Die Kro­ne der Glo­ba­li­sie­rung – Bestands­auf­nah­me zu Coro­na & Co.

Hal­lo Ihr Lieben,

jetzt habe ich doch end­lich mal ein The­ma gefun­den, das ganz ohne Zwei­fel uns alle angeht: die aktu­ell gras­sie­ren­de SARS-CoV-2-(„Coronavirus”)-Pandemie und die sicher nicht min­der hef­tig gras­sie­ren­de Hys­te­rie um eben jenes pan­de­mi­sche Gesche­hen. Nein, dass soll jetzt kein oppor­tu­nis­ti­scher Ver­such wer­den, mei­nem Blog mehr Auf­merk­sam­keit zu ver­lei­hen, indem ich scham­los auf dem Tritt­brett der gegen­wär­ti­gen Popu­la­ri­tät die­ses The­mas mit­fah­re. Viel­mehr ver­brin­ge ich, wie die Meis­ten von Euch ver­mut­lich auch, in den letz­ten Wochen gefühlt fast den gan­zen Tag auf die eine oder ande­re Wei­se mit Coro­na & Co – sei es über sozia­le Netz­wer­ke und Medi­en, sei es im Gespräch mit Fami­lie, Freun­den und Bekann­ten, sei es auf der ver­zwei­fel­ten Suche nach belast­ba­ren Sach­in­for­ma­tio­nen im Word-Wide-Web  oder sei es grü­belnd beim Ein­schla­fen (das mir aus eben die­sem Grund in letz­ter Zeit sicher nicht leich­ter fällt). Mag sein, dass glück­li­cher­wei­se nur Bruch­tei­le einer Pro­mil­le aller Men­schen die­ser glo­ba­li­sier­ten Welt tat­säch­lich mit dem SARS-CoV-2-Erre­ger infi­ziert wor­den sind: Coro­na hat uns alle schon längst erreicht, und die damit ein­her­ge­hen­den Sor­gen und Ängs­te machen uns unter Umstän­den kran­ker, als es der Erre­ger jemals tun könnte.

So gese­hen, schrei­be ich mir also mit die­sem Bei­trag sicher auch ein wenig mei­ne eige­nen Sor­gen und Ängs­te von der See­le. Betrach­tet das also ger­ne als eine Art Selbst­the­ra­pie. Soll mir recht sein. Tat­sa­che ist aber, dass mir in die­ser gan­zen Coro­na-Grü­be­lei so man­cher Gedan­ke gekom­men ist, der es viel­leicht wert wäre, mit mei­ner sozia­len Umwelt geteilt zu wer­den, und so viel­leicht dazu bei­trägt, einen wort­wört­lich gesün­de­ren Umgang mit der Pan­de­mie zu erwirken.

Wis­sen ist Macht

Allent­hal­ben wird es ja in die­sen Tagen immer wie­der pos­tu­liert: man sol­le sich in Sachen Coro­na nicht von Halb­wahr­hei­ten oder bewusst lan­cier­ten Fake-News ver­wir­ren las­sen, son­dern sich statt­des­sen an den Fak­ten ori­en­tie­ren. Leicht gesagt. Wenn man nur wüss­te, wel­ches aus all der Flut an Infor­ma­tio­nen in Medi­en und Word-Wide-Web die wirk­li­chen Fak­ten und eben kei­ne Spe­ku­la­tio­nen oder schie­re Panik­ma­che sind. Es bie­tet sich einem ja aktu­ell der untrüg­li­che Ein­druck, dass nicht ein­mal die ein­schlä­gi­gen Fach­leu­te in all ihren Ver­öf­fent­li­chun­gen, Pres­se­kon­fe­ren­zen, Inter­views und Talk­show-Auf­trit­ten so wirk­lich genau wis­sen, was Sache ist. Und auch am Ende meh­re­rer Wochen der gera­de­zu beses­se­nen Suche nach irgend­wel­chen greif­ba­ren fun­dier­ten Erkennt­nis­sen darf ich als Zwi­schen­bi­lanz ver­kün­den, dass ich nir­gends wirk­lich fün­dig gewor­den bin.

Im Wesent­li­chen scheint es dar­an zu lie­gen, dass es aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht ein­fach noch zu früh ist, belast­ba­re Aus­sa­gen über den Erre­ger, sei­ne patho­ge­ne Wir­kung und sei­ne Ver­brei­tung sowie über den epi­de­mio­lo­gi­schen Ver­lauf der Pan­de­mie zu machen. Dazu bräuch­te man die sta­tis­tisch rele­van­ten gro­ßen Zah­len, die es der­zeit nur aus Chi­na gibt und deren Objek­ti­vi­tät inso­fern ange­zwei­felt wer­den darf, denn es han­delt sich hier um Bekannt­ma­chun­gen eines tota­li­tä­ren Regimes, das sich nicht ent­blö­det hat, die ursprüng­li­che Aus­brei­tung des Virus zunächst tot­zu­schwei­gen und auch noch alle Ärz­te mund­tot zu machen, die es den­noch gewagt haben, vor einer neu­en Epi­de­mie zu war­nen. Im Grun­de bräuch­ten wir also aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht jetzt genau die Zah­len, deren Ent­ste­hung wir gera­de mit allen mög­li­chen Ein­däm­mungs­maß­nah­men zu ver­hin­dern versuchen.

