Hallo Ihr Lieben,
Ihr erinnert Euch vielleicht noch an meine Ausführungen zur Datenübertragungsstrategie nach erfolgtem FlyBy. Dabei hatte ich dargelegt, dass man im Vorfeld des über ein Jahr währenden Übertragungsmarathons für den gesamten FlyBy-Datenbestand von New Horizons erst einmal eine grobe Übersicht des Materials „herunterladen“ will, um zum Einen so schnell wie möglich von allen Daten wenigstens eine Vorabversion vorliegen zu haben sowie zum anderen, um aufbauend auf dieser Übersicht entscheiden zu können, mit welchen Prioritäten man die einzelnen Inhalte schließlich in unkomprimierter Form übertragen soll.
Ein gutes Beispiel für so ein hochkomprimiertes Vorschaubild (oder „Thumbnail“, wie man in der IT in Anspielung auf die daumennagelgroßen Übersichtsbilder bei digitalen Kontaktabzügen gerne sagt) ist auf folgender gestern veröffentlichter Darstellung eines Oberflächendetails des größten Plutomonds Charon zu sehen:
Während die farbige Gesamtaufnahme noch aus der Annährungsphase stammt, ist der in Schwarzweiß angefügte Ausschnitt rund eineinhalb Stunden vor dem „closest Approach“ aus rund 80.000km Entfernung aufgenommen worden und zeigt demnach bereits eine Vielzahl von Detailstrukturen der reichlich von Kratern gezeichneten Charon-Oberfläche. Der Preis für die hohe Datenkompression ist gut in Form der groben Auflösung sowie der harten Grauabstufungen zu erkennen, die den Eindruck vermitteln, als sei das Bild aus Legosteinen zusammengesetzt – also die sogenannten Kompressionsartefakte.
Immerhin kann man aber – ganz wie gewollt – schon an dem hochkomprimierten Bild recht gut abschätzen, was man auf dem unkomprimierten Vollbild zu erwarten hat.
Im Vergleich zum jüngsten Detailbild von Pluto fällt übrigens auf, dass Charon an der betrachteten Stelle wesentlich mehr Krater hat, als Pluto auf dem seinerzeitigen Detailbild:
Die Tatsache, dass Pluto offenbar viel weniger Krater hat als etwa Charon, wird von den Geologen dahingehend gedeutet, dass die Oberfläche auf Pluto „jünger“ ist, also durch Plattentektonik – etwa nach Art der Isländischen Vulkane – mindestens mal bis vor wenigen 100 Millionen Jahren noch neu geformt wurde. Dieser Prozess hätte also eventuell vorhandene Krater nachträglich wieder ausgelöscht.
Spannend daran ist vor allem der Umstand, dass man in vergleichbaren Fällen, wie man Sie auf diversen Monden der Großplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun beobachtet hat, bislang davon ausgegangen ist, die Gezeitenkräfte zwischen Mutterplanet und Mond für die tektonischen Aktivitäten verantwortlich machen zu können. Ein Musterbeispiel für Vorgänge dieser Art ist der Jupitermond Io, der wegen seiner bis heute extrem vulkanaktiven Oberfläche und den dabei entstehenden sehr durchwachsenen Farbwechseln gerne auch „Pizzamond“ genannt wird:
Ausgerechnet New Horizons selbst hat bei ihrem Vorbeiflug an Jupiter (durch dessen Anziehungskraft sie sich überhaupt erst das nötige Tempo für die vergleichsweise kurze Reisedauer zu Pluto geholt hat) am 28.2.2007 eine Sequenz von insgesamt fünf Io-Fotos gemacht, auf der eine gigantische, 300 Kilometer hohe Eruption des Vulkans „Tvashtar“ mit zu sehen ist: https://www.youtube.com/watch?v=MqVTT9jKULA. Erklärt wird dies also durch die gigantischen Gravitationskräfte, die der Riesenplanet Jupiter auf den in ziemlich geringem Abstand um ihn kreisenden Io ausübt – ihn sozusagen regelrecht „durchknetet“. Demnach sind diese Effekte also besonders auf Monden zu erwarten, die große Mutterplaneten in niedriger Umlaufbahn umkreisen.
Für die Oberflächenaktivitäten von Pluto kann diese Gezeiten-Theorie jedoch nicht zutreffen, denn selbst Charon als größter Mond Plutos ist massemäßig viel zu klein, um lediglich durch die Gezeitenkräfte zwischen beiden Himmelskörpern flüssiges Material aus dem Planeteninneren an Plutos Oberfläche zu ziehen. Eher müsste Charon selbst durch die Gezeitenwirkung seines Mutterplaneten Pluto entsprechende Oberflächenaktivitäten aufweisen, was er aber offenbar nicht tut, denn sonst gäbe es ja nicht die vielen gut erhaltenen Einschlagskrater auf dem Bild ganz oben. Allein mit den ersten zwei Detailbildern vom FlyBy haben die Geologen also potenziell weltbildverändernde Hausaufgaben bekommen, denn sie müssen jetzt ggf. die bisher gelieferten Erklärungsmodelle für die teils auffällig jungen Oberflächen der betreffenden Himmelskörper komplett neu überdenken.
Alles Liebe
Daniel