Hallo Ihr Lieben,
lange nichts mehr auf meinem Blog geschrieben. Eigentlich komisch. Es ist ja nicht so, als würde ich mich zu denjenigen zählen wollen, die sich selbst nicht gerne reden hören oder schreiben sehen. Aber diese Pandemiezeit hat unser Leben doch irgendwie nachhaltig verändert. Der ganze Alltagsrhythmus ist gleichförmiger geworden, man fokussiert sich zunehmend auf andere Schwerpunkte des Lebens und befindet sich stimmungsmäßig in einer anhaltenden Pendelbewegung zwischen Zuversicht und Bedrücktheit – und das mit nahezu täglich wechselnden Frequenzen und Amplituden.
Was mich jetzt allerdings dazu bewogen hat, die Tastatur dann doch endlich mal wieder in die Hand zu nehmen, ist die nicht enden wollende Dauerbeaufschlagung mit den Aussagen all jener, die sich immer noch nicht damit abfinden können (oder wollen), dass die SARS-CoV-2-Pandemie eine unumstößliche Realität ist. Es nervt einfach, dass ich immer noch Menschen in meinem eigentlich ja ziemlich sorgfältig ausgewählten sozialen Umfeld begegne, von denen ernsthaft Aussagen kommen wie „die Pandemie ist in dem Moment vorbei, in dem alle endlich mal den Fernseher ausschalten” oder die ständig darauf verweisen, dass unsere Regierungen in Fragen des Umgangs mit der Pandemie absolut einseitig beraten würden, während es ungezählte Fachleute gebe, die zu einer ganz anderen Bewertung des Pandemiegeschehens kämen als jene offiziell konsultierten Experten. Der bittere Ernst der Gefahren, die von der Pandemie für Individuum und Gesellschaft ausgehen, wird also von diesen Zeitgenossen ebenso geflissentlich ignoriert wie der Umstand, dass es demzufolge keine wesentlichen Alternativen für die derzeit getroffenen Gegenmaßnahmen gibt.
Manch einer aus meinem Gesellschaftskreis überschwemmt sogar soziale Netzwerke mit Querdenker-nahen Corona-Fake-News oder müllt mich mit Videos zu, in denen angebliche Experten alle wesentlichen Fakten zur Pandemie genüsslich in Zweifel ziehen: sei es die Zuverlässigkeit der PCR-Test, die Wirksamkeit bzw. die Unschädlichkeit der COVID-19-Impfstoffe, die eigentliche Todesursache der offiziellen COVID-19-Todesopfer, die Letalität von COVID-19, die Schadenswirkung einer SARS-CoV-2-Infektion für den menschlichen Körper – zu allem gibt es eine Armada selbsternannter Fachleute, die behaupten, auf Basis vermeintlich wissenschaftlicher Schlussfolgerungen nahezu das genaue Gegenteil all dessen beweisen zu können, was die etablierten Wissenschaftler, Forschungsinstitute und Expertengremien dieser Welt durch die Bank hinweg einhellig vertreten.
Faktencheck
Zu all den oben angesprochenen Punkten kann ich gerne die einschlägigen Quellen nennen, aus denen auf Basis Peer-Review-begutachteter Studien und Forschungsergebnisse eindeutig hervorgeht, dass die Dinge wirklich so sind, wie die politischen Akteure sie ihren Entscheidungen zugrunde legen:
- Qualifiziert durchgeführte PCR-Tests liefern zuverlässige und präzise Aufschlüsse über die Frage, ob der betreffende Proband zum Zeitpunkt des Tests ein bestimmtes Maß an SARS-CoV-2-Virenlast in seinen Atemwegen aufgewiesen hat.
- Die bei uns (leider derzeit noch in viel zu geringem Umfang) im Einsatz befindlichen Impfstoffe sind hochwirksam und gravierende Nebenwirkungen extrem selten.
- Die nach offizieller Lesart im Zusammenhang mit COVID-19-Erkrankungen verstorbenen Personen sind in der überwältigenden Mehrheit tatsächlich an und nicht nur mit COVID-19 verstorben.
- Die Letalität von COVID-19, soweit man sie auf Basis der vorliegenden Daten überhaupt zuverlässig vorhersagen kann, ist deutlich höher als etwa diejenige der saisonalen Influenza.
- SARS-CoV-2-Viren verfügen über ein breiteres Spektrum an Andockstellen für die Infektion von Gewebsstrukturen menschlicher Körper und können daher Organe infizieren, die von Influenza-Viren üblicherweise nicht befallen werden.
Dazu kommen noch ein paar Allgemeinweisheiten, die an dieser Stelle ausdrücklich an die Adresse der notorischen Corona-Kleinredner gerichtet sein sollen:
- Eine Krankheit, an der man nicht gleich stirbt, ist deshalb noch lange keine harmlose Krankheit. Weder an Hepatitis noch an Polio stirbt man etwa üblicherweise nach einer Erstinfektion. Die fatalen Spätfolgen dieser Infektionen zeigen sich indessen oft erst Jahre danach. Wer also argumentiert, dass an COVID-19 auch nicht mehr Menschen sterben als an der saisonalen Influenza (wenn es denn stimmen würde), weswegen die SARS-CoV-2-Pandemie auch keine anderen Maßnahmen erfordere als die alljährlichen Influenza-Ausbrüche, verkennt eindeutig die Vielfältigkeit der Wege, auf denen das SARS-CoV-2-Virus schweren und nachhaltigen Schaden bei Menschen anrichten kann.