Aus aktu­el­ler Selbst­er­fah­rung kann ich außer­dem nur davon abra­ten, sich in der ver­zwei­fel­ten Suche nach objek­ti­ven Infor­ma­tio­nen auf all jene Web­sites zu stür­zen, in denen die aktu­el­len welt­wei­ten Fall­zah­len für Infek­tio­nen, Todes­fäl­le und Hei­lun­gen teil­wei­se sogar in Echt­zeit ver­öf­fent­licht und in sehr plas­ti­scher Wei­se visua­li­siert wer­den. Nicht nur, weil etwa die ger­ne gewähl­te Dar­stel­lung mit knall­ro­ten Krei­sen, die wie Pickel auf der Welt­kar­te zu sprie­ßen und gren­zen­los – ja gera­de­zu geschwür­ar­tig – zu wach­sen schei­nen, dafür sorgt, dass die Infek­ti­ons­aus­brei­tung in ihrer glo­ba­len Bedeu­tung voll­kom­men über­zeich­net wird und so vor allem unse­re Unter­gangs­fan­ta­sien anregt.

Nein, es geht auch um die Fra­ge, was die­se Zah­len eigent­lich aus­sa­gen. Die meis­ten der im Web abruf­ba­ren Zah­len­samm­lun­gen bezie­hen ihre Infor­ma­tio­nen aus den jewei­li­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen der Behör­den in den ein­zel­nen betrof­fe­nen Län­dern. Und da fängt es ja schon mal an: erfol­gen die­se Ver­öf­fent­li­chun­gen auch nur annä­hernd nach den­sel­ben Kri­te­ri­en? Wie gehen etwa tota­li­tä­re Regime mit die­sen Zah­len um? Nach wel­chen Stan­dards wird über­haupt beur­teilt, wer ernst und/oder kri­tisch erkrankt ist? Wer­den die Infi­zier­ten im Rah­men weit­räu­mi­ger Scree­ning-Pro­gram­me ermit­telt oder erst dann, wenn sie schon halb­tot in die Kran­ken­häu­ser kom­men? Wie viel Zeit ver­geht zwi­schen dem Abstrich beim Pati­en­ten und dem Vor­lie­gen der Labor­er­geb­nis­se? Wann gilt jemand als genesen?

Sicher, es gibt WHO-Stan­dards für sowas. Aber wer­den sie über­all ein­ge­hal­ten? In den USA hat man ja zu Anfang nicht ein­mal den SARS-CoV-2-Test der WHO ver­wen­det. Es ist also schon mal höchst unsi­cher, ob man die Zah­len aus dem einen Land mit den­je­ni­gen aus einem ande­ren Land über­haupt grund­sätz­lich ver­glei­chen kann. Aber blei­ben wir mal bei den Zah­len für ein kon­kre­tes Land. Was genau sagen uns die Zahlen?

Die Spra­che der Zahlen

Ein wohl­be­kann­tes Pos­tu­lat der empi­ri­schen For­schung lautet:

Kor­re­la­ti­on ist noch kei­ne Kausalität!

Oft haben kor­re­lier­te Beob­ach­tun­gen bei­spiels­wei­se ein­fach nur eine gemein­sa­me Ursa­che, hän­gen aber nicht direkt von­ein­an­der ab. So kor­re­liert bei uns in den Som­mer­mo­na­ten der Kon­sum an Spei­se­eis erkenn­bar mit der Anzahl an Son­nen­brän­den: bei­des nimmt auf ver­blüf­fend par­al­le­le Wei­se zu, je wär­mer und son­ni­ger es drau­ßen wird. Des­we­gen kriegt man aber noch lan­ge kei­nen Son­nen­brand vom Eis­essen. Bei­des sind ledig­lich von­ein­an­der unab­hän­gi­ge Fol­gen des Wet­ters. Allei­ne auf Basis empi­risch erfass­ter Zah­len­rei­hen las­sen sich also kei­ne Kau­sa­li­tä­ten nachweisen.

