei­ne sehen darf – gleich­wohl ich mir natür­lich nie­mals anma­ßen wür­de, es so unnach­ahm­lich tref­fend aus­drü­cken zu kön­nen wie er…

  • Bewe­gend, und lei­der mehr als nur wahr.
    Abwend­bar? Modu­lier­bar? Umkehr­bar? Moeglicherweise,..lo alechah hame­lachah ligmor…abrr hame­luchah rab­bah, da reicht EINER nicht aus, und Raw Juli­en, Assaf (mitt­ler­wei­le im hlg Land), Ben­ny P. (ideo­lo­gisch zer­bro­chen aber den­noch sei­ne Aura afrecht­erhal­tend), Zwi Bebe­ra und ande­re weni­ge in einem unsys­te­ma­ti­schen Erzie­hungs­werk rei­chen wohl da nicht aus.
    Bedaue­re Dei­nen Schritt hier nach­ge­le­sen haben zu mues­sen, vers­tee Dich aber nur zu gut.
    Den­ke das Essen, leh­re und Gesang in einem Pro­zess mit geball­ter edu­ka­ti­ver kraft eini­ges bewir­ken koenn­ten. Dazu bedarf es jedoch finan­zi­el­ler Res­sour­cen, Man Power sowie Ein­satz­mit­tel, (Sid­du­rim, Kur­se und CD/Streaming), etwass mehr Volks­nae­he und weni­ger Chassa­nut­lai­ge Syn­ago­ga­le Wei­he­stim­mung, wenn auch nicht wild groeh­len­de, per­ma­nent Car­le­bach­sche Sang­ess­im­pli­zi­tae­ten anstim­men­de Beseel­te. Ob das Wes­ten­ed dies je (wieder/noch ?) erle­ben darf.…..

    • Ich füh­le mich auf­rich­tig geehrt, dass Du den Weg zu mei­nem rela­tiv unbe­kann­ten Blog gefun­den hast. Vie­len Dank auch für das Ver­ständ­nis, das Du in Dei­nem Kom­men­tar geäu­ßert hast. Mir bleibt vor­läu­fig nur, das wei­te­re Gesche­hen im West­end als außen­ste­hen­der Beob­ach­ter zu ver­fol­gen. Man darf also gespannt bleiben…

  • „bezahl­te Saal­ord­ner, wel­che die Beten­den zur Ruhe ermah­nen sollten“

    Klingt ziem­lich radi­kal, also habe ich mich gefragt, ob es dafür eine Quel­le gibt.
    Und tat­säch­lich: שבתי הורוויץ, Sohn des berühm­ten של“ה schreibt in sei­ner „Ein­lei­tung“ ווי העמודים (דף י„ז) zum berühm­ten Werk des Vaters, jede Gemein­de sol­le Auf­se­her anstel­len, die gegen die Schwät­zer wachen und die­se öffent­lich beschä­men. (Ver­öf­fent­licht 1648, dem Jahr der Chmel­niz­ki-Pogro­me , in Amsterdam)
    Wow! Er muss ziem­lich frus­triert über das Pro­blem feh­len­der Andacht gewe­sen sein.

    Pikant: Er war von 1632–1642 Ober­rab­bi­ner in Frankfurt.
    Ein Schelm, wer böses dabei denkt…

    P. S.: Eine eng­li­sche Über­set­zung der rele­van­ten Pas­sa­ge gibt es hier , S. 17.

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