- Über 1,5% der in Deutschland gemeldeten COVID-19-Fälle müssen im Krankenhaus beatmet werden. Ein bedeutender Teil dieser Patienten würde die Krankheit ohne diese Beatmungsmaßnahmen nicht überleben. Die Fallsterblichkeit läge also deutlich höher, wenn die Anzahl an beatmungspflichtig Erkrankten regelmäßig diejenige der gerade verfügbaren Beatmungsplätze überstiege. Dies wiederum würde bei einer unkontrollierten Ausbreitung von COVID-19 aufgrund simpler mathematischer Gesetzmäßigkeiten unweigerlich nach wenigen Monaten geschehen. Insofern beziehen sich die bisher veröffentlichten Zahlen zur Fallsterblichkeit ausschließlich auf Epidemieverläufe, die durch entsprechende Eindämmungsmaßnahmen erheblich verlangsamt worden sind. Die tatsächliche Fallsterblichkeit bei ungesteuertem epidemischem Geschehen läge daher mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr deutlich über den bisher gemessenen Zahlen.
- Nach einer aktuellen, im Canadian Medical Association Journal veröffentlichten Studie, liegt das Risiko, die eine oder andere Form einer Lungenentzündung im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung zu entwickeln, immerhin bei über 25%. Nicht jede dieser Entzündungen verläuft sonderlich schwer oder bedarf gar einer Hospitalisierung bzw. Beatmung. Aber jede davon birgt prinzipbedingt das Risiko, dass Lungengewebe in mehr oder minder ausgeprägter Form irreversibel geschädigt wird. Selbst für Personen unter 18 Jahren liegt das Lungenentzündungsrisiko laut besagter Studie immerhin noch bei knapp 10%. Jede SARS-CoV-2-Infektion geht also mit einem nicht unerheblichen Risiko für dauerhafte Lungenschäden einher. Und zwar ausdrücklich auch bei jungen Menschen.
Völlig losgelöst
All das wissen die besagten Skeptiker im Grunde auch. Ich habe mir das ja nicht aus den Fingern gesaugt, sondern schlicht im Internet recherchiert und anhand der jeweils angegebenen Quellen auf Plausibilität überprüft. Das kann jeder andere genauso tun. Sachlich gesehen gibt es an der SARS-CoV-2-Pandemie also einfach nichts zu verharmlosen.
Es drängt sich daher die Frage auf: warum tun die das? Warum streiten die Verharmloser all jenes vehement ab und stürzen sich stattdessen geradezu obsessiv auf dubiose Quellen, in denen vermeintlich qualifizierte Fachleute die wohlfundierten Fakten zu Corona & Co. bestreiten? Sicher: anerkannte Expertengremien, etablierte Forschungsinstitute und renommierte Wissenschaftler – sie alle können sich irren. Vielleicht sogar fundamental irren. Aber gleich alle auf einmal? Weltumspannend und kulturübergreifend?
Aber gut – spielen wir das doch mal ganz kurz gedanklich durch. Nehmen wir also an, es gäbe wirklich fundiert begründete Zweifel an jenen etablierten Aussagen über die Pandemie, auf deren Basis die Regierungen dieser Welt schweren Herzens Kontaktbeschränkungen und sonstige Infektionsschutzmaßnahmen angeordnet haben. Würden eben diese Regierungen unserer Welt dann nicht händeringend nach solchen Erkenntnissen suchen, um eine Rechtfertigung dafür zu haben, die massiv wirtschaftsschädigenden Infektionsschutzanordnungen schnellstmöglich aufheben zu können? Welche Regierung eines demokratischen Landes legt denn mit Blick auf die nächste Wiederwahl freiwillig ganze Wirtschaftszweige über Monate hinweg lahm und zieht damit den Unmut großer Teile ihrer Wählerschaft auf sich, wenn es qualifizierte Argumente gegen die Grundlagen für derartige Entscheidungen gäbe?
Bevor man als Regierungsverantwortlicher einer namhaften Industrienation also derart einschneidende und ganz sicher unpopuläre Entscheidungen trifft, greift man doch allemal nach jedem sich bietenden Strohhalm, um doch noch einen stichhaltigen Grund zu finden, solche Maßnahmen vermeiden zu können. Wenn also glaubhafte Fachleute wirklich überzeugend darlegen könnten, dass die von den etablierten Institutionen vertretene Sicht auf die Pandemie mindestens mal zweifelhaft ist, hätten sich die Exekutivverantwortlichen dieser Welt doch schon im ureigensten Interesse längst auf solche Expertenmeinungen gestürzt, um all die volkswirtschaftsgefährdenden Notmaßnahmen vermeiden zu können. Wenn sie genau dies aber durch die Bank hinweg praktisch nirgends auf der Welt getan haben (sieht man mal von den Trumps, Bolsonaros und Johnsons dieser Welt mit dem wenig ruhmreichen Ergebnis ab, das ihre anfänglich ignorante Infektionsschutzpolitik gezeitigt hat), dann kann das doch im Umkehrschluss nichts anderes bedeuten, als dass es derart qualifizierte Gegenpositionen schlichtweg nicht gibt.
Finstere Mächte
So manch notorischer Verharmloser wird mir an dieser Stelle möglicherweise entgegnen, dass es diese qualifizierten Gegenpositionen selbstverständlich allenthalben gebe. Allein: ihre leidenschaftlich um Gehör kämpfenden Vertreter werden von den etablierten Kräften dieser Welt gezielt und systematisch ignoriert oder gar mundtot gemacht. Dieses Vorgehen folge einer finsteren, weltweiten Verschwörung, die sich zum Ziel gesetzt habe, eine gänzlich erfundene, zumindest aber in ihrem Bedrohungspotenzial massiv überzeichnete Pandemie herbeizureden, um unter ihrem Deckmantel die Völker dieser Erde systematisch zu entrechten und mit Hilfe unüberwindbarer Überwachungs- und Kontrollmechanismen ein für allemal willenlos und gefügig zu machen.
