Achtung: die in folgendem Beitrag niedergelegten Gedanken habe ich nach ziemlich genau vier Jahren des Nachdenkens einer kritischen Neubewertung unterzogen, die hier zu lesen ist. Ich habe den Beitrag natürlich trotzdem in seiner ursprünglichen Form stehengelassen. Er ist in gewisser Weise ein Dokument meiner Lebensgeschichte und es wäre vor allem unaufrichtig, jetzt plötzlich so zu tun, als hätte ich ihn nie geschrieben. |
Hallo Ihr Lieben,
ab heute ist es amtlich: ich habe meine Tätigkeit als Gabbai (also als Mitglied des Synagogenvorstands) in der Frankfurter Westendsynagoge nach gut elf Jahren mit sofortiger Wirkung beendet.
Auch wenn die Entwicklungen, die mich zu diesem Schritt gebracht haben, vermuten lassen, dass es nicht allzu viele Menschen geben dürfte, die jenem Entschluss überhaupt irgendeine Bedeutung beimessen, so mag es dennoch einige unter Euch geben, die sich schon aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu mir für meine Motivlage interessieren könnten, so dass ich für alle Fälle mit diesem kleinen Beitrag darlegen möchte, welche Beweggründe hinter meiner Entscheidung stecken.
Um Missverständnissen vorzubeugen und es gleich vorweg ein für allemal klarzustellen: mein Entschluss hat nichts, ja wirklich absolut gar nichts mit dem Weggang unseres geehrten Rabbiner Menachem Halevi Klein und noch viel weniger als nichts mit dem Amtsantritt unseres geehrten Rabbiner Julian-Chaim Soussan oder unseres neuen Kantors Yoni Rose zu tun. Ganz im Gegenteil: hätte Rav Soussan nicht durch den Weggang von Rav Klein in die Westendsynagoge gewechselt, hätte ich meinen Rückzug aus dem Synagogenvorstand schon Ende letzten Jahres angetreten. Dass ich damit bis heute gewartet habe, ist also gerade der Überlegung geschuldet, auf keinen Fall den Eindruck erwecken zu wollen, mein Entschluss hätte etwas mit der neuen Rollendefinition von Rav Soussan zu tun.
Rav Soussan ist für mich ebenso wie Yoni Rose vielmehr ein leuchtender Hoffnungsträger für einen längst überfälligen Modernisierungsschub in Kultus und Religionspädagogik unserer Gemeinde und als ich Rav Soussan vor einigen Wochen über meine Rückzugsabsichten aus dem Synagogenvorstand in Kenntnis gesetzt habe, habe ich ihm gegenüber unmissverständlich deutlich gemacht, dass ich auch weiter sehr gerne für jede Form der Unterstützung seiner Arbeit zur Verfügung stehe, bei der ich meine Energien konstruktiv und fruchtbar zur Entfaltung bringen kann.
Und genau damit sind wir eigentlich auch schon beim Kern meiner Motivation für die Beendigung meiner Tätigkeit im Synagogenvorstand: mir ist in den letzten zwei Jahren nach langem inneren Hadern endlich klar geworden, dass ich mich im Rahmen dieses Amts in einer Weise engagiere, die an der Bedürfnislage der überwältigenden Mehrheit unter den G*ttesdienstteilnehmern komplett vorbeigeht.
Während nämlich meine Vorstellung eines würdigen G*ttesdienstablaufs so etwas wie gemeinschaftlich geteilte Gesänge, Andacht und Besinnlichkeit beinhaltet, sucht der überwiegende Teil der allwöchentlichen G*ttesdienstteilnehmer vor allem so etwas wie soziale Begegnungen, Geselligkeit und Gratisverköstigung mit einem bisschen „Jiddischkeit” als unaufdringlicher Hintergrundmusik. Das gilt freilich umso mehr für das Publikum, das sich zu den Hohen Feiertagen oder an Simchat-Torah bzw. Purim einfindet.
Man kann es metaphorisch vielleicht am besten so ausdrücken: während ich fortwährend bemüht bin, Raum für ein Konzert zu schaffen, bei welchem möglichst viele Teilnehmer aktiv mitwirken und der Rest zumindest in respektvoller Stille verharrt und der Musik als zentrales Geschehen der Veranstaltung aufmerksam lauscht, betrachten sich die meisten Teilnehmer unserer G*ttesdienste eher als so etwas wie die Gäste in einer Piano-Bar, in der man ausgiebig quatscht, isst und trinkt und die Musik der Stimmung halber aus dem Hintergrund auf sich wirken lässt. Meine Versuche, die G*ttesdienst-Teilnehmer zur Mitwirkung, zumindest aber zu andächtiger Stille zu ermahnen, nehmen sich aus deren Sicht also in etwa so aus, als würde der Betreiber der Piano-Bar oder gar der Pianist selbst seine Gäste fortwährend zum aktiven Musizieren, zumindest aber zu aufmerksamem und stillem Zuhören auffordern. Darauf würde ich als Gast in einer Piano-Bar wohl auch mit eben jenem Unverständnis (Motto: „nebbich – er kapiert’s einfach nicht”) oder bisweilen auch Unmut (Motto: „von dem Schmock lasse ich mir garantiert nicht den Mund verbieten”) reagieren, die mir in der Synagoge üblicherweise denn auch in solchen Momenten entgegenschwingen.
