Die Wur­zel der Irrationalität

Hal­lo Ihr Lieben,

in die­sem klei­nen Bei­trag woll­te ich im Zusam­men­hang mit mei­ner Bei­trags­se­rie „Vom Zäh­len zur Man­del­brot­men­ge” den tra­di­tio­nel­len Beweis dafür prä­sen­tie­ren, dass die Wur­zel aus 2 kei­ne ratio­na­le Zahl sein kann. Tat­säch­lich geht die­ser Beweis nach der­zei­ti­gem Kennt­nis­stand auf einen Pytha­go­re­er aus dem fünf­ten vor­christ­li­chen Jahr­hun­dert zurück (als Autor ver­mu­tet wird Hip­pa­sos von Meta­pont). Der Beweis ist also schon ziem­lich alt, hat aber in all den Jah­ren abso­lut nichts von sei­ner Aktua­li­tät eingebüßt.

Das ist einer der wirk­lich bestechen­den Vor­zü­ge der Mathe­ma­tik: ein­mal bewie­se­ne mathe­ma­ti­sche Sach­ver­hal­te gel­ten für die Ewig­keit. Wer sich also unsterb­lich machen will, muss im Grun­de nichts anders tun, als ein mög­lichst viel­be­ach­te­tes mathe­ma­ti­sches Theo­rem zu beweisen.

Habe ich viel­leicht gera­de Euer Inter­es­se geweckt? Der schnel­le Weg zur Unsterb­lich­keit? Tut Euch kei­nen Zwang an. Löst doch mal eben schnell eines der Mill­en­ni­um-Pro­ble­me und schon ist Euch welt­wei­te Bericht­erstat­tung in den Medi­en garan­tiert. Und die eine Mil­li­on Dol­lar als Preis­geld run­den die Sache ja dann doch schon irgend­wie anstän­dig ab, oder? Da kann man wahr­lich nicht meckern. Sagt mir bit­te Bescheid, sobald Ihr den Beweis habt. Vor allem den für das „P‑NP-Pro­blem“. Der wür­de mich wirk­lich interessieren.

Nun aber zu unse­rem alt­ehr­wür­di­gen Beweis:

Da wir bewei­sen wol­len, dass die Wur­zel aus 2 kei­ne ratio­na­le Zahl sein kann, es also kei­ne ratio­na­le Zahl gibt, die mit sich selbst mul­ti­pli­ziert 2 ergibt, bie­tet sich jenes Vor­ge­hen an, dass die Mathe­ma­ti­ker „Wider­spruchs­be­weis” nen­nen: man nimmt an, die Wur­zel aus 2 wäre eben gera­de doch ratio­nal und zeigt dann, dass die­se Annah­me letzt­lich auf einen logi­schen Wider­spruch führt. Dann näm­lich muss die Annah­me, es gäbe eine ratio­na­le Wur­zel aus 2, falsch sein (sonst wür­de sie nicht auf einen Wider­spruch füh­ren). Wenn es aber falsch ist anzu­neh­men, dass es eine ratio­na­le Wur­zel aus 2 gibt, dann ist das gleich­be­deu­tend damit, dass es kei­ne ratio­na­le Wur­zel aus 2 geben kann, was wir ja eigent­lich auch bewei­sen wollen.

Hach – ist Logik nicht ein­fach herr­lich logisch?

Neh­men wir jetzt also wirk­lich mal an, die Wur­zel aus 2 wäre ratio­nal. Dann heißt das aber nichts ande­res, als dass es eine ratio­na­le Zahl geben muss, die mit sich selbst mul­ti­pli­ziert 2 ergibt. Dann wie­der­um muss die­se Zahl als Bruch aus zwei gan­zen Zah­len a und b dar­stell­bar sein (wobei b ungleich 0 ist). Für die­sen Bruch „a/b” müss­te also gelten:

\frac{a}{b}\times\frac{a}{b} = 2

Für die wei­te­ren Über­le­gun­gen set­zen wir vor­aus, dass a und b kei­ne gemein­sa­men Tei­ler haben. Wie­so wir das vor­aus­set­zen dür­fen? Die Ant­wort folgt auf dem Fuße.