Echt jetzt? Diese Variante ist wirklich wahrscheinlicher, als die Annahme, dass die Pandemie in all ihren bekannten Auswirkungen real ist? Die Regierungen aller bedeutsamen Staaten dieser Welt sollen sich in Überwindung ihrer sonst ja nicht gerade gering ausgeprägten Gegensätze konspirativ zusammengefunden haben, um vor unseren Augen den als Pandemie getarnten großen Masterplan zur Unterwerfung aller freien Gesellschaften dieser Erde zu verwirklichen? Selbstverständlich machen alle namhaften Medienredaktionen, Wissenschaftsinstitute, Universitäten, Krankenhäuser, Mediziner, Pfleger, Verwaltungsangestellte, Gesundheitsämter, Polizisten und Politiker munter dabei mit. Naja, mit Ausnahme solch einsamer Vorkämpfer der gerechten Sache, wie etwa die AfD oder die Querdenker in Deutschland bzw. manch republikanischer Politiker oder QAnon in den USA natürlich. DAS sind dann also die letzten der Gerechten dieser Welt, die noch für unsere freiheitlich-demokratischen Grundrechte einstehen.
Leute – kann es sein, dass ihr vor lauter Pandemielangeweile in letzter Zeit zu viele Science-Fiction-Thriller gesehen habt?
Aber nein, lieber Daniel, du checkst es nicht: da gibt es eine ganz kleine aber extrem einflussreiche konspirative Elite, die ebenso gezielt wie geschickt auf die wesentlichen Entscheider dieser Welt einwirkt und sie alle dazu bringt, an die in Wahrheit gar nicht existierende Pandemie zu glauben. Bei den Angehörigen aller anderen der obengenannten Gruppierungen setzt diese Elite hingegen auf den Herdentrieb, der schon dafür sorgen wird, dass niemand sich als Einzelkämpfer gegen den Mainstream aufzulehnen wagt.
Ja klar. Was auch sonst. Bill Gates vielleicht? Oder die Juden mal wieder?
Klar: es könnte wirklich so sein – jedenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Doch wie groß ist diese Wahrscheinlichkeit im Vergleich zur Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Pandemie eben doch eine echte Pandemie ist – und zwar mit all den Eckdaten, die praktisch einheitlich von allen relevanten Institutionen dieser Welt akzeptiert und vertreten werden?
Wahr oder scheinlich?
Diese Wahrscheinlichkeiten fundiert zu quantifizieren, übersteigt sowohl meine Fähigkeiten also auch das Zeitkontingent, das ich zur Abfassung dieses Beitrags vorgesehen habe. Ich denke aber, das ist auch gar nicht nötig. Die meisten halbwegs aufgeschlossenen Menschen werden mir sicher in darin beipflichten, dass auf Basis gesunden Menschenverstands wesentlich mehr für die Echtheit der Pandemie spricht als für ein konspirativ fingiertes Schreckensszenario, das in Wahrheit der feindlichen Übernahme aller freien Gesellschaften unserer Welt dient. Was alles zusammenkommen müsste, um letzteres überhaupt erst möglich zu machen, habe ich oben versucht, überblickshalber darzulegen.
Bleibt also die Frage, warum selbst solche Personen, denen ich unumwunden ein hohes Maß an Intelligenz, Bildung und Aufgeschlossenheit attestieren würde, derzeit geradezu verzweifelt an der Wahnvorstellung festhalten, dass (außer ihnen selbst und ein paar wackeren Mitstreitern) der überwältigende Teil der Menschheit hoffnungslos an eine Pandemie glaubt, die real gar nicht existiert, mindestens aber viel harmloser sei als befürchtet.
Gute Frage. Mein erster Denkansatz richtet sich auf die Anfangstage der Pandemie zu Beginn des Jahres 2020. Da war ich selbst durchaus eine ganze Weile lang geradezu verzweifelt auf der Suche nach glaubwürdigen Indizien dafür, dass alles längst nicht so dramatisch ist, wie es schon damals von den namhaften Fachleuten vorhergesagt wurde. Es hat also auch bei mir selbst eine Weile gedauert, bis ich bereit war zu akzeptieren, was ja nun auch wirklich schwer zu akzeptieren ist: wir haben’s jetzt gerade mal so richtig gründlich verzockt. Da hilft kein Wunschdenken und kein Kopf-in-den-Sand-Stecken. Die weltweite Pandemie, vor der seit vielen Jahren immer wieder gewarnt wurde, ist real geworden und keiner kann sich vor ihren Gefahren und Folgen drücken oder so tun, als hätte er mit ihren Ursachen nichts zu tun. Wir sitzen alle irgendwo im selben Boot (gleichwohl manche in der ersten, manche in der zweiten und sehr viele in der dritten Klasse).
Wahr ist halt auch, dass kaum ein Angehöriger der westlichen Welt aus meiner Generation überhaupt über eigene Lebenserfahrung mit derartig umfassenden Ausnahmesituationen verfügt. OK, wir hatten den kalten Krieg mit seiner schwelenden Gefahr eines thermonuklearen Schlagabtauschs zwischen den Supermächten. Aber mal ehrlich: so wirklich unseren Alltag beeinträchtigt hat das jetzt auch nicht gerade. Für uns war unser Leben eigentlich immer von denselben wesentlichen Faktoren bestimmt: Schule, Berufsausbildung, Karriere, Familie, Freunde und Freizeit. Nichts könnte jemals ernsthaft an diesen Grundfesten unseres Daseins rütteln.
Und dann kam die Pandemie.