Immer und immer wieder haben wir uns in den letzten zehn Jahren im Synagogenvorstand gemeinsam mit den verschiedenen Gemeinderabbinern, der Gemeindedirektion oder auch diversen Vorstands- und Gemeinderatsmitgliedern den Kopf darüber zerbrochen, was man wohl alles noch tun könne, um insbesondere zu den hohen Feiertagen für mehr Ruhe und Würde in der Synagoge zu sorgen. Dabei haben wir so gut wie keine Überlegung ausgelassen – sei es die vielzitierte Installation koscherer Mikrofone, bezahlte Saalordner, welche die Betenden zur Ruhe ermahnen sollten, der Einbau von Glastüren zwischen Haupt- und Vorraum oder auch ein Bistrot im Kidduschraum, das die quatschende Menge aus dem Betraum locken sollte.
Nur die eine entscheidende Frage haben wir uns nicht gestellt: warum wollen wir die Gemeinde eigentlich mit technischen, logistischen oder organisatorischen Maßnahmen zu einem Verhalten zwingen, an dem sie in ihrer überwiegenden Mehrheit überhaupt nicht interessiert ist? Denn wäre sie es, dann müsste man ja regelmäßig beobachten können, wie sich eine an Stille und Würde interessierte Mehrheit unter den Gebetsteilnehmern während des G*ttesdienstes gegen die lärmende Minderheit in Form hörbarer Ermahnungen zu Ruhe und Andacht durchzusetzen versucht. Nichts dergleichen wäre mir in den letzten zehn Jahren indessen aufgefallen (naja, bisweilen beobachte ich schon mal den echauffierten Versuch von Seiten eines der renitentesten Dauerstörer, die versammelten Synagogenbesucher zur Ruhe zu ermahnen, weil der Kantor gerade eines seiner Lieblingsstücke darbietet. Das wäre also in etwa so, als würde sich ein besonders geselliger und lautstarker Gast in einer Piano-Bar plötzlich von seinem Platz erheben und die anderen Gäste empört um Ruhe bitten, wo der Pianist doch gerade sein Lieblingsstück zum Besten gibt. Ich nehme an, Ihr werdet mir nachsehen, wenn ich das als Groteske zu den Akten lege und in meiner oben angestellten empirischen Betrachtung nicht weiter berücksichtige).
Kurz: wer an einer Konzertveranstaltung interessiert ist, sollte nicht ein eine Piano-Bar gehen (oder gar eine betreiben) und die Gäste dort zu Ruhe und Aufmerksamkeit zwingen wollen. Sie nehmen nämlich zurecht für sich in Anspruch, in eine Piano-Bar zu gehen, um sich bei unaufdringlicher Hintergrundmusik miteinander unterhalten zu können, zu trinken und ggf. zu essen. Und weil das so ist, habe ich für mich beschlossen, mich ab sofort nach Möglichkeiten umzusehen, wieder echte Konzertveranstaltungen zu besuchen bzw. in Orchestern mitzuwirken, anstatt mich länger an dem absurden Vorhaben aufzureiben, eine Piano-Bar für Konzertveranstaltungen missbrauchen zu wollen und auf die Gäste zu schimpfen, die sich das zurecht verbitten. Sollte mir wider erwarten dann doch mal der Sinn nach einer Piano-Bar stehen, weiß ich natürlich, wo ich hinzugehen habe…
Alles Liebe
Daniel
Sehr bedauerlich (aus Gemeindesicht).
Sehr nachvollziehbar (aus Deiner Sicht).
Ich kann mich nur wundern und Deine Langmut bewundern, dass Du das solange ausgehalten hast.
Es war vor 10 Jahren während ארשת שפתינו יערב לפניך, dass mir klar wurde, dass würdige תפילה im Westend keine Zukunft hat.
Sollte Dir zur Abwechslung der Sinn nach einer Gemeinde stehen, wo כבוד בית הכנסת noch ernstgenommen wird: Du weisst ja, wo Du mich findest…
Danke für Deine ebenso aufmunternden wie verständnisvollen Worte. Ich kann mich an Deinen seinerzeitigen Entschluss noch gut erinnern. Damals habe ich in meinem jugendlich/naiven Leichtsinn versucht, Dich im Interesse der Gemeinschaft umzustimmen. Heute würde ich das zweifellos nicht mehr tun…
Lieber Daniel,
Ich habe deinen Beitrag zu deinem Weggang sehr aufmerksam durchgelesen und fühle mich nicht nur beleidigt sondern als Gemeindemitglied und häufiger Gast der WestendSynagoge angegriffen. Geit HaKnesset heißt übersetzt, Haus der Versammlung. Wie ich es gelernt habe wird in einer Versammlung auch miteinander gesprochen. Da wir in einer äußerst multikulturellen Stadt leben, ist der Synagogenbesuch auch eine seltene Möglichkeit Gemeindemitglieder zu sehen, die man nicht so oft sieht und sich vor allem GEMEINSAM jiddisch zu fühlen. Dein Vergleich der Frankfurter Synagoge mit einer Pianobar, ist in meinen und sicher auch in den Augen vieler anderer respektlos. Ich meine unsere wunderschöne Synagoge soll einer Pianobar ähneln? Wie viele Leute würden dir da zustimmen? Ich bin mir sicher wenige. Allein deine Denkweise und deine Argumentation zeigt, dass du dich nicht als Mitglied der Synagoge gesehen hast sondern eher mit erhobenen Zeigefinger drüber standest. Kann ich richtigerweise annehmen, dass du dich für die Synagoge und die Mitglieder schämst? Ich erwarte nicht einmal eine Antwort auf meinen Kommentar. Mir ist wichtig, dass Gemeindemitgliedern die ähnlich denken, was sicher die meisten sein werden, eine Stimme gegeben wird, auch hier in deinem Blog. Dein Rücktritt ist dennoch bedauerlich, jedoch hätte dieser auch ohne eine solch negative Kritik an der Synagoge, der du nach eigenen Angaben 11 Jahre lang vorgestanden bist, stattfinden können. Ich denke falls du mal Lust hast eine echte Pianobar zu besuchen, solltest du das tun, falls du aber Lust hast auf einen G’ttesdienst, an dem zwar nicht jeder teilnimmt, aber bei dem jedoch eine wunderbare Atmosphäre herrscht und Menschen der selben Religion miteinander reden und sich austauschen, so wie das seit Jahrtausenden üblich ist, dann bist du in der Westend Synagoge richtig.