Ähn­li­ches gilt für den Umgang mit den Pan­de­mie-Zah­len. Die Anzahl fest­ge­stell­ter Infek­tio­nen könn­te etwa einen Anhalts­punkt dafür geben, wie schnell sich die Infek­ti­on aus­brei­tet. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn auch wirk­lich flä­chen­de­ckend nach sta­tis­ti­schen Vor­ga­ben Stich­pro­ben gemacht wür­den. In Wahr­heit zei­gen die Zah­len ledig­lich, wie vie­le Infi­zier­te zu einem gege­be­nen Zeit­punkt vom Gesund­heits­sys­tem erfasst wur­den. Sie zei­gen also ins­be­son­de­re nicht, wie vie­le Infi­zier­te her­um­lau­fen, ohne erfasst wor­den zu sein – zum Bei­spiel, weil sie kei­ner­lei oder nur gerin­ge Beschwer­den haben oder es vor­zie­hen, sich gar nicht erst behörd­lich zu mel­den. Und schon gar nicht zei­gen sie, wer alles nicht infi­ziert wor­den ist, obwohl er Kon­takt zu Infi­zier­ten Per­so­nen hat­te. Sol­che Per­so­nen müss­ten aber eigent­lich gera­de erfasst wer­den, um einen Anhalts­punkt zu lie­fern, wie vie­le Men­schen von Vor­ne­her­ein gegen den SARS-CoV-2-Erre­ger resis­tent sind. Das wie­der­um hät­te ent­schei­den­den Ein­fluss dar­auf, wie schnell und vor allem wie weit sich die Infek­ti­on über­haupt aus­brei­ten kann, denn grö­ße­re Clus­ter immu­ner Men­schen wir­ken wie Brand­schnei­sen in einem Wald­ge­biet: sie ver­hin­dern die Aus­brei­tung der Infek­ti­on, sobald sie bis zu ihnen gelangt ist.

Schau­en wir uns dazu mal die Zah­len vom Kreuz­fahrt­schiff „Dia­mond Prin­cess” an, das ja zu Anfang des Coro­na-Hypes über­all in die Schlag­zei­len gera­ten war. Die Dia­mond Prin­cess ist nach mei­ner Kennt­nis der ein­zi­ge Fall, in der ein voll­stän­di­ger Durch­lauf des gesam­ten Epi­de­mie-Ver­laufs qua­si unter Labor­be­din­gun­gen beob­ach­tet wer­den konn­te. Das begann so:

Ein japa­ni­scher Pas­sa­gier, der am 25. Janu­ar 2020 in Hong­kong von Bord des Schiffs gegan­gen war, wur­de am 1. Febru­ar posi­tiv auf SARS-CoV‑2 getes­tet. Am 4. Febru­ar wur­den dann zehn SARS-CoV-2-Infek­tio­nen an Bord des Schif­fes nach­ge­wie­sen, das aus die­sem Grund noch am sel­ben Tag unter Qua­ran­tä­ne gestellt wur­de. Die Infek­ti­on hat­te sich also zu die­sem Zeit­punkt min­des­tens neun Tage lang voll­kom­men unge­hin­dert von irgend­wel­chen Ein­däm­mungs­maß­nah­men in einer sehr dicht an Bord leben­den Popu­la­ti­on von rund 3.700 Per­so­nen (Pas­sa­gie­re plus Besat­zung) aus­brei­ten kön­nen. Der wei­te­re Ver­lauf ist in fol­gen­dem Dia­gramm dokumentiert:

Quel­le: Wiki­pe­dia

Wir sehen dort, dass am 5. März ins­ge­samt 3.618 Per­so­nen an Bord des Schif­fes auf Infek­ti­on mit dem SARS-CoV-2-Virus getes­tet wur­den, womit alle Per­so­nen an Bord voll­stän­dig erfasst wor­den sind. Davon waren am sel­ben Tag 696 mit dem Virus infi­ziert, 410 davon sym­ptom­los. Ins­ge­samt gab es übri­gens 7 Todes­fäl­le auf der Dia­mond Prin­cess, 6 davon waren über 70 Jah­re alt (davon wie­der­um min­des­tens drei über 80 Jah­re alt) und von einem konn­te ich kei­ne Infor­ma­tio­nen über sein Alter fin­den. Wie oben dar­ge­legt, konn­te sich die Infek­ti­on zumin­dest neun Tage lang unter gera­de­zu idea­len Bedin­gun­gen hem­mungs­los aus­brei­ten, da bis dahin kei­ner­lei Maß­nah­men zur Abschot­tung der Men­schen von­ein­an­der getrof­fen wur­den. Im Gegen­teil: im Bord­thea­ter, auf dem Son­nen­deck, im Haupt­re­stau­rant und in den vie­len ande­ren Attrak­tio­nen des Schif­fes kle­ben die Gäs­te übli­cher­wei­se in gro­ßen Trau­ben eng anein­an­der. Die Crew hin­ge­gen lebt ohne­hin auf sehr engem Raum – schon allei­ne wegen der platz­spa­rend aus­ge­leg­ten Mann­schafts­quar­tie­re. Kurz: wenn eine Infek­ti­on sich maxi­mal aus­brei­ten kann, dann unter die­sen Bedingungen.

