Hallo Ihr Lieben,
im Rahmen des ZWSt-Seminars „Pluralismus im Judentum / Vielfalt in den Gemeinden” habe ich am 05.05.2017 einen Vortrag gehalten, in dem es um die Betrachtung verschiedener Denominationen des Judentums und deren Antworten auf Fragen geht, die sich uns in unserem alltäglichen Leben stellen. Die Ausarbeitung dazu findet Ihr hier:
http://www.kornfamily.de/daniel/PiJ/StroemungenUndAntworten.pdf
Alles Liebe
Daniel
Zahlen helfen:
– Das real existierende Conservative Judentum hat sich innerhalb nur einer Generation halbiert.
„As more than one Conservative leader has somberly noted, our failures become Reform Jews and our successes become Orthodox.”
– Die Anzahl der Juden, die der Conservative Halachah folgen, ist kleiner eine eine mittlere chassidische Gruppe.
– Ausserhalb der Orthodoxie sind ~70% der geschlossenen Ehen mit einem nicht-konvertierten nicht-jüdischen Partner. Bei Partnerschaften ohne Heirat ist es noch extremer. Das eigentliche demographische Drama ist, dass sich diese Partnerwahl meist in die nächste Generation fortsetzt. Es liegt nahe, dass ein Kind mit drei nicht-jüdischen Grosseltern sich nicht jüdisch identifiziert.
– Auserhalb der Orthodoxie werden weit weniger Kinder geboren (unhabhängig von deren halachischem Status) als ältere hinscheiden, noch weniger als im westlichen Durchschnitt.
Soll heißen: ob eine Form des Judentums Antworten auf Gegenwartsfragen hat, scheint relativ sekundär, wenn es sich nur mangelhaft in die nächste Generation fortpflanzt.
Also ich kann mich nicht wirklich erinnern, an welcher Stelle ich dem Praktizieren nicht-orthodoxer Formen des Judentums das Wort geredet haben könnte. Alles, worüber ich mir im Rahmen des hier diskutierten Vortrags Gedanken gemacht habe, findet eigentlich ausschließlich innerhalb der – gleichwohl gerne auch modern ausgelegten – orthodoxen Lebenswelt statt. Unbesehen dessen ist kurioser Weise festzustellen, dass die in Frankfurt immer stärker voranschreitende Säkularisierung der Gemeinde praktisch ausschließlich aus einem orthodox geprägten Hintergrund heraus erfolgt ist und es auch weiterhin tut. Zumindest was Frankfurt angeht, ist die Orthodoxie also kein offensichtlicher Garant für den erfolgreichen Erhalt des religiösen Lebens.
Dass Du dem Praktizieren das Wort geredet hättest, wollte ich auch gar nicht behaupten. Selbstverständlich nicht. Wollte bloß anderen eventuellen Lesern hier etwas Kontext geben.
Ich weiß nicht recht, ob eine Gemeinde allein dadurch „orthodox” wird, dass sie orthodoxe Rabbiner einstellt und aus orthodoxen Siddurum betet. Vielleicht nennt man das „nominell orthodox”? Schwächen in der Kaschrut-Nachfrage und des Wochentags-Minjan hatttest Du ja bereits als Indizien erwähnt…
Also Tatsache ist nun einmal, dass die Gründer der Frankfurter Nachkriegsgemeinde praktisch allesamt der orthodoxen Lebenswelt entstammten, zumindest aber bis zur Gemeindegründung so gut wie ausschließlich mit orthodoxem Judentum in Berührung gekommen sind. Den egalitären Minjan als liberale Denomination innerhalb der Frankfurter Jüdischen Gemeinde gibt es erst seit vielleicht 25 Jahren und die Anzahl seiner Mitglieder ist überschaubar (vielleicht im ein bis zwei Prozent-Bereich). Auch die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die seit den 1990er-Jahren zu uns gekommen sind, dürften – sofern sie überhaupt die Möglichkeit hatten, ihr Judentum zu praktizieren – überwiegend mit orthodoxer Tradition in Berührung gekommen sein.
All das hat aber die deutliche Tendenz zur Säkularisierung innerhalb der letzten zwei Generationen nicht nennenswert aufhalten können. Das wirft meines Erachtens zu Recht die Frage auf, was zu tun ist, um dieser Tendenz entgegenzuwirken (wenn man das überhaupt will). Die empirische Sicht auf die letzten 50 Jahre zeigt jedenfalls, dass vom stoischen Festhalten am bestehenden Zustand alleine kaum zu erwarten ist, einen nennenswerten Teil der Gemeinde für eine Rückkehr zu einer religiöseren Lebensführung gewinnen zu können.