Lieben Gruß und weiterhin viel Erfolg
A Frankfurter Yid
Vielen Dank für Deine offenen Worte.
Ganz sicher war es nicht meine Absicht, mit meinem Blog-Beitrag irgendwen zu beleidigen und ich habe auch nach mehrfachem selbstkritischen Durchlesen keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass er so rüberkommen könnte. Sicher: ich habe mich allegorischer Stilmittel bedient, um meinen Standpunkt besser zum Ausdruck gelangen zu lassen. Aber keinesfalls habe ich sagen wollen, dass ich die Westendsynagoge per se als Piano-Bar empfinde (was man mir dann in der Tat als abschätzig hätte ankreiden können).
Ich habe vielmehr deutlich machen wollen, dass sie sich im Verhältnis zu dem, was ich mir unter einem würdigen und andächtigen G*ttesdienstablauf vorstelle, in etwa so verhält wie eine Piano-Bar zu einem Konzertsaal – und zwar für jene Musikliebhaber, die eben vor allem der Musik wegen in Konzerte gehen oder gar selbst zu Orchestermusikern werden. Dass man Musik auch in einer Piano-Bar genießen kann und es viele Leute geben mag, die es dort sogar lieber tun als in einem Konzertsaal, ist unbestritten. Warum sollte es sonst auch Piano-Bars geben?
Für jemanden, der den betreffenden Veranstaltungsort indessen primär wegen des Musikgenusses besucht, ist eine Piano-Bar schlichtweg nicht der optimale Ort. Ebenso ist nach meiner mittlerweile gereiften Überzeugung die Westendsynagoge nicht der richtige Ort für jemanden, der sich in andächtiger Stille ins Gebet vertiefen möchte und die tiefgreifende, ungetrübte Wirkung des jüdischen Gebetsablauf mit der geballten Kraft seiner Lyrik und der zugehörigen Vortragskunst erfahren möchte. Ich meine, auch Deinen Bemerkungen entnehmen zu können, dass Du es genauso siehst.
Natürlich ist eine Synagoge keine Kirche, in der schon der Versuch, seinem Nachbarn etwas zuzuflüstern, als ungehörig empfunden wird. Das finde ich persönlich auch sehr gut so, denn die Synagoge ist – wie Du im Grundsatz völlig zurecht bemerkst – selbstverständlich auch ein Ort der Versammlung, zumal sie traditionell ja auch als Lehrhaus genutzt wurde und wird (weswegen sie ja auch als „Shul” oder „Shil” bezeichnet wird und weswegen der Deutsche Volksmund das Sprichwort hervorgebracht hat: „hier geht es ja zu, wie in der Judenschule”). Eine „Versammlung” ist aber nach meinem Verständnis keineswegs mit einer primär auf Geselligkeit ausgerichteten Zusammenkunft zu verwechseln. Es geht nach meinem Dafürhalten vielmehr darum, die innige Erfahrung der jüdischen Liturgie als Gemeinschaft zu teilen und zu erleben bzw. durch die Gemeinsamkeit überhaupt erst zu dem werden zu lassen was sie ist: ein Stück gelebtes Judentum. Und ja: auch ausgeprägte Geselligkeit gehört untrennbar zum G*ttesdienst nach jüdischer Bauart dazu – aber bitte erst im beim Kiddusch im Anschluss an das Gebet.
Davon, dass es auch anders geht, durfte ich mich als weitgereister Synagogenbesucher vielfach überzeugen. Insofern lebe ich also in der Gewissheit, dass meine persönlichen Vorstellungen davon, was einen würdigen G*ttesdienst ausmacht, keineswegs idealistisch sind sondern in vielen Synagogen dieser Welt alltäglich praktiziert werden.
Was die Frage nach der Rezeption meines Beitrags durch die Gemeindemitglieder angeht, kann ich Deine Vermutungen – zumindest aus empirischer Sicht – nicht bestätigen. Bisher habe ich außer Deinem Kommentar ausnahmslos großes Verständnis und ansonsten – zu meinem eigenen Erstaunen – ausdrückliches Bedauern für meine Entscheidung zurückgemeldet bekommen. Mir scheint daher, dass vielen Gemeindemitgliedern die schwierige Situation in der Westendsynagoge durchaus bewusst ist und meine kritischen Gedanken insoweit auf weithin fruchtbaren Boden gefallen sind.