Und was ist objek­tiv pas­siert? Es haben sich gera­de mal 20% der Per­so­nen an Bord über­haupt ange­steckt. Davon wie­der­um waren 57% sym­ptom­los. Blei­ben 286, bei denen sich die COVID-19-Krank­heit über­haupt in der einen oder ande­ren Form kli­nisch mani­fes­tiert hat. Das sind ledig­lich 8% aller Per­so­nen an Bord. Gestor­ben sind sie­ben Per­so­nen, von denen zumin­dest sechs ein­deu­tig älte­re bis sehr alte Semes­ter waren. Über Vor­er­kran­kun­gen konn­te ich nichts fin­den, aber nach mei­ner eige­nen Erfah­rung auf diver­sen Kreuz­fahrt­schif­fen, trifft man dort eine Men­ge Rau­cher und vor allem eine Men­ge hoch­gra­dig adi­pö­ser Men­schen, von denen nicht weni­ge die klas­si­schen Risi­ko­fak­to­ren wie Herz-Kreis­lauf-Insuf­fi­zi­en­zen und Dia­be­tes Mel­li­tus in sich tra­gen dürften.

Also – in die­ser für die Ver­brei­tung des Erre­gers nahe­zu opti­ma­len Umge­bung haben wir 80% offen­bar immu­ne Per­so­nen, wei­te­re 12% mit sym­ptom­lo­sen Erkran­kun­gen, 8% kli­ni­sche Mani­fes­ta­tio­nen von COVID-19 und 0,2% Todes­fäl­le – davon ent­stam­men bis auf einen unge­klär­ten Fall alle ande­ren genau den­sel­ben Risi­ko­grup­pen, die auch bei Influ­en­za-Infek­tio­nen mit schwe­ren bis töd­li­chen Ver­läu­fen rech­nen müssten.

Ob die­se Zah­len für all­ge­mei­ne­re und grö­ße­re Stich­pro­ben reprä­sen­ta­tiv sind, kann ich nicht qua­li­fi­ziert beur­tei­len. Aber wenn sie es wären, hie­ße das, dass sich nur rund 20% aller Men­schen über­haupt mit dem SARS-CoV-2-Erre­ger anste­cken kön­nen. Alle ande­ren sind sowie­so schon immun. Das ist nicht mehr sehr weit weg von den Grö­ßen­ord­nun­gen, die selbst bei Mumps oder Masern für die viel­zi­tier­te Her­den­im­mu­ni­tät not­wen­dig sind. In einem Land wie Deutsch­land wäre nach die­sen Zah­len also auch ohne jed­we­de Ein­däm­mungs­maß­nah­men mit einem theo­re­ti­schen Maxi­mum an 6,5 Mil­lio­nen kli­ni­schen Mani­fes­ta­tio­nen und knapp 165.000 Todes­fäl­len – über­wie­gend inner­halb der übli­chen Risi­ko­grup­pen – zu rechnen.

Das ist jetzt sicher kein Grund irgend­et­was zu baga­tel­li­sie­ren. Und es ist ja auch kei­nes­wegs gesagt, dass die Zah­len von der Dia­mond Prin­cess reprä­sen­ta­tiv für Deutsch­land sind. Aller­dings sind es die ein­zi­gen Zah­len, die ich fin­den konn­te, bei denen die Gesamt­po­pu­la­ti­on bis zum voll­stän­di­gen Ende des Epi­de­mie­ver­laufs sys­te­ma­tisch getes­tet wur­de. Und man muss noch­mals beto­nen, dass die Betrof­fe­nen hier alle auf engs­tem Raum zusam­men­ge­lebt haben.

Jeden­falls rela­ti­viert sich ange­sichts die­ser Zah­len alle­mal das anfangs noch ver­brei­te­te Schre­ckens­sze­na­rio einer aggres­siv gras­sie­ren­den Pan­de­mie, der wir alle­samt zum Opfer fal­len wer­den, weil ins­be­son­de­re jun­ge, gesun­de Men­schen wie die Flie­gen mas­sen­wei­se davon hin­ge­rafft wer­den. Und mit eini­ger­ma­ßen kon­se­quen­ten Ein­däm­mungs­maß­nah­men, wie sie in Chi­na und Süd­ko­rea – sofern man den ver­öf­fent­lich­ten Zah­len über­haupt glau­ben schen­ken darf – offen­bar erfolg­reich umge­setzt wer­den konn­ten, lie­ßen sich die Modell­rech­nun­gen von der Dia­mond Prin­cess wohl noch­mals deut­lich nach unten korrigieren.