Know your enemy
Klar also, dass keiner von uns auch nur annähernd darauf vorbereitet war, was es wirklich bedeutet, mit dieser Form massiven Kontrollverlusts ohne klare Perspektive darauf leben zu müssen, wie es in Zukunft weitergehen soll. Unser Leben, wie wir es bis dahin kannten, wurde uns in fundamentalen Bereichen unseres Alltags schlichtweg genommen. Restaurants, Bars, Cafés, Reisen, Feiern, Treffen mit Freunden und Familie – all das war, wenn überhaupt, nur noch eingeschränkt und längst nicht mehr so unbefangen möglich, wie wir es seit jeher gewohnt waren. Ganze Wirtschaftszweige wurden per Regierungsbeschluss lahmgelegt und nicht wenige von uns hatten gute Gründe, um ihre finanzielle Existenz zu bangen. Und keiner konnte uns sagen, wie lange das wohl noch so weitergehen bzw. wie schlimm es am Ende noch kommen wird. Das SARS-CoV-2-Virus war (und ist bis heute) eine in vielerlei Hinsicht unbekannte Größe, und die schwer einzuschätzende Bedrohung einer manifesten COVID-19-Erkrankung hing (und hängt auch weiter) wie ein Damoklesschwert über uns allen.
Hinzu kommt. dass man die jahrzehntelang für unsere Gesellschaft prägende Fokussierung auf das individuelle Glück plötzlich nicht mehr uneingeschränkt ausleben konnte. Urlaub, Freizeit, Karriere – alles ist plötzlich in mehr oder minder ausgeprägter Form der individuellen Gestaltungsfreiheit beraubt. Und mehr noch: jetzt ist auch noch Solidarität mit anderen in unserer Gesellschaft gefragt. Muss ich jetzt etwa auf uneingeschränkte Freizeitgestaltung und Karriereentwicklung verzichten, damit ein paar Achtzigjährige noch älter werden, oder was?
Kein Wunder, dass so mancher von dieser Situation maßlos überfordert war. Mir selbst ging es ja – wie bereits oben ausgeführt – erst einmal auch nicht anders. Allerdings ist es mir im Laufe der ersten Pandemiemonate gelungen, das innere Blatt zu wenden. Statt sich mit Händen und Füßen gegen die Realität der Pandemie zu stemmen, habe ich an einem bestimmten Punkt beschlossen, sie bis auf weiteres als Teil unseres Lebens zu akzeptieren und mich gewissermaßen mit ihr anzufreunden. Besser, sich wertfrei mit den Fakten der Pandemie auseinanderzusetzen, als wie ein Besessener nach Anhaltspunkten dafür zu suchen, dass sie in Wahrheit ja gar nicht schlimm ist oder – noch besser – gar nicht erst wirklich existiert. Frei nach dem Motto: „Know your enemy”. Und ich denke, die meisten meiner Mitmenschen haben etwa zur selben Zeit einen ähnlichen Sinneswandel durchgemacht. Manche sicher auch schon deutlich früher, einige aber eher später.
Ein paar wenige scheinen indessen bis heute immer noch in der Ablehnungsschleife der Anfangszeit festzuhängen. Für sie scheint auch weiterhin nicht sein zu können, was nicht sein darf. So etwas bricht nicht einfach so aus heiterem Himmel und dann auch noch mit dieser Vehemenz über uns herein. Da geht eindeutig was nicht mit rechten Dingen zu. Da muss doch mehr dahinterstecken als nur das vorhersehbare Pech einer allzu globalisieren Welt. Und außerdem braucht man ja irgendeine Rechtfertigung dafür, dass man innerlich einfach nicht bereit ist, seine individualistischen Bestrebungen zugunsten einer gesamtgesellschaftlichen Solidarität einzuschränken. „Ich kann machen, was ich will – wer was anderes von mir verlangt, kann einfach nicht recht haben.”
Und schon sind sie geboren, die Verschwörungstheorien, die Delegitimierung der Infektionsschutzmaßnahmen, die These von der Ignoranz der Regierenden und ihrer Berater sowie die Mär vom großen Masterplan zur Unterwerfung der freien Welt, der jetzt unter dem Deckmantel einer heraufbeschworenen Pandemie verwirklicht werden soll.
Und jetzt?
Ob ich hier alle diffamieren will, die eine kritische Haltung gegenüber den Infektionsschutzmaßnahmen oder den ihnen zugrunde gelegten Erkenntnissen über die Pandemie haben? Keineswegs! Wir alle sind gut beraten, mit kritischem Blick durchs Leben zu gehen und immer wieder zu hinterfragen, ob die Mächtigen dieser Welt ihre Entscheidungen mit dem nötigen Sachverstand und in gewissenhafter Ausübung ihrer Verantwortung für das Wohlergehen Aller treffen. Das charakterisiert einen mündigen Menschen und jeder von uns sollte sich daher durchaus abverlangen, nicht einfach alles leichtfertig für bare Münze zu nehmen, was man uns vorsetzt. So weit, so gut.
Klar ist auch, dass beileibe nicht alles, was die Regierungen dieser Welt im Zusammenhang mit der Pandemie beschlossen oder unterlassen haben, sich im Nachhinein als klug erwiesen hat. Man denke nur an das viel zu späte Einlenken der nationalen und internationalen Gesundheitsbehörden hinsichtlich des Tragens eines Mund-/Nasenschutzes zur Infektionsprävention. Da haben sich weder die WHO noch das Robert-Koch-Institut sonderlich mit Ruhm bekleckert. Und auch die zögerliche und eher kurzsichtige Impfstoff-Beschaffungspolitik der EU erweist sich jetzt zunehmend als grandiose Fehlentscheidung.