Deine Kritik an meinem Beitrag also in allen Ehren: nach gegenwärtigem Sachstand stellt sie sich als – natürlich hochgeschätzte – Einzelmeinung dar, die ich mir deshalb aber selbstverständlich nicht weniger zu Herzen nehme. Letztlich dürfte aber mein Rückzug aus dem Synagogenvorstand dann ja voll in Deinem Sinne sein: jemand, der – wie Du schreibst – sich nicht als Synagogenmitglied empfindet und stattdessen aus überhobener Position auf das „einfache Volk” herabschaut, hat in so einer Position in der Tat nichts zu suchen. Nach eigenem Empfinden habe ich mich zwar all die Jahre immer unter Zurücknahme meiner eigenen Bedürfnisse für das Wohl der Gemeinschaft einzusetzen versucht, aber wenn das wirklich so nicht rübergekommen sein sollte, dann habe ich mit meinem Rückzug auf jeden Fall die richtige Entscheidung getroffen.
Du fragst, ob ich mich für die Synagoge und ihre Mitglieder schäme? Eindeutig: nein! Erwachsene Menschen müssen sich per definitionem für ihr eigenes Verhalten selbst verantworten. Und gerade weil ich endlich anerkannt habe, dass es nicht an mir sein kann, erwachsene Menschen umzuerziehen, habe ich ja beschlossen, mich nicht länger an diesem ebenso anmaßenden wie aussichtslosen Versuch aufzureiben.
Das Recht, kritische Betrachtungen anzustellen um denjenigen, die es interessiert, zu vermitteln, aus welchen Gründen ich meine Entscheidung getroffen habe, solltest Du mir dennoch zugestehen. Ich finde, dass sollte unter mündigen Menschen kein Diskussionsgegenstand sein.
Nochmals danke für Deine Rückmeldung & alles Liebe
Daniel
„[B]eit HaKnesset heißt übersetzt, Haus der Versammlung.
Wie ich es gelernt habe wird in einer Versammlung auch miteinander gesprochen.”
Ich bewundere die aufrichtige Unverfrorenheit, mit der hier der Zweck eines Synagogenbesuchs umgedeutet wird. Unsere Quellen sind äußerst klar, wie die Konversation während des G‑ttesdientes (oder gar in einer Synagoge ausserhalb des G‑ttesdienstes) zu bewerten ist.
לא ישיח שיחת חולין בשעה ששליח ציבור חוזר התפלה ואם שח הוא חוטא וגדול עונו מנשוא וגוערים בו.
(von hier)
Frei: Wer während der Wiederholung der Amidah schwätzt, lädt sich eine größere Sünde auf als er tragen kann, und wer es trotzdem tut, ist zu ermahnen.)
Siehe auch meinen Hinweis unten (12. Oktober 2015 um 20:16)
בתי כנסיות ובתי מדרשות אין נוהגין בהם קלות ראש כגון שחוק והתול ושיחה בטילה
(von hier
Frei: In Synagogen und Lernhäusern (=„Schul”, „Schtiebel”) benehmen wir uns nicht frivol, z. B. Heiterkeit oder Geschwätz.
„so wie das seit Jahrtausenden üblich ist”
Ist das aus jüdischer Sicht ein schlüssiges Argument?
Wir erinnern uns: Hätte unser Vorvater Abraham dem Götzendienst gefrönt, wie das zu seiner Zeit seit langem „üblich” war, hätte es das Judentum nie gegeben. Geht es im Judentum nicht genau darum, sich aufrichtig zu bemühen, das Richtige zu tun anstelle des Üblichen?
Lieber „Frankfurter Yid”,
da Du offenbar das Bedürfnis verspürst, Dich „jiddisch zu fühlen”:
1. Ich bin nicht sicher, ob aus jüdischer Sicht (ausser vielleicht im kardiologischen Judentum – „ich habe ein jüdisches Herz”) sich jüdisch fühlen einen Wert an sich darstellt.
2. Gemäß Saadia Gaon sind wir ein Volk nur durch Torah. ( Emunoth veDeoth , 3:7)
3. Ergo: Ich schlage vor, Du beginnst, beispielswesie
– Schabat zu halten (31. Oktober 13:34 wäre nur legitim wenn Du in Ostasien warst…);
– Tefillin zu legen;
– Torah zu lernen;
– Dich bei Deinen Synagogenbesuchen auf die vertikale anstatt auf die horizontale Kommunikation zu fokussieren;
und ich garantiere Dir: Du wirst Dich viel, viel jüdischer fühlen als wenn Du mit Deinem Sitznachbarn in der Synagoge schwätzt und dabei diejenigen störst, die aus legitimeren Gründen gekommen sind. Probiere es aus!
Lieber Daniel,
danke, dass Du uns in Kenntnis über den für Dich sicher nicht leichten Schritt gesetzt hast. Ich ahne, wie lange, ernsthaft durchaus ambivalent und schmerzhaft dieser Prozess für Dich war. Es tut mir daher einfach leid. Einerseits für Dich, andererseits für uns, als Gemeinde und letztendlich als Zeugnis für einen Teil unseres Gemeindelebens (das ich sonst sehr liebe), das in diesem Falle leider nicht die schönste Seite desselbigen zeigt.
Trotzdem eine kleine Anmerkung zu unserem G’ttesdienst. Ich war dieses Jahr nur zu Jom Kipur in unserer Synagoge – und ich fand es wunderbar. Wahrscheinlich immer noch nicht ruhig genug, aber einfach wunderbar.