Out of the Box

All die­se Ein­sich­ten stam­men natür­lich nicht von mir. Dazu bin ich ja nun auch wahr­lich nicht qua­li­fi­ziert. Ich habe sie statt­des­sen in einem kur­zen aber prä­gnan­ten Arti­kel aus der Jeru­sa­lem Post vom 16.3.2020 gefun­den. Er berich­tet vom Bio­phy­si­ker und Nobel­preis­trä­ger Micha­el Levitt, der sich inten­siv mit den Zah­len aus Chi­na befast hat und schon Mit­te Febru­ar 2020 vor­her­zu­sa­gen in der Lage war, dass es zwei Wochen spä­ter zu einer Trend­wen­de und Ende März zu einem voll­stän­di­gen Erlie­gen der Epi­de­mie in Chi­na kom­men wür­de. Als ich die­sen Arti­kel gele­sen hat­te, wur­de mir zum ers­ten Mal klar, dass es eben nicht nur um die rei­nen Zah­len geht, son­dern vor allem um jene Kau­sal­zu­sam­men­hän­ge, die man ihnen unter Umstän­den eben gera­de nicht anse­hen kann.

So argu­men­tiert Levitt, dass die all­ge­mein pos­tu­lier­te expo­nen­ti­el­le Wachs­tums­ra­te einer Infek­ti­ons­aus­brei­tung unse­ren tat­säch­li­chen Lebens­ver­hält­nis­sen nicht gerecht wird. Wir begeg­nen in unse­rem All­tags­le­ben nicht immer und immer wie­der neu­en Men­schen, die wir anste­cken kön­nen, son­dern bewe­gen uns viel­mehr weit­ge­hend in einer kon­stan­ten sozia­len Umge­bung. Die­ser Umstand gepaart mit der Annah­me, dass es offen­bar bereits ein hohes Maß an natur­ge­ge­be­ner Immu­ni­tät gegen den Erre­ger in der Bevöl­ke­rung gibt, sorgt dafür, dass die Neu­in­fek­ti­ons­zah­len ab einem gewis­sen Punkt qua­si von allei­ne wie­der zurück­ge­hen, denn jeder Infi­zier­te trifft dann immer häu­fi­ger auf einen ent­we­der sowie­so immu­nen Mit­men­schen oder einen sol­chen, der auf­grund einer über­stan­de­nen Infek­ti­on immu­ni­siert wor­den ist. Auf die­se Wei­se gelangt die Infek­ti­ons­aus­brei­tung rela­tiv schnell wie­der zu einem Stillstand.

Wo aber kom­men dann die Hor­ror­sze­na­ri­en her, die uns aus Ita­li­en, Frank­reich und Spa­ni­en gemel­det und vor allem sehr plas­tisch von den Medi­en frei Haus in unse­re Smart­phones gelie­fert werden?

Auch dazu hat Levitt eine kla­re Mei­nung, die ich einem wei­te­ren Arti­kel aus der Jeru­sa­lem Post ent­nom­men habe. Er ver­weist dar­in auf etwas, das ich schon lan­ge ver­mu­tet habe: es hat kei­nen Sinn, sich die Anzahl an Infi­zier­ten anzu­se­hen. Maß­ge­bend sind letzt­lich nur die gezähl­ten Todes­fäl­le. Der Grund: ob und wenn ja wann, wie gründ­lich, wie umfas­send und wie zuver­läs­sig die Infi­zier­ten über­haupt fest­ge­stellt wer­den, ist von Land zu Land unter­schied­lich. Wie bereits oben aus­ge­führt, hat jedes Land so sei­ne eige­ne Her­an­ge­hens­wei­se. Wäh­rend Deutsch­land bei­spiels­wei­se ziem­lich vor­aus­schau­end das gesam­te sozia­le Umfeld von bereits nach­ge­wie­sen Infi­zier­ten auf Infek­ti­on tes­tet und damit Infi­zier­te zu einen Zeit­punkt erfasst, zu dem die Infek­ti­on sich kli­nisch oft noch gar nicht mani­fes­tiert hat, wer­den die Infi­zier­ten in and­ren Län­dern erst erfasst, wenn sie auf­grund auf­fäl­li­ger Beschwer­den ins Kran­ken­haus ein­ge­lie­fert werden.