Klar ist aber auch: als bisher mit Abstand grandioseste Fehlentscheidung in der Pandemie hat sich schon jetzt die selbstherrliche Ignoranz der Trumps, Bolsonaros, Johnsons und Lukaschenkos dieser Welt erwiesen, die viel zu lange geglaubt haben, die Pandemie einfach solange kleinreden zu können, bis sie sich von alleine in Wohlgefallen auflöst. Die tragische Zeche dafür haben zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Blogposts bislang laut Worldometer weit über eine halbe Million US-Amerikaner, mehr als eine Viertelmillion Brasilianer, über hunderttausend Briten und eine unbekannte Anzahl Weißrussen (da ich den offiziellen Verlautbarungen eines diktatorischen Regimes kategorisch misstraue) mit ihrem Leben bezahlen müssen. Auch den brasilianischen Todeszahlen traue ich nur bedingt, da aller Wahrscheinlichkeit nach im Elend der Favelas eine große Zahl an Menschen zu COVID-19-Toten geworden ist, die überhaupt nicht auf dem Radar der Behörden erscheinen.
Ich will damit nicht sagen, dass in diesen Ländern bei einer frühzeitig eingeläuteten Infektionsschutzpolitik niemand gestorben wäre. Aber wenn man die Zahlen der COVID-19-Toten pro 100.000 Einwohner aus diesen Ländern etwa mit denjenigen aus Deutschland vergleicht, stellt man fest, dass sie teils mehr als doppelt so hoch sind. Ohne hier voreilige Schlüsse ziehen zu wollen, ist das aber allemal ein deutliches Indiz für den Effekt der anfänglichen Versäumnisse.
Daher lautet mein Schlusscredo für dieses Mal:
Liebe Corona-Verharmloser, bitte fragt Euch doch einfach mal, ob Ihr in anderen wesentlichen Belangen Eures Lebens Eure Weltsicht und die daraus resultierenden Entscheidungen auf ähnliche Weise an derart unwahrscheinlichen Erklärungen festmacht, wie im Falle der Pandemie. Glaubt Ihr wirklich, dass schwarze Katzen Unglück bringen, dass die Mondlandungen der USA ein Hoax waren und dass Einsteins allgemeine Relativitätstheorie Bullshit ist? Glaubt Ihr, dass unser Schicksal von den Tageslaunen irgendwelcher Götter auf dem Olymp abhängt oder dass die Erde eine Scheibe ist?
Mann kann alle wesentlichen Erkenntnisse, welche die Wissenschaft auf Basis einer über Jahrhunderte hinweg gereiften, außerordentlich fundierten Methodik hervorgebracht hat, in Zweifel ziehen, denn bis auf die reine Mathematik ist alle Wissenschaft letztlich „nur” empirisch und damit von Wahrscheinlichkeiten bestimmt. Allerdings verfügt die Wissenschaft über extrem verlässliche Mechanismen, mit deren Hilfe der Zuverlässigkeitsgrad empirisch ermittelter Erkenntnisse sehr genau quantifiziert werden kann. Und solange diese Mechanismen gewissenhaft zur Anwendung gelangen, sind die auf ihnen basierenden Ergebnisse zuverlässiger als jede andere mir bekannte Form des Erkenntnisgewinns.
Daher, liebe Corona-Verharmloser: trotz aller berechtigter Forderung nach kritischem Hinterfragen unseres Weltgeschehens – habt auch ein wenig Vertrauen in die Objektivität der Wissenschaft. Sie ist alles andere als perfekt und schwarze Schafe tummeln sich dort auch nicht gerade wenige. Aber sie ist immer noch besser als irgendwelche Influencer in den sozialen Netzwerken oder die vielen selbsternannten Experten, die wie die Pilze aus dem Boden schießen, wenn der Fokus der medialen Aufmerksamkeit sich mal wieder auf ein für uns alle bedeutsames, emotional aufgeladenes Thema richtet. Und leider gilt halt auch in Sachen Pandemiewahrheit weiterhin das Bullshit-Asymmetrie-Prinzip des italienischen Informatikers Alfredo Brandolini:
“The amount of energy needed to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.”
(„Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Zehnerpotenz mehr Energie als dessen Produktion.“)
Fake-News halten sich also hartnäckig. Das gilt leider auch für die Pandemie. Lasst Euch davon nicht beirren. Eure Gesundheit und die Gesundheit aller Menschen, die Euch lieb und teuer sind, ist in akuter Gefahr, wenn Ihr der Realität weiterhin nicht ins Auge seht!
Bleibt mir alle gesund!
Alles Liebe
Daniel
Lieber Daniel, du hast da ein Thema aufgegriffen, welches sicherlich sehr viele beschäftigt. Ich zumindest kann sehr viele deiner angesprochenen Punkte voll und ganz nachempfinden. Während der Weihnachtszeit bei einem Gespräch mit einem sehr sympathischen Bäcker über seine tierleidfreien Stollen heißt es plötzlich, man müsse ja, wenn man noch Geld auf der Bank habe asap alles wegschaffen oder Gold kaufen, da die Regierung uns bald alles wegnehmen würde. Und am nächsten Tag bekommt man dann plötzlich Links zu irgendwelchen Telegramgruppen wo es ausschließlich um Verschwörungen geht.
Ein Bekannter unserer Familie, den wir immer sehr schätzten, postet plötzlich auf Instagram Bilder von Juden die im 2. Weltkrieg von der Gestapo abgeführt wurden und zum Vergleich Menschen die gerade von der Polizei, aufgrund der Maskenflicht, angehalten werden. Nach meinem Versuch ihn wirklich nett darauf hinzuweisen, dass dieser Vergleich absolut untragbar sei, blockiert er meine ganze Familie.
Ich finde es wunderbar, dass du auch explizit sagst, dass es nicht in deinem Sinne sei diejenigen zu diffamieren, die eine kritische Haltung zu den Maßnahmen haben und dass man einen kritischen Blick behalten solle und es wichtig sei zu hinterfragen. In der Vergangenheit hatte ich nämlich den Eindruck, dass du Menschen die Dinge hinterfragen, welche du selbst nicht zu hinterfragen wagst, als Gefahr betrachtest. Nun bin ich jemand der sich immer beide Seiten anhören möchte und niemals denkt, dass nur weil eine Mehrheit etwas behauptet oder an etwas festhält, das auch heißt, dass diese Mehrheit richtig handelt. Trotzdem geht es mir beim Thema Corona ganz genauso wie dir. Immer wieder versuche ich die Theorien nachzuvollziehen und frage die „Andersdenkenden“ was denn dann das Ziel des ganzen wäre. Und bis heute habe ich keine einzige plausible Antwort erhalten.
Nur deine Frage, warum intelligente gebildete Menschen die Pandemie leugnen, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ist es denn nicht offensichtlich? Die meisten Menschen wollen sich nicht selbst hinterfragen, sind nicht bereit sich zu verändern vor Angst ihre Komfortzone verlassen zu müssen. Da ist es doch viel einfacher zu sagen, das gäbe es alles nicht, sei nicht so schlimm oder wurde von versteckten Mächten erfunden. Fast noch schlimmer finde ich persönlich, dass die Mehrheit der Menschen die sehr wohl Respekt vor der Pandemie haben und sich auch an die Regeln halten, auch wieder nur anderen die Schuld zuweisen. Zum Beispiel die beliebte Aussage die Chinesen seien an allem schuld, weil sie Fledermäuse essen. Ohne sich mal zu fragen, warum die Fledermäuse und Schuppentiere sich uns überhaupt annähern. Wenn wir für die Tierzucht die Wälder nicht roden würden und ihnen ihr Zuhause nicht wegnehmen würden, dann würden sie sich uns auch nicht annähern. In Dänemark wurden 17.000.000 Nerze vergaßt, weil sie mit dem Coronavirus infiziert waren und dieser sich schon auf Menschen übertragen hatte. Statt sich zu fragen warum man für ein völlig unnötiges Statussymbol überhaupt noch fühlende Lebewesen züchtet, vergast man sie lieber alle und macht dann fröhlich weiter, genauso wie Tönnies und CO immer weiter fröhlich Mensch und Tier ausbeuten und dem Virus aussetzten. Ich würde mir sehr wünschen, dass man nicht nur auf seine Impfung warten würde sondern auch darüber nachdenkt, was man denn tun kann um weitere Pandemien zu verhindern.
Und du schreibst ja auch, dass niemand so tun könne, als hätte er mit den Ursachen nichts zu tun und dass seit vielen Jahren schon vor der Pandemie gewarnt wurde. Ganz genau! Schon vor einigen Jahren hat auch unser Rabiner Soussan schon darauf hingewiesen:
„Man nehme das Beispiel BSE. Während wir nur Säugetiere essen dürfen, die sich wiederum vegetarisch ernähren, hat die gewinnorientierte Industrie Rindern u.a. Knochenmehl der eigenen Art vorgesetzt und sie damit zu „Kannibalen“ gemacht. Das sich daraus der sogenannte Rinderwahnsinn, der sich auch auf Menschen als Krankheit übertragen hat, entwickelte, wäre, wenn nicht so tragisch, beinahe poetisch, denn der Rinderwahnsinn wäre eine Antwort der Natur auf den Wahnsinn der Menschen.“ (Jüdische Gemeindezeitung Frankfurt Dezember 2018, S. 38).
Mit Recht siehst du das Leugnen der Pandemie auch als „Rechtfertigung dafür, dass man innerlich einfach nicht bereit ist, seine individualistischen Bestrebungen zugunsten einer gesamtgesellschaftlichen Solidarität einzuschränken“. Auch das ist ein Kernproblem der Menschheit. Die meisten Menschen sind egoistisch und nicht bereit für Veränderungen bei denen sie meinen, sie würden dabei zu kurz kommen oder gar etwas verlieren. Sie verstehen nicht, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Wenn man etwas für seine Mitlebewesen und den Planeten tut, Solidarität zeigt und Rücksicht nimmt, dann geht es einem automatisch selbst auch viel besser und man kann auch mit den Einschränkungen in diesen Zeiten viel besser umgehen und jeden einzelnen Tag dankbar sein für das was man hat. Und heute bin ich unter anderem Dir dankbar für diesen Artikel 🙂
Liebe Sigal,
herzlichen Dank für Deinen ebenso ausführlichen wie nachdenklichen Kommentar. Zwar habe ich schon einiges an Feedback zu diesem Blogbeitrag erhalten, bisher aber ausschließlich per E‑Mail, WhatsApp oder mündlich. Insofern freue ich mich umso mehr, dass Du bereit bist, Deine Gedanken zu meinen Ausführungen auch anderen zugänglich zu machen.
Das, was Du von Deinen persönlichen Erfahrungen mit Verschwörungstheorien zur Pandemie berichtest, ist für mich ein weiterer Beleg dafür, dass die Pandemie in viererlei Hinsicht zur Entlarvung so mancher Missstände beiträgt, die viel zu lange vom oberflächlichen Glanz unserer Wohlstandsgesellschaft überdeckt worden sind – allen voran ein erschreckendes Maß an Egozentrismus, als der sich der vielgepriesene Individualismus zunehmend entpuppt. Dass Menschen sich auf einer Stufe mit Opfern der Nazidiktatur wahrnehmen, wenn man ihnen abverlangt, aus Sorge um die Gesundheit ihrer Mitmenschen einen Mund-/Nasenschutz zu tragen, zeigt auf bestürzende Weise, wie dramatisch es um Gemeinsinn und Solidarität in unserer Gesellschaft bestellt ist. Gerade Nazivergleiche verbieten sich eigentlich grundsätzlich und in jedwedem Zusammenhang, denn sie tragen unweigerlich zur Relativierung des größten Verbrechens bei, das jemals begangen worden ist. Insofern sind wir uns absolut einig.
Auch die Verschwörungstheorien deuten für mich klar auf eine mangelnde Bereitschaft hin, Verantwortung für die Missstände unserer Gesellschaft zu übernehmen. Bevor man sich fragt, was man selbst und das eigene Verhalten möglicherweise mit Ereignissen wie der Pandemie zu tun haben könnte, schiebt man sie lieber dubiosen, nicht näher bezeichneten Kreisen zu, die das alles nur inszeniert haben sollen, um die Weltherrschaft an sich zu reißen. Dabei weiß ich noch nicht einmal, was mich mehr entsetzen soll: die Vorstellung, dass diese Leute wirklich glauben, was sie da sagen oder aber die Vorstellung, dass sie diese Dinge verbreiten, obwohl sie es ausdrücklich nicht glauben.
Dass ich Menschen als Gefahr betrachte oder betrachtet habe, weil Sie Sachverhalte hinterfragen, die ich mich bisher nicht selbst zu hinterfragen getraut habe, hätte ich mir eher nicht attestiert. Aber man nimmt sich ja selbst nie wirklich so wahr, wie andere einen wahrnehmen. Wir alle neigen vermutlich in mehr oder weniger ausgeprägter Form dazu, Haltungen und Lebensweisen unserer Mitmenschen, die von unseren eigenen abweichen, nicht so sehr als gleichwertige Alternative, sondern stattdessen als bedrohliche Infragestellung des von uns gewählten und als einzig wahr empfundenen Weges zu werten. Allzu schnell empfindet man dann die Lebensweise anderer plötzlich als kategorisch falsch und fängt an, sie teils unterschwellig, teils aber auch lautstark und sogar öffentlich anzuprangern. Wer von uns ist schon gänzlich frei davon?
Wichtig scheint mir daher, dass man stets bestrebt bleibt, sich das nötige Maß an Reflektiertheit zu bewahren und seine eigene Position immer wieder neu auf den Prüfstand zu stellen. Gerade solche Dialoge, wie wir beide ihn hier führen, tragen meines Erachtens besonders effektiv dazu bei, genau das zu leisten. Daher nochmals vielen Dank dafür, liebe Sigal!
Deine heftige Kritik an der Keulung der 17 Millionen Nerze in Dänemark teile ich uneingeschränkt. Auch hierin offenbart sich für mich einmal mehr die hässliche Fratze unserer allzu verwöhnten Wohlstandsgesellschaft. Abgesehen von der Frage, ob die Aufzucht, Haltung und Tötung von Nerzen für die Produktion edler Pelze überhaupt zu rechtfertigen ist, wäre es in jedem Fall ein Gebot der Achtung vor der Würde dieser Tiere gewesen, ihre Hygienebedingungen so verantwortungsvoll zu gestalten, dass sie genauso wie Menschen vor der Ansteckungsgefahr mit SARS-CoV-2-Viren geschützt werden. Dass man dabei offenbar kläglich versagt hat, ist schon schlimm genug. Dann aber als Konsequenz daraus ausgerechnet gerade jene die Tiere abzuschlachten, für die man seiner Verantwortung nicht gerecht geworden ist – das ist nichts als blanker Zynismus. Man muss wirklich kein leidenschaftlicher Tierschützer sein, um hierin eine himmelschreiende Ungerechtigkeit zu sehen. Eine Schande!
Und ja: es wäre mehr als wünschenswert, wenn wir alle die Pandemie zum Anlass nehmen würden, ein wenig über Sinn und Unsinn unserer bisherigen Lebensweise nachzudenken. Muss man wirklich fünfmal im Jahr durch die Weltgeschichte jetten? Muss man für ein banales Meeting wirklich 200km aus allen Himmelsrichtungen anfahren? Muss man wirklich jeden Tag aus dem Umland in die Großstädte zur Arbeit und zurück pendeln? All die Argumente, die man bisher als Rechtfertigung für diese Verhaltensweisen angeführt hat, sind von der Pandemie ganz praktisch in Frage gestellt worden. Plötzlich entpuppt sich die nähere Umgebung unseres Wohnorts als durchaus attraktives Urlaubsziel, plötzlich können wir Videokonferenzen wunderbar als brauchbaren Ersatz für Präsenzmeetings abhalten und plötzlich stellt sich heraus, dass ein paar Tage Homeoffice pro Woche durchaus ihren Charme haben. Ähnliches gilt für die zwanghafte Freizeitgestaltung: der gemütliche Abend zuhause (der im Moment leider ziemlich alternativlos ist) kann durchaus auch ohne Lockdown eine nette Alternative zum ständigen Ausgehzwang sein.
Insofern hat ja alles immer auch sein Gutes. Du und ich waren und sind ja nicht immer in allem einer Meinung. Aber die Pandemie scheint uns einander näher gebracht zu haben. Wenn das nicht ein Zeichen er Hoffnung ist…
Sei gesund + alles Liebe
Daniel
Hallo Daniel!
Wir kennen uns zwar nicht, aber ich würde trotzdem gerne auf deinen Blogartikel eingehen. In diesem sprichst du einige Dinge an, denen ich sicherlich uneingeschränkt zustimmen würde, wieder anderen würde ich widersprechen und an manchen Stellen scheinen aus meiner Sicht Logikfehler vorzuliegen oder vielleicht auch einfach Themenfelder ausgeklammert / nicht berücksichtigt worden zu sein, die mir als wichtig oder naheliegend erscheinen. Wenn du magst lass uns doch darüber ein wenig austauschen.
Zutreffend beobachtet ist es natürlich, dass es einen Teil der Gesellschaft gibt, der dem Virus oder der Pandemie nicht die Wichtigkeit beimisst, die diese® erfordert. Teilweise wird das sicherlich einem Mangel an Information, einem Übermaß an Fehlinformation, einer nicht ausreichenden Hinterfragung der als „sicher“ eingestuften Quellen oder eben an kognitiven Verzerrungen liegen. Daher finde ich es wichtig, dass du zu den jeweiligen Aussagen im Faktencheck auch die entsprechenden Quellen zum Nachlesen verlinkst. Eventuell wäre gerade beim Thema „Studien“ noch hilfreich gewesen, den geneigten Zuhörer*innen zu vermitteln, wie diese zu interpretieren seien bzw. warum diese, die ja nun möglicherweise das genaue Gegenteil von dem „behaupten“, was „ich weiß“ wissenschaftlich fundierter sind, bzw. warum ich denen vertrauen können sollte.
Zweifellos führst du im Laufe des Blogartikels einige sehr gute und zutreffende Argumente an, die sich wohl nur äußerst schwer entkräften lassen, wenn man auf der „Gegenseite“ stünde. Als Beispiel, was mir besonders positiv im Gedächtnis geblieben ist, ist eben die Frage, inwieweit es denn eine sinnige Sache der Regierungen wäre, die eigene Wirtschaft zu sabotieren, wenn es das Virus entweder nicht gibt oder dieses gar nicht gefährlich ist oder oder. Ich glaube da geriete man dann doch in Erklärungsnot und so sehr ich mich bemühe fallen mir da außer seltsamen, besonders abstrusen Theorien, bei denen man um 10 Ecken denken muss, damit das irgendwie noch halbwegs passen kann, leider keine guten Gegenargumente ein.
Und auch wenn ich nun deine Argumentation bereits gelobt habe, so möchte ich an dieser Stelle gerne das „WIE“ kritisieren. Wobei das nur Kritik wäre, wenn es deine Intention mit dem Blogpost gewesen wäre, die Menschen zu erreichen, die eine andere Position vertreten. An manchen Stellen ist mir die Wortwahl aufgefallen, die dazu führt, dass „ich mich“ wenn ich auf der anderen Seite stünde, nicht mit der von dir genannten Gruppe der „Corona-Kleinredner“ identifizieren würde. Ein Mangel an Identifikation mit der beschriebenen Gruppe führt häufig bei Leser*Innen dazu, dass diese die nun folgende Argumentation ablehnen, nicht, weil diese nicht logisch oder zutreffend wäre, sondern weil sie sich nicht abgeholt fühlen oder unterbewusst die jeweilige Bezeichnung ablehnen. In der Gesprächsführung ist es daher besonders wichtig, dass man die unterschiedlichen Parteien zu einem Punkt bewegt, an dem diese einander wirklich wahrnehmen. Gut, nun ist ein Blogartikel auch sicherlich immer eine Möglichkeit die eigene Meinung öffentlich darzustellen, wenn es nicht gar der Existenzzweck eines Blogs ist, aber wie gesagt, solltest du beabsichtigt haben, bestimmte Gesellschaftsgruppen damit anzusprechen und zu erreichen, habe ich dir vielleicht einen Anstoß mitgeben können, warum das möglicherweise fehlschlagen würde / fehlschlägt.
Ich will jetzt gar nicht sämtliche Kommunikation oder jeden Paragraphen einzeln auseinandernehmen oder kommentieren, daher verzeih mir, wenn ich einfach zu den Dingen springe, die meiner Ansicht nach ausgelassen wurden oder nicht so stark hervorgehoben wurden, wie du das vielleicht hättest tun können.
Im Abschnitt KNOW YOUR ENEMY sprichst du davon, dass Kontrollverlust durch die Pandemie und der Mangel einer klaren Zukunftsperspektive als Folge daraus eine Art Schock erzeugt hat. Außerdem stellst du die Frage, ob das Individuum nun auf die uneingeschränkte Freiheit in Themenfeldern wie Freizeitgestaltung oder Karriereentwicklung verzichten muss. Und ich denke die Antwort darauf ist wohl ein deutliches Ja, WENN wir aus der Pandemie nichts lernen.
Nun, was könnten wir daraus lernen? Ich denke das einfachste und offensichtlichste ist, darüber nachzudenken, wie und warum die Situation entstanden ist, in der wir uns befinden, um diese zukünftig zu verhindern. Eigentlich passend zum Thema „Know your enemy“ – nun, der Virus ist – ähnlich wie eine Menge anderer Viren vor ihm – eine Zoonose, also etwas, was sich zunächst in einer anderen Spezies entwickelt und dann durch glückliche Mutation und denkbar beschissene Lebensumstände der Tiere, den Weg / Sprung zu uns Menschen geschafft hat.
Wenn wir jetzt also sagen würden: „Hey, Pandemie ist irgendwie ziemlich scheiße.“, dann wäre was unser Ansatz, um diese zukünftig zu verhindern?
Wie würdest du das lösen? Mein persönlicher Ansatz wäre es, Zoonosen im Keim zu ersticken. Sprich: ich würde die Bedingungen, die es zum Entstehen von Zoonosen braucht schlichtweg nirgends zulassen.
Da dein Text auf mich einen recht gebildeten Eindruck macht überspringe ich mal die Viren- und Biologiegrundkenntnisse (wenn irgendwas unsinnig erscheint oder der Gedankensprung nicht nachvollziehbar