Danke Dir auf jeden Fall für Dein langjähriges Engagement. Und ich werde Deine Blicke und Ermahnungen auf der Habima missen.
Lieben Gruß
Cathy
Ja, ich gebe zu: leicht habe ich mir diese Entscheidung nicht gemacht. Aber ich bin ziemlich sicher, dass der weitaus überwiegende Teil der G*ttesdienstbesucher zu den Hohen Feiertagen beim nächsten Mal nicht einmal bemerken wird, dass ich mich zurückgezogen habe. Jedenfalls wird es auf den Ablauf und die Stimmung keine messbare Auswirkung haben. Insofern ist mein schlechtes Gewissen entsprechend eng begrenzt.
Auf jeden Fall vielen Dank für Deine einfühlsamen Worte. So etwas liest man immer gerne…
Wow! Das ist ja ein ganz schoener Schock, da ich doch vor vielen Jahren nicht zuletzt Deinetwegen zum Synagogengang motiviert worden bin.
Deine Frustration ueber das Verhalten der „Mitpalelim”, bzw. „Mitdabrim” ist uns natuerlich schon lange bewusst gewesen. Trotzdem geht mit Dir natuerlich ein weiteres Stueck des gewohnten Westend-Synagogen Lebens verloren.
Man muss sich in der Tat fragen, was die Zielsetzung und Aufgabe der zentralen Synagoge in einer Stadt wie Frankfurt ist und sein soll. Ist sie in erster Linie eine „Bet Knesset”, ein gemeinschaftlicher Versammlungsort, oder ein „Bet Tfila”, ein Haus des Gebetes und der Andacht?
Jedenfalls tut es mir sehr leid, dass Du Dich nun nicht mehr in diesem Haus so verstanden fuehlst, wie Du es Dir gewuenscht haettest.
Wie ich aus Deinem Artikel erkenne, hast Du bereits Vorstellungen, was eine Alternative angeht. Als „Aussenseiter” wuerde es mich natuerlich interessieren, welche Moeglichkeiten es z.Z. in Frankfurt ueberhaupt gibt.
Wie auch immer, es gebuehrt Dir in jedem Falle ein grosses Shkoiech fuer Deinen jahrelangen Einsatz und ich hoffe, Du findest einen Weg, Deinen Beduerfniss nach einer wuerdigen Tfila entsprechend nachzukommen. Behatzlcha!
Vielen Dank für Deine aufmunternden Worte. Die Frage, was Zielsetzung und Aufgabe der zentralen Synagoge in Frankfurt ist, wird derzeit „mit den Füßen” beantwortet: rein empirisch betrachtet ist es – soviel kann ich nach elf Jahren mit Sicherheit sagen – mehrheitlich genau das, was ich in meinem Beitrag dargelegt habe: Geselligkeit und Verköstigung mit ein wenig Jüdischer Identität als unaufdringliche Hintergrundstimmung. Ob das im Sinne des identitätsmäßigen Fortbestands unserer Gemeinde zukunftsfähig ist, steht auf einem anderen Blatt. Ich fürchte nur, man kann es nur sehr bedingt von Seiten der Gemeindeverwaltung beeinflussen – jedenfalls nicht kurz- und vermutlich auch nicht mittelfristig. Ich habe dazu mal auf der Sommerakademie des Zentralrats letztes Jahr einen Vortrag für Studenten gehalten, der hier auf meinem Blog veröffentlicht ist: Das Frankfurter Modell. Vielleicht findest Du das ja interessant…
Danke nochmals für die lieben Worte…
„überwältigenden Mehrheit unter den G*ttesdienstteilnehmern”:
Ist das möglicherweise der Kern des Mißverständnisses zwischen גבאים und den Anwesenden in der „Piano-Bar” (mit Orgelpfeifen, und extremem Halleffekt dank Marmor und Kuppel)? Kommt diese Mehrheit tatsächlich mit der Absicht, an einem solchen teilzunehmen?
„Gratisverköstigung”: Dieser Faktor läßt sich leicht begrenzen, jedenfalls am שבת. Zugegebenermassen ist das irrelevant für die ימים נוראים.
In meiner Erinnerung gingen auch nicht alle anwesenden Mitglieder von Gemeindevorstand und Gemeinderat stets verantwortungsvoll mit Ihrer Vorbildrolle im Bezug auf כבוד בית הכנסת um…
@Manu: Schön, Dich hier zu sehen, zumindest virtuell.
Also ich glaube, die Mehrheit nimmt an dem Teil, was sie sich unter dem Begriff G*ttesdienst vorstellt, so wie der Gast in der Piano-Bar dorthin geht, um seine Vorstellung von Musikgenuss zu leben.
Mit der Gratisverkostung haben wir auch schon mal experimentiert und für einige Zeit regelmäßig nur noch einen kleinen Kiddusch angeboten (Vodka, Hering, Cracker und Softdrinks). Damit wollten wir die Wohlhabenden unserer Betergemeinschaft verstärkt dazu animieren, öfters mal einen „richtigen” Kiddusch zu spenden. Im Ergebnis sind viele Besucher den G*ttesdiensten kurzerhand ferngeblieben und wir haben die potenziellen Spender eher verärgert als motiviert. Also haben wir dann schließlich wieder reumütig die „Vollversion” des Kidduschs reaktiviert.