Bei Todes­fäl­len ist das anders: dass jemand tot ist, lässt sich jen­seits von kul­tur- und tra­di­ti­ons­gren­zen ziem­lich zuver­läs­sig und objek­tiv fest­stel­len. Und dass er an COVID-19 ver­stor­ben ist, kann man zumin­dest mit hoher Wahr­schein­lich­keit fest­stel­len. Die fest­ge­stell­te Anzahl an Todes­fäl­len unter­liegt daher sehr viel weni­ger lan­des­spe­zi­fi­schen Schwan­kun­gen als die Anzahl an Infek­tio­nen. Klar: dass etwa der Iran so wirk­lich alle COVID-19-beding­ten Todes­fäl­le bereit­wil­lig ver­öf­fent­licht, kann aus gutem Grund bezwei­felt wer­den. Aber von sol­chen regi­me­ab­hän­gi­gen Fak­to­ren ein­mal abge­se­hen, sind die Todes­fall­zah­len ein recht ein­heit­li­ches Maß für den jewei­li­gen Epidemieverlauf.

Von der oben dar­ge­leg­ten „Labor-Situa­ti­on” auf der Dia­mond Prin­cess aus­ge­hend, kann man ziem­lich klar erken­nen, dass die Anzahl der Infi­zier­ten min­des­tens um den Fak­tor 100 über der Anzahl der Todes­fäl­le liegt. Die dort fest­ge­stell­ten Todes­fäl­le ereig­ne­ten sich zwi­schen dem 20. Febru­ar und dem 6. März 2020 – also ab einem Zeit­punkt, zu dem bereits 634 Infek­ti­ons­fäl­le bestä­tigt waren. Sofern man die­se Beob­ach­tung zugrun­de­legt, kann man also davon aus­ge­hen dass zu einem belie­bi­gen Zeit­punkt auf jeden Todes­fall min­des­tens mal das Hun­dert­fa­che an Infek­ti­ons­fäl­len kommt – in der Anfangs­zeit sogar eher das Vier- bis Fünfhundertfache.

Schau­en wir uns mit die­sen Über­le­gun­gen aus­ge­stat­tet mal die Todes­fall­zah­len in Ita­li­en zwi­schen dem 24. Febru­ar 2020 und dem 18 März 2020 an:

Quel­le: worl­do­me­ter

Man sieht, dass die ers­ten nen­nens­wer­ten Fall­zah­len Anfang März zusam­men­ge­kom­men waren. So waren es 41 Fäl­le am 1. März. Nach der obi­gen Über­le­gung müss­te es also zu die­sem Zeit­punkt min­des­tens mal das Hun­dert­fa­che – also 4.100 – an Infek­ti­ons­fäl­len gege­ben haben. Wer­fen wir also dann auch mal einen Blick auf die Infek­ti­ons­zah­len in Ita­li­en im sel­ben Zeitraum:

Quel­le: worl­do­me­ter

Am 1. März wur­den in Ita­li­en dem­nach gera­de mal 1.701 Infek­tio­nen bestä­tigt. Also ledig­lich ein Drit­tel der mut­maß­li­chen Min­dest­an­zahl tat­säch­li­cher Infek­tio­nen. Am 15. März waren bereits gut 1.800 Todes­fäl­le zu bekla­gen, wäh­rend dem­ge­gen­über noch knapp unter 25.000 Infi­zier­te anstel­le der rech­ne­ri­schen Min­dest­an­zahl von 180.000 gemel­det wur­den – also nur ein Sieb­tel der ver­mu­te­ten Anzahl an tat­säch­lich Infi­zier­ten. Mit ande­ren Wor­ten: Ita­li­en hat die Epi­de­mie bis Anfang März prak­tisch kom­plett ver­schla­fen und über­haupt erst ange­fan­gen, nach Infi­zier­ten zu suchen, als bereits Men­schen an COVID-19 zu ster­ben began­nen. Die bei­den obi­gen Kur­ven, also Infek­ti­ons­zah­len und Todes­fall­zah­len, lau­fen daher prak­tisch par­al­lel. Nor­ma­ler­wei­se müss­te die Todes­fall­kur­ve der Infek­ti­ons­kur­ve um min­des­tens zwei Wochen hin­ter­her­lau­fen, denn laut Worl­do­me­ter dau­ert es allei­ne schon so lan­ge bis es nach dem ers­ten Auf­tre­ten von Beschwer­den zum Ver­ster­ben des Pati­en­ten kommt.

Von die­sen Zustän­den sind wir in Deutsch­land noch recht weit ent­fernt. Wir hat­ten in Deutsch­land die ers­ten bei­den Todes­fäl­le am 9. März 2020 zu bekla­gen, als bereits über 1.200 Infek­ti­ons­fäl­le gemel­det waren. Per 19.3.2020 hat es den Anschein, als wür­den sich nun auch die Todes­fall­zah­len schnel­ler erhö­hen, aber man kann etwa an der Todes­fall­sta­tis­tik von Süd­ko­rea erken­nen, dass die Ver­läu­fe am Anfang noch sehr unste­tig sind:

Quel­le: worl­do­me­ter

Ein kla­rer Trend lässt sich dort auch nach fast einem Monat nicht erken­nen. Jeden­falls ist das ein­deu­tig kein expo­nen­ti­el­ler Ver­lauf. Das dürf­te dar­an lie­gen, dass Süd­ko­rea mit Ein­däm­mungs­maß­nah­men zu einem Zeit­punkt begon­nen hat, als die Fall­zah­len noch über­schau­bar waren. Ähn­li­ches könn­te auch in Deutsch­land gelingen.

Der unbe­kann­te Mahner

Immer kla­rer scheint auch zu wer­den, dass die Todes­fäl­le fast aus­schließ­lich in jenen Risi­ko­grup­pen zu fin­den sind, die auch sonst etwa von der sai­so­na­len Influ­en­za bedroht wären: sehr alte Men­schen und Men­schen mit Vor­er­kran­kun­gen. Es scheint also nach momen­ta­ner Sach­la­ge so zu sein, als wäre die SARS-CoV-2-Pan­de­mie eben gera­de kei­ne Bedro­hung für die gro­ßen Mas­sen der Bevöl­ke­rung. Jeden­falls nicht in höhe­rem Maße als so man­che sai­so­na­le Influ­en­za­wel­le (wie etwa die­je­ni­ge aus 2017/18, die allein in Deutsch­land 25.000 Todes­op­fer gefor­dert hat). Woher kommt dann aber die­se nie dage­we­se­ne, all­seits um sich grei­fen­de Panik vor dem Coronavirus?

Sowohl auf Basis der Dia­mond Prin­cess-Zah­len als auch anhand des bis­he­ri­gen Epi­de­mie­ver­laufs in Chi­na und Süd­ko­rea ist jeden­falls klar, dass die Meis­ten von uns dem Coro­na­vi­rus vor allem als laten­te Bedro­hung und nicht als kli­ni­sche Mani­fes­ta­ti­on begeg­nen wer­den. Und genau da liegt wohl auch das Pro­blem: wir sehen wach­sen­de rote Krei­se auf Welt­kar­ten, dra­ma­ti­sche Bil­der aus ita­lie­ni­schen Inten­siv­sta­tio­nen oder chi­ne­si­schen Groß­stadt­stra­ßen, wir erle­ben einen völ­lig ver­än­der­ten All­tag mit geschlos­se­nen Restau­rants, Thea­tern, Kinos und Spiel­plät­zen, mit Home-Office und hirn­lo­sen Hams­ter­käu­fen, mit Gesichts­mas­ken und Social Distance. Kurz­um: wir haben nicht die gerings­te Chan­ce, die Pan­de­mie auch nur für den Bruch­teil einer Sekun­de aus­zu­blen­den. Sie ist omni­prä­sent von mor­gens bis abends und vor allem von abends bis morgens.

Mit tat­säch­li­chen COVID-19-Mani­fes­ta­tio­nen kom­men wir hin­ge­gen nur sel­ten in Berüh­rung. Alle kon­kre­ten Fäl­le aus mei­nem sozia­len Umfeld beschrän­ken sich einst­wei­len auf ner­vi­gen Hus­ten und eine gewis­se Abge­schla­gen­heit. Also eher weni­ger schlimm als manch eine sai­so­na­le Grip­pe. Klar, es gibt auch sehr schlimm ver­lau­fen­de COVID-19-Fäl­le, aber die gibt es lei­der auch immer wie­der bei der Influ­en­za, wegen derer ich jedoch noch kei­nen all­ge­mei­nen Lock­down oder die Plün­de­rung von Klo­pa­pier­vor­rä­ten in Super­märk­ten gese­hen habe.

Coro­na ist also vor allem eine eben­so all­ge­gen­wär­ti­ge wie unbe­kann­te Bedro­hung, zumal es auch auf wis­sen­schaft­li­cher Ebe­ne noch kei­ne fun­dier­ten Erkennt­nis­se dazu gibt. Das macht Coro­na so anders als die Influ­en­za, die wir ein­schät­zen kön­nen und der wir außer­dem im All­tag fast nie begegnen.

Aber Coro­na ist noch viel mehr: die Pan­de­mie zeigt mit weit aus­ge­streck­tem Fin­ger auf uns alle und schreit uns ins Gesicht „j’ac­cu­se!”. Sie zeigt die Ver­feh­lun­gen einer Welt­ord­nung auf, bei der wir drin­gend gebo­te­ne Kri­sen­vor­so­ge­maß­nah­men hem­mungs­los auf dem Altar der stren­gen Kos­ten­mi­ni­mie­rung opfern. Coro­na ist wie ein Mene­te­kel unse­rer sprich­wört­lich gren­zen­lo­sen Rei­se­lust, die täg­lich Hun­dert­tau­sen­de von uns zwi­schen den ent­fern­tes­ten Enden der Welt hin- und her­treibt und so die von der Natur geschaf­fe­nen geo­gra­fi­schen Bar­rie­ren für die Aus­brei­tung bio­lo­gi­scher Phä­no­me­ne aller Art schlech­ter­dings außer Kraft setzt. Die läs­ti­gen aus Asi­en ein­ge­schlepp­ten mar­mo­rier­ten Baum­wan­zen, die in den Hebst­ta­gen 2018 und 2019 stän­dig in unse­ren Woh­nun­gen Zuflucht vor der für sie unge­wohn­ten Käl­te gesucht haben, mögen dafür noch ein recht harm­lo­ses Bei­spiel gewe­sen sein.

Und Coro­na zeigt uns unüber­seh­bar die Emp­find­lich­keit unse­res glo­ba­li­sier­ten Wirt­schafts­sys­tems auf: man neh­me ein win­zi­ges, kro­nen­för­mi­ges Pro­te­in­kon­glo­me­rat, las­se es irgend­wo in Chi­na von einer asia­ti­schen Fle­der­maus auf ein unbe­darf­tes Pan­go­lin über­sprin­gen, wel­ches sei­ner­seits bedau­erns­wer­ter Wei­se auf der Spei­se­kar­te eini­ger Lieb­ha­ber der beson­ders exo­ti­schen Küche lan­det – und schwupp steht die Welt ein paar Mona­te spä­ter vor dem öko­no­mi­schen Kol­laps. Wie kann man in einer Welt gut schla­fen, in der wir so etwas mög­lich gemacht haben?

Nein: die Angst vor Coro­na ist eher nicht die Angst vor den Fol­gen einer dro­hen­den Infek­ti­on mit dem SARS-CoV-2-Virus. Die Angst vor Coro­na ist die Angst vor der offen zuta­ge getre­te­nen Fra­gi­li­tät unse­rer Welt, die wir all­zu lan­ge zu ver­drän­gen gelernt haben. Coro­na führt uns sehr ver­bind­lich vor Augen, dass es höchs­te Zeit ist, mit die­ser Ver­drän­gung Schluss zu machen und ein paar wirk­lich drän­gen­de Pro­ble­me unse­rer Welt­ord­nung nach­hal­tig zu lösen!

Und viel­leicht ist die­se gan­ze mys­te­riö­se Beses­sen­heit mit dem Hor­ten von Klo­pa­pier ja auch nichts ande­res als Aus­druck der durch Coro­na ins Bewusst­sein gerück­ten Erkennt­nis, dass wir die gan­ze Schei­ße, die wir in den letz­ten Jahr­zehn­ten pro­du­ziert haben, so schnell nicht wer­den abwi­schen können…

Seid mir alle gesund, Ihr Lieben!

Alles Lie­be

Dani­el

2 Kommentare

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  • 1. Die Ster­be­ra­te bei CoViD ist deut­lich höher als bei sea­so­nal influenza.
    2. Das jemand einen mil­den Krank­heits­ver­lauf hat, ist imho nicht als Immu­ni­tät zu bezeichnen.
    3. Selbst wenn es gelän­ge, die Risi­ko­be­völ­ke­rung abzu­schir­men, wäre auch das deut­sche Kran­ken­haus Sys­tem mit sei­ner hohen Inten­si­ve Care Dich­te bei einem expo­nen­ti­el­len Anstieg bald über­for­dert, und die Todes­ra­te wür­de wegen feh­len­der Beatmungs­ge­rä­te deut­lich stei­gen. Sie­he Ita­li­en. Sie­he die Impe­ri­al Col­lege Stu­die, die BoJo zur Kehrt­wen­de bewegt hat.
    4. Ich empfehle
    https://www.ndr.de/nachrichten/info/Coronavirus-Virologe-Drosten-im-NDR-Info-Podcast,podcastcoronavirus100.html

  • Panik ist immer falsch. Ange­nom­men, die bis zum Abflau­en der Krank­heit Ver­stor­be­nen ver­schwän­den plötz­lich, wäre es recht über­ra­schend und nicht sehr ange­nehm, die Sekun­där­fol­gen wären aber gering. Die zu erwar­ten­den Fol­gen unse­rer jet­zi­gen Panik sind aber immens, man­che ora­keln, dass es Herrn Trump in den Krieg mit dem Iran zie­he etc. — das blo­ße Ver­schwin­den eini­ger tau­send, oder sei­en es sogar hun­dert­tau­send Men­schen recht­fer­tigt eine sol­che Reak­ti­on nicht

    Igno­rie­ren ist falsch, wie man von Eng­land lernt (Yan­kel Mois­he weiß sicher mehr)

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