Hallo Ihr Lieben,
im Rahmen des Seminars „Die Synagoge, Ort des Gebets, der Gemeinschaft und der Begegnung“ des Zentralrats der Juden in Deutschland habe ich heute einen Vortrag zum Thema „Die Gemeinde und ihre Synagoge” halten dürfen. Es ging dabei im Wesentlichen um eine Bestandsaufnahme des synagogalen Lebens in unserer Frankfurter Jüdischen Gemeinde mit schwerpunktmäßigem Blick auf die Westendsynagoge.
Der Vortrag beschäftigt sich zunächst mit den hauptsächlichen Beweggründen, aus denen heraus die die Synagogen heutzutage besucht werden. Weiterhin wird dann der Versuch unternommen, die erkennbar verschiedenen Gruppierungen unter den Synagogenbesuchern zu charakterisieren, bevor auf verschiedene Aspekte des synagogalen Alltags wie Liturgie, Disziplin und sinnliches Erleben eingegangen wird. Schließlich endet der Vortrag mit Überlegungen zur Frage, wie man Synagogenbesuche für bisher g*ttesdienstabstinente Gemeindemitglieder interessanter und attraktiver gestalten könnte.
Die Ausarbeitung zum Vortrag findet Ihr unter folgendem Link:
https://www.kornfamily.de/daniel/DieSynagoge/Gemeinde+Synagoge.pdf
Die Präsentation zum Vortrag könnt Ihr Euch hier ansehen:
Wie immer freue ich mich über Rückmeldungen, Anregungen, konstruktive Kritik und Diskussionsbeiträge jedweder Art…
Alles Liebe
Daniel
Ein paar Gedanken dazu vom einem ehemals regelmäßigen Westendsynagogen-Besucher, den es in die Ferne verschlagen hat, und der dort diverse Ansätze beobachtet, wie andere mit den beschriebenen Herausforderungen umgehen. Außerdem möchte ich ein paar zusätzliche Stichwörter in die Debatte einbringen.
1. Es gibt einen Trend zur Zersplitterung. Während es früher selbstverständlich war, dass alle gemeinsam einen großen heterogenen Minjan bildeten, bilden sich zunehmend kleinere, aber dafür homogenere Gemeinden/Minjanim. Einheitsgemeinden mit großen Synagogen haben es international schwer. In diesem Sinne stellt sich die Frage, ob der unterschwellige Ansatz, eine G‑ttesdienst-Form zu finden, die den verschiedenen beschriebenen Gruppen gerecht wird, die Sache nicht unnötig erschwert.
2. Es gibt einen Trend zur geographischen Konzentration. Kleinere Gemeinden haben trotz ihrer für viel Geld neu gebauten Synagogen keine demographische Zukunft. Große Gemeinden könnten versuchen, im eigenen Interesse und im Interesse der „Rettung” der Betroffenen, die engagiertesten Mitglieder bei Zeiten an sich zu binden.
3. Der Faktor Migration sollte beachtet werden. Von meinem synagogalen Freundeskreis von vor 15 Jahren ist nur noch ein Bruchteil in Frankfurt. Umgekehrt stellte ich fest, dass von den Teilnehmern am Schabbat-Minchah-G-ttesdient vorgestern nur ein kleiner Bruchteil bereits vor 15 Jahren in Frankfurt war. Von längeren Zeiträumen ganz zu schweigen.
Religiöse Familien haben ihre Kinder oft früh weggeschickt, oder sind gleich ganz weggezogen. Nachfahren z. B. der erwähnten Metzger leben da, wo es mehr jüdische Infrastruktur gibt.
4. „Was Hänschen nicht lernt…”: Der langfristig erfolgversprechendste Ansatz, Menschen an die Synagoge zu binden, dürfte sein, sie in ihrer Jugend dazu zu erziehen und aktiv einzubinden. Meine eigene „synagogale Karriere” hat mit „Kiddusch machen” begonnen. Heute wird die Jugend in Frankfurt ermutigt, trotz der Anwesendheit eines professionellen Chasan Kabbalat Schabat vorzubeten.
5. Ich finde es erstaunlich, dass die Gemeinde offenbar aus eigenen Mitteln das Äquivalent einer Stelle aufbringt, um verköstigungsgetriebenen („JFK”) Synagogenbesuch zu ermutigen. Was wäre einer jüdischen Zukunft zuträglicher?
6. Du hast die koscheren Metzgereien als Indiz für schwindende Religiosität angeführt. Ein Indiz für sogar schwindenden Traditionalismus könnte sein, dass in der vorherigen Generation „Kaddisch sagen” und Jiskor selbstverständlicher waren als in der gegenwärtigen Generation der trauernden.
7. Wir im Judentum sind nicht die einzige „Religion”, die sich fragt, wie sie ihre Schäfchen in einer Zeit des individualistischen Zeitgeists und der Dauerunterhaltung bei der Stange hält. Mir scheint, die Lektion von den anderen ist, dass der Effekt innovativer G‑ttesdienst-Formen verpufft und keine nachhaltige Bindung an die Synagoge erzeugt.
Vielen Dank für Deine ausführliche Stellungnahme. Dazu ein paar Gedanken meinerseits:
Ich fühle mich ausgesprochen geehrt, dass meine etwas hemdsärmelige Übersetzungdes Schulchan Aruch es wörtlich in Deine Ausarbeitung (4.2.) geschafft hat. 🙂
Allerdings scheint mir in Deinen Quellenangaben „Seifim 12” etwas verrutscht.
Es waren schlicht 124:7 und 151:1, jeweils אורח חיים.
Der Dank für diese sehr hilfreichen Zitate im Zusammenhang mit meinem damaligen Blogbeitrag ist ganz auf meiner Seite. Ich hatte die Fundstellen eigentlich akribisch recherchiert, müsste aber nochmals nachsehen, ob ich da ggf. einen Fehler gemacht habe. Danke auf jeden Fall für den Hinweis…
Du weist verständlicherweise darauf hin, dass Deine Ausarbeitung nicht auf Basis wissenschaftlicher Forschung entstanden ist. Mich wundert allerdings, dass man nichts darüber hört, dass der Zentralrat oder die Gemeinden eine datenbasierte Zukunftsplanung vornehmen. Eine einfache Mitglieder- Umfrage erfordert doch im heutigen Zeitalter kein Marktforschungsinstitut mehr.
Gemäß offizieller Statistik hat die Gemeinde über 6000 Mitglieder. Die Westend-Synagoge (gemeinsam mit den anderen Synagogen) hat Plätze für nur einen Teil davon. Offenbar kommt die Mehrheit nicht mal an Jom Kippur?
Dreitagesjuden scheinen zu Zweitagesjuden goworden zu sein, der 2. Tag Rosch HaSchanah schwächelt.
Der erste Teil Deines Kommentars wäre sicher besser beim Zentralrat als hier aufgehoben (ist natürlich trotzdem sehr willkommen). Dass die Synagogen auch an Yom Kippur von allen Mitgliedern besucht werden, ist eigentlich schon immer so gewesen. Auch als Frankfurt vor der Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion „nur” knapp 5.000 Mitglieder hatte.