Ja, auch Gemeinderat und Vorstand, so sie denn überhaupt zu den Schabbat‑G*ttesdiensten vertreten sind, bekleckern sich üblicherweise nicht gerade mit Ruhm, wenn es darum geht, zu einem würdevollen Ablauf der Veranstaltung beizutragen. Warum auch? Schließlich sind sie ja Repräsentanten der Gemeinde und als solche gebärden sie sich eben gerade so, wie es die Mehrheit der Gemeinde tut…
Vorstellung der Mehrheit von „G*ttesdienst”:
שלח את-עמי, ויעבדני (Das berühmte: „Lass Mein Volk ziehen, damit es Mir diene”)
Hätte Pharao gewusst, dass sie bloss einen Abstecher in eine Piano-Bar machen wollten, hätte er doch gewiss zugestimmt.
Im Ernst, mir scheint, letztlich ist die Ursache dieser Frustration die gleiche wie in hier , nämlich eine fortschreitende Aushöhlung jüdischer Begriffe (dort: כשרות, בר מצווה; hier: עבודת השם) bis zur Unkenntlichkeit.
„Besucher den G*ttesdiensten kurzerhand ferngeblieben”:
„Besucher” sind etwas anderes als „Teilnehmer”. Was die Abwesenheit von Tscholent nicht alles bewirkt:
(Schmot 16:3) בשבתנו על-סיר הבשר, באכלנו לחם לשבע
(BaMidbar 11:4) והאספסף אשר בקרבו, התאוו תאוה; וישבו ויבכו, גם בני ישראל, ויאמרו, מי יאכלנו בשר
Die Rückkehr zu den Fleischtöpfen Ägyptens?
Wie lasen wir doch so schön letzten שבת in קהלת:
ואין כל-חדש, תחת השמש: Nichts neues unter der Sonne…
„potenziellen Spender eher verärgert”:
passend zur Piano-Bar: „Wer die Musik bestellt, muss sie auch bezahlen”
„Repräsentanten der Gemeinde” .-. „Vorbildrolle”:
Near the end of Sotah 49b, it is written: “The face of the generation (of the Chevlai Moshiach) is like the face of a dog …” Interesting analogy. The Talmud offers possible explanations for this expression:
„Rabbi Elchanan Wasserman in Kuntres Ikvos Meshicha quotes an explanation heard from the Chafetz Chaim. The face of the generation are the leaders (Bereishis Rabbah 79:6). A leader must guide his people authoritatively and teach them right from wrong. But in the period before Moshiach, the ostensible leaders will first check to see if their views will be popularly received, like a dog that looks back to see if his master follows”
(von hier hier )
Naja, also jetzt wird es mir doch ein wenig zu pathetisch. Säkularisierung und Assimilation sind keine exklusiven Phänomene unserer Zeit. Es hat immer Wellen der Abkehr und dann auch wieder Wellen der Rückbesinnung im Laufe der Jüdischen Geschichte gegeben. Letztlich konnte die Identität des Judentums immerhin über 3.300 Jahre bewahrt werden. Natürlich sind dabei Unzählige von Glaube und Kultur abgefallen und der Jüdischen Gemeinschaft insoweit verloren gegangen. Aber als Gesamtkonzept hat das Judentum sich ohne jeden Zweifel bewährt. Insofern war die Geburt der Israelitischen Nation im alten Ägypten also keineswegs ein sinnloser Vorgang.
Und auch, dass man mit Speck Mäuse fängt, ist ja nichts neues (unter der Sonne). Sich für gutes Essen zu begeistern ist in der Regel leichter als für Kultus und Glaube.
Geärgert haben die potenziellen Spender sich seinerzeit wohl vor allem über diese subtile Art der Anprangerung. Einen anderen Menschen öffentlich zu blamieren, gehört ja bekanntlich zu den schlimmsten Sünden im Judentum. So gesehen war es wohl richtig, nicht länger an dieser Praxis festzuhalten.
Auch was die Gemeindeführung betrifft, würde ich jetzt nicht das Kind mit dem Bade ausschütten wollen. Man hat schon oft genug Maßnahmen durchgezogen, die herbe, lautstark artikulierte Kritik aus der Mitte des Gemeindevolks hervorgerufen haben. Es ist also nicht so, dass die Gemeindeführung im Wesentlichen populistisch agieren würde.
Nichtsdestoweniger ist an allem, was Du schreibst, im Grundsatz eine Menge dran und man kann nicht deutlich genug davor warnen, das alles einfach nur als gegeben hinzunehmen. Allein: Abhilfe zu schaffen ist mühsam und äußerst langwierig. Das will sich offenbar kaum jemand wirklich gerne antun…
„Wellen der Rückbesinnung”:
Schon die Bücher der Propheten sind bekanntlich voll davon.
Und nicht zuletzt haben wir gerade תשובה fokussierte Wochen hinter uns.
Aber wurden diese vergangenen Wellen durch Aushöhlung von Begriffen und durch Verköstigung mit „Speck” in „Piano-Bars” bewirkt?
„Geburt … keineswegs sinnlos”:
So wollte ich gewiss nicht verstanden werden! (Und mir ist unklar, wo ich etwas schrieb, dass so missverstanden werden konnte.)
„G*ttesdienste” ./. „mit Speck Mäuse fangen”:
Offenbar besteht zwischen beiden ein Zielkonflikt.
Gibt es eine Vorstellung, wie viele „JFK”-Besucher im Lauf der Zeit zu aktiven G*ttesdienstteilnehmern wurden?
„Anprangerung potentieller Spender”:
Auf diese Lesart wäre ich gar nicht gekommen. Ich hätte gedacht, dass diente vor allem dazu, indirekt den Geräuschpegel zu kontrollieren.
Wie wäre es denn, generell die Kidduschim zu reduzieren, ohne dabei auf potentielle Speck-Spender zu warten, und das auch so zu publizieren? Dann fühlt sich niemand angeschnorrt oder angeprangert, und der Geräuschpegel sinkt hoffentlich auch.
„Gemeindeführung”:
Ich wollte das Chofetz-Chajim-Zitat hier ausschliesslich im Kontext von Repräsentation versus Vorbildrolle in der „Piano-Bar” verstanden wissen.
In meinen Augen ist es einfach nur äußerst schade, dass die Gemeinde einen so engagierten und kompetenten גבאי verliert. Aber das hat sie sich wohl selbst zuzuschreiben…
Wie sieht es eigentlich mit potentieller Nachfolge aus?
Also eine Welle der Rückbesinnung sollte wohl eher auf jene Entwicklungen folgen, die ich in meinem Beitrag beklagt habe. Das werden wir wohl kaum damit erreichen, dass wir die religionsfernen Glaubensgenossen mit oberflächlichen Lockmitteln zum Synagogengang bewegen. Andererseits könnte man auch sagen: besser „Jiddischkeit als Hintergrundmusik” denn „überhaupt keine Jiddischkeit”. Vielleicht bleibt so wenigstens ein kleines bisschen hängen…
Also wenn Du schreibst, dass Pharao die Israeliten nicht hätte ziehen lassen, wenn er die gegenwärtige Entwicklung antizipiert hätte, klingt das schon danach, dass Du die Sinnhaftigkeit des Auszugs aus Ägyptens, in dem sich ja die Formation der Israelitischen Nation manifestiert hat, angesichts des heutigen Zustands der Nation in Frage stellst.
Ich wusste gar nicht, dass es schon einen Fachbegriff für Verköstigungs-getriebenen Synagogenbesuch gibt. Jedenfalls könnte man argumentieren, dass sich dieses Lockmittel schon dann bewährt, wenn auch nur ein Einziger auf diese Weise für die aktive G*ttesdienstteilnahme gewonnen werden konnte. Ob das so ist, kann ich indessen nicht beurteilen.
Also wie gesagt: wenn wir auch nur ganz Wenige mit der „Speck”-Taktik zum „Überlaufen” bewegen können, sollten wir sie nicht einfach so aufgeben.
Ich habe meinen Kollegen und dem amtierenden Rabbiner einen Nachfolgevorschlag unterbreitet. Ob man die betreffende Person anspricht und sie dann den Job auch noch machen will, liegt nicht mehr in meinem Ermessen. Wir werden sehen. De facto wird mein Fehlen aber ansonsten kaum eine messbare Auswirkung haben, denn meine Anwesenheit hatte es ja leider auch nicht…
Besser „Jiddischkeit als Hintergrundmusik“ denn „überhaupt keine Jiddischkeit“:
Ich bin nicht sicher. In anderen Situationen bewirkt erst der Aufschlag auf dem Boden die Besinnung, das Aufrappeln und den mühsamen Wiederaufstieg.
„Wenn Du schreibst”:
War es nicht genau andersherum? Pharao wollte uns nicht ziehen lassen, damit wir Haschem dienen. Und ich schrieb, er hätte uns „gewiss” gerne in die Piano-Bar ziehen lassen. (Denn dann hätten wir kein Gegenmodell zu seinem Materialismus dargestellt und wären keine Bedrohung für seine Weltanschauung.)
Bewährtes Lockmittel:
Es könnte aber auch sein, dass ernsthafte Interessenten sich durch das Gebaren sowohl in der „Piano-Bar” als auch bei der „Gratisverköstigung” mit „Speck” abgestossen fühlen, so das ein negativer Saldo resultiert.
Dein „Fehlen”:
Aber als מתפלל bleibst Du doch hoffentlich erhalten?
„Messbare Auswirkung meiner Anwesenheit” ./. „Religionspädagogik”:
Ich finde, Du gehst hier viel zu hart mit Dir ins Gericht.
Es kann nicht Deine Aufgabe sein, etwas an der „schlechten Erziehung der Gemeinde” zu ändern, die „im religiösen Sinne hoffnungslos verzogen” zu sein scheint.
Unterhaltsam und frustierend zu gleich:
„Aber die Kleidung der übrigen Frauen war nicht minder merkwürdig und bestand wohl aus einem Gemische von Moden verschiedener Zeiten, und manches Weiblein, bedeckt mit Gold und Diamanten, glich einem wandelnden Juwelierladen. Es war freilich den Frankfurter Juden damals eine bestimmte Kleidung gesetzlich vorgeschrieben, und zur Unterscheidung von den Christen, sollten die Männer an ihren Mänteln gelbe Ringe und die Weiber an ihren Mützen hochaufstehende blaugestreifte Schleier tragen. Jedoch im Judenquartier wurde diese obrigkeitliche Verordnung wenig beachtet, und dort, besonders an Festtagen, und zumal in der Synagoge, suchten die Weiber so viel Kleiderpracht als möglich gegen einander auszukramen, teils um sich beneiden zu lassen, teils um den Wohlstand und die Kreditfähigkeit ihrer Eheherrn darzutun.
Während nun unten in der Synagoge die Gesetzabschnitte aus den Büchern Mosis vorgelesen werden, pflegt dort die Andacht etwas nachzulassen. Mancher macht es sich bequem und setzt sich nieder, flüstert auch wohl mit einem Nachbar über weltliche Angelegenheiten, oder geht hinaus auf den Hof, um frische Luft zu schöpfen. Kleine Knaben nehmen sich unterdessen die Freiheit ihre Mütter in der Weiberabteilung zu besuchen, und hier hat alsdann die Andacht wohl noch größere Rückschritte gemacht; hier wird geplaudert, geruddelt, gelacht, und, wie es überall geschieht, die jüngeren Frauen scherzen über die alten, und diese klagen wieder über Leichtfertigkeit der Jugend und Verschlechterung der Zeiten. Gleichwie es aber unten in der Synagoge zu Frankfurt einen Vorsänger gab, so gab es in der obern Abteilung eine Vorklatscherin.”
von hier , geschrieben von Heinrich Heine im frühen 19. Jhd, spielt im 13. Jhd.
Kommt uns das bekannt vor? Manche Dinge haben offenbar eine lange Tradition, und lassen sich nicht so leicht ändern. (Kursive Hervorhebungen von mir.)
Geradezu aufrüttelnd finde ich dieses. Auch hier sieht man: das Problem ist nicht neu und nicht lokal.
Andererseits ein positives Beispiel:
„The Eisenmann Synagogue is an historic synagogue in Antwerp, Belgium. It was built by Jacob Eisenmann in 1907 and is the only synagogue in Antwerp to have survived the Holocaust and the Nazi occupation of Belgium.…
The tradition of the Jewish community in his native Frankfurt was close to his heart, and he was annoyed at the way of life of Eastern European immigrants brought to Antwerp. Specifically the lack of decorum during the tefillot and conversation during prayers that perturbed him. As a result, he decided to start his own minyan, one which the traditions of the Jewish community in Frankfurt, would be kept.” von hier
Tja, wie hier ja schon mehrfach festgestellt wurde, lag der alte König Schlomo wohl goldrichtig mit seiner Erkenntnis, dass es nun einmal nichts neues unter der Sonne gäbe. Schön, dass ich mich bezüglich der Wahrnehmung der betreffenden Verhaltensweisen in einer gemeinsamen Tradition mit dem großen Deutschen Dichter Heinrich Heine sehen darf – gleichwohl ich mir natürlich niemals anmaßen würde, es so unnachahmlich treffend ausdrücken zu können wie er…
Bewegend, und leider mehr als nur wahr.
Abwendbar? Modulierbar? Umkehrbar? Moeglicherweise,..lo alechah hamelachah ligmor…abrr hameluchah rabbah, da reicht EINER nicht aus, und Raw Julien, Assaf (mittlerweile im hlg Land), Benny P. (ideologisch zerbrochen aber dennoch seine Aura afrechterhaltend), Zwi Bebera und andere wenige in einem unsystematischen Erziehungswerk reichen wohl da nicht aus.
Bedauere Deinen Schritt hier nachgelesen haben zu muessen, verstee Dich aber nur zu gut.
Denke das Essen, lehre und Gesang in einem Prozess mit geballter edukativer kraft einiges bewirken koennten. Dazu bedarf es jedoch finanzieller Ressourcen, Man Power sowie Einsatzmittel, (Siddurim, Kurse und CD/Streaming), etwass mehr Volksnaehe und weniger Chassanutlaige Synagogale Weihestimmung, wenn auch nicht wild groehlende, permanent Carlebachsche Sangessimplizitaeten anstimmende Beseelte. Ob das Westened dies je (wieder/noch ?) erleben darf.…..
Ich fühle mich aufrichtig geehrt, dass Du den Weg zu meinem relativ unbekannten Blog gefunden hast. Vielen Dank auch für das Verständnis, das Du in Deinem Kommentar geäußert hast. Mir bleibt vorläufig nur, das weitere Geschehen im Westend als außenstehender Beobachter zu verfolgen. Man darf also gespannt bleiben…
„bezahlte Saalordner, welche die Betenden zur Ruhe ermahnen sollten“
Klingt ziemlich radikal, also habe ich mich gefragt, ob es dafür eine Quelle gibt.
Und tatsächlich: שבתי הורוויץ, Sohn des berühmten של“ה schreibt in seiner „Einleitung“ ווי העמודים (דף י„ז) zum berühmten Werk des Vaters, jede Gemeinde solle Aufseher anstellen, die gegen die Schwätzer wachen und diese öffentlich beschämen. (Veröffentlicht 1648, dem Jahr der Chmelnizki-Pogrome , in Amsterdam)
Wow! Er muss ziemlich frustriert über das Problem fehlender Andacht gewesen sein.
Pikant: Er war von 1632–1642 Oberrabbiner in Frankfurt.
Ein Schelm, wer böses dabei denkt…
P. S.: Eine englische Übersetzung der relevanten Passage gibt es hier , S. 17.
[…] sogar so unruhig, dass auch erfahrene Organisatoren das Handtuch werfen. Der (neue?) Blogger Daniel war wohl Organisator (Experten sprechen von einem Gabbaj) in der Westend-Synagoge (Frankfurt am […]
[…] Warum ich das Handtuch werfe – Bekenntnisse eines resignierten Gabbais 6. Oktober 2015 […]