Tei­le mit Weile

Also: wie­so dür­fen wir jetzt ein­fach so anneh­men, dass a und b kei­nen gemein­sa­men Tei­ler haben? Ant­wort: na schön, wie Ihr wollt – dann neh­men wir halt doch erst ein­mal an, sie hät­ten einen gemein­sa­men Tei­ler – sagen wir die Zahl 5. Dann gäbe es zwei Zah­len c und d, für die gel­ten müss­te a = 5×c bzw. b = 5×d. Sol­che zwei Zah­len c und d muss es des­halb geben, weil ja a und b bei­de durch 5 teil­bar sein sol­len. Eine Zahl, die durch 5 teil­bar sein soll, ist aber nichts ande­res als ein Viel­fa­ches von 5. Unser a ist also das „c-Fache” von 5 für ein geeig­ne­tes c und unser b ent­spre­chend das „d-Fache” von 5 für ein geeig­ne­tes d. Wäre bei­spiels­wei­se a = 30 und b = 20, dann wäre c = 6 – wegen 30 = 5×6 – und d = 4 – wegen 20 = 5×4.

Unse­ren obi­gen Bruch könn­ten wir damit auch so schreiben:

\frac{a}{b} = \frac{5\times c}{5\times d}

Wenn wir uns an die in mei­nem eigens dafür ver­fass­ten Bei­trag reka­pi­tu­lier­ten Regeln für die Mul­ti­pli­ka­ti­on von Brü­chen erin­nern, steht da aber nichts ande­res als

\frac{a}{b} = \frac{5}{5}\times\frac{c}{d}

Da der Bruch 5/5 der Divi­si­on 5÷5 ent­spricht und eine Zahl durch sich selbst geteilt immer 1 ergibt, steht da wie­der­um nichts ande­res als:

\frac{a}{b} = 1\times\frac{c}{d} = \frac{c}{d}

Mit ande­ren Wor­ten: der Bruch c/d hät­te den­sel­ben Wert wie der Bruch a/b und wäre damit ins­be­son­de­re immer noch die Wur­zel aus 2, was wir ja gera­de von a/b ange­nom­men hat­ten. Der Unter­schied zwi­schen den bei­den Brü­chen ist jedoch, dass wir c/d in Zäh­ler und Nen­ner glei­cher­ma­ßen um einen gemein­sa­men Tei­ler – hier die 5 – ent­schlackt haben. Die­se Ent­schla­ckungs­kur kön­nen wir aber mit c/d fort­füh­ren und erhal­ten dann einen neu­en Bruch e/f, der wie­der­um die Wur­zel aus 2 ist und noch einen gemein­sa­men Tei­ler weni­ger in Zäh­ler und Nen­ner hat als c/d. Die­ses Spiel kann man dann solan­ge mit allen ver­blei­ben­den gemein­sa­men Tei­lern wei­ter­trei­ben, bis man schließ­lich zwei Zah­len x und y erhält, die über­haupt kei­nen gemein­sa­men Tei­ler mehr haben, für die aber wei­ter­hin x/y = a/b gilt, so dass die­ser Bruch damit immer noch die Wur­zel aus 2 ist.

Kurz: man kann zu jedem Bruch einen gleich­wer­ti­gen Bruch erzeu­gen, in wel­chem Zäh­ler und Nen­ner kei­ne gemein­sa­men Tei­ler mehr haben.

Weil das aber so ist, kön­nen wir – wie der Mathe­ma­ti­ker sagen wür­de – ohne Beschrän­kung der All­ge­mein­heit ein­fach anneh­men, dass wir die oben beschrie­be­ne Tei­ler­be­rei­ni­gung für unser ursprüng­li­ches a/b schon hin­ter uns haben. Falls nicht, füh­ren wir sie eben jetzt schnell noch durch und erhal­ten dann einen gleich­wer­ti­gen und gleich­zei­tig tei­ler­frei­en Bruch, denn wir ein­fach wie­der a/b nen­nen.

Ent­wur­zelt

Nun also zurück zu unse­rer Ausgangsgleichung:

\frac{a}{b}\times\frac{a}{b} = 2

Wie eben (hof­fent­lich über­zeu­gend) dar­ge­legt, dür­fen wir anneh­men, dass a und b kei­nen gemein­sa­men Tei­ler haben. Nach den Regeln für die Mul­ti­pli­ka­ti­on von Brü­chen (wie­der­um nach­zu­le­sen in mei­nem eigens dafür ver­fass­ten Bei­trag) ent­spricht die obi­ge Glei­chung aber gera­de der fol­gen­den Gleichung:

\frac{a\times a}{b\times b} = 2

Das heißt aber, dass a×a dop­pelt so groß sein muss wie b×b, denn sonst wür­de bei der durch den Bruch reprä­sen­tier­ten Divi­si­on nicht 2 rauskommen:

a\times a = 2\times (b\times b)

a×a muss dann aber eine gera­de Zahl sein, denn es ist ja ein Viel­fa­ches von 2 (also durch 2 teil­bar) und genau das ist nun ein­mal die Defi­ni­ti­on von gera­den Zahlen.

Damit bei der Mul­ti­pli­ka­ti­on einer Zahl mit sich selbst eine gera­de Zahl her­aus­kommt, muss die Zahl selbst jedoch gera­de sein (wer’s nicht glaubt, pro­bie­re doch ein­fach mal, eine belie­bi­ge unge­ra­de Zahl mit sich selbst zu mul­ti­pli­zie­ren – wet­ten, es kommt nie eine gera­de Zahl her­aus?). Also ist a selbst von der Form 2×c für ein geeig­ne­tes c, denn jede gera­de Zahl ist per defi­ni­tio­nem durch 2 teil­bar und damit ein Viel­fa­ches von 2. Wir kön­nen a in unse­rer Glei­chung dem­nach durch 2×c erset­zen und unse­re Glei­chung damit so schreiben:

\underbrace{2\times c}_a\times \underbrace{2\times c}_a = 2\times (b\times b)

Aus didak­ti­schen Grün­den fügen wir noch ein paar Klam­mern ein:

2\times (c\times 2\times c) = 2\times (b\times b)

Wir sehen, dass hier die Gleich­heit von etwas Zwei­fa­chem links mit dem Zwei­fa­chen von etwas Rechts gefor­dert wird. Dann ist aber auch das Ein­fa­che links gleich dem Ein­fa­chen rechts:

Also schmei­ßen wir die 2 ein­fach auf bei­den Sei­ten raus und schrei­ben unse­re Glei­chung damit so:

c\times 2\times c = b\times b

Wir erin­nern uns dar­an, dass es bei hin­ter­ein­an­der aus­zu­füh­ren­den Mul­ti­pli­ka­tio­nen nicht auf die Rei­hen­fol­ge ankommt und ver­tau­schen daher aus didak­ti­schen Grün­den die bei­den links­äu­ßers­ten Fak­to­ren „c” und „2” und umge­ben sie aus didak­ti­schen Grün­den mit Klammern:

2\times (c\times c) = b\times b

Jetzt sehen wir, dass b×b aber eben­falls gera­de sein muss, denn es ist ja das Dop­pel­te von c×c und damit ein Viel­fa­ches von 2. Mit der­sel­ben Über­le­gung, die wir oben für a ange­stellt haben, kön­nen wir daher auch gleich für b schlie­ßen, dass es damit selbst eine gera­de Zahl (also ein Viel­fa­ches von 2) sein muss. Dem­nach ist b also von der Form 2×d für ein geeig­ne­tes d. Unser Aus­gangs­bruch a/b, von dem wir ange­nom­men hat­ten, er wäre die Wur­zel aus 2, kann daher auch so geschrie­ben werden:

\frac{a}{b}=\frac{\overbrace{2\times c}^a}{\underbrace{2\times d}_b}

Hä? Wir hat­ten doch oben lang­at­mig erklärt, war­um wir anneh­men dür­fen (und es auch getan haben), dass a und b eben gera­de kei­ne gemein­sa­men Tei­ler mehr haben und jetzt sind doch wie­der bei­de Viel­fa­che von 2 und damit bei­de durch 2 teil­bar? Wenn a/b also der Wur­zel aus 2 ent­spre­chen soll, dann müs­sen a und b zur glei­chen Zeit kei­nen gemein­sa­men Tei­ler haben und den­noch bei­de durch 2 teil­bar sein. Genau solch eine Situa­ti­on nennt der Mathe­ma­ti­ker einen Wider­spruch, und dass wir auf einen sol­chen gesto­ßen sind zeigt, wie ein­gangs erläu­tert, dass unse­re Grund­an­nah­me, es gäbe einen Bruch a/b, der mit sich selbst mul­ti­pli­ziert 2 ergibt, wider­sprüch­lich und damit falsch ist.

Also gibt es kei­nen Bruch, den man mit sich selbst mul­ti­pli­zie­ren kann, so dass 2 her­aus­kommt, und die Wur­zel aus 2 ist damit kei­ne ratio­na­le Zahl. Quod erat demonstrandum.

Alles Lie­be

Dani­el

2 Kommentare

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  • Du klag­test zuvor, die­ser Beweis sei nicht anschau­lich. Ich stim­me dir zu: Wider­spruchs­be­wei­se sind nie „anschau­lich” (und erst recht nicht, wenn sie die Exis­tenz von etwas bewei­sen sol­len — was hier natür­lich nicht der Fall ist). Aber man kann eine halb­wegs rich­ti­ge Anschau­ung extra­hie­ren: Die Wur­zel aus zwei ist kein Bruch, weil Zäh­ler und Nen­ner belie­big groß wer­den müss­ten, wenn man die Wur­zel aus zwei exak­te aus­drü­cken woll­te. Anders gesagt: Belie­big gut appro­xi­mie­ren erlaubt; errei­chen verboten.

    • Dan­ke für die Rückmeldung.

      Also — die Exis­tenz eines mathe­ma­ti­schen Objekts zu wider­le­gen, ist ohne Wider­spruchs­be­weis nicht mög­lich. Es soll ja gera­de gezeigt wer­den, dass die Exis­tenz des betref­fen­den Objekts aus denk­ge­setz­li­chen Erwä­gun­gen her­aus aus­ge­schlos­sen ist. Und das ist gleich­be­deu­tend damit, dass die Annah­me der Exis­tenz die­ses Objekts auf einen logi­schen Wider­spruch führt.

      Etwas ande­res wäre es, wenn man — wie in der Mathe­ma­tik durch­aus üblich — die Exis­tenz eines Objekts bewei­sen will, indem man annimmt, es gäbe die­ses Objekt gera­de nicht und die­se Annah­me dann auf einen Wider­spruch führt. Das wäre in der Tat unkon­struk­tiv, denn man hät­te streng genom­men nur bewie­sen, dass die Nicht­exis­tenz des betref­fen­den Objekts kate­go­risch aus­ge­schlos­sen wer­den kann. Über kon­kre­te Eigen­schaf­ten eines sol­chen Objekts hat man mit so einer Beweis­füh­rung in der Regel aller­dings kei­nen Erkennt­nis­ge­winn erzeugt. Das wirft die Fra­ge nach der Sinn­haf­tig­keit einer sol­chen Beweis­füh­rung auf. 

      Dazu gab es im ers­ten Drit­tel des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts eine recht kon­tro­ver­se Dis­kus­si­on unter den ein­schlä­gi­gen Logik-Gurus — ins­be­son­de­re auf Basis vehe­ment vor­ge­tra­ge­ner Kri­tik von Sei­ten der Ver­tre­ter der soge­nann­ten „intui­tio­nis­ti­schen Logik”, die genau dar­auf abziel­te, der­ar­ti­ge nicht-kon­struk­ti­ve Beweis­füh­run­gen als unzu­läs­sig zu betrach­ten. Wirk­lich durch­ge­setzt hat sich das aber, bis auf ganz weni­ge Nischen­be­rei­che, nicht.

      Dei­ne Gedan­ken dazu, war­um die Wur­zel aus 2 kein Bruch sein kann, stel­len auf die Struk­tur der irra­tio­na­len Zah­len ab. Das setzt aller­dings vor­aus, dass man bereits von der Exis­tenz irra­tio­na­ler Zah­len Kennt­nis hat und ihre Eigen­schaf­ten kennt. Dies wie­der­um setzt vor­aus, dass man über­haupt erst ein­mal zei­gen kann, war­um es Zah­len gibt, die nicht ratio­nal sein kön­nen — also etwa die Wur­zel aus 2. Inso­fern ersetzt das nicht den guten alten Beweis, den ich hier zu reka­pi­tu­lie­ren ver­sucht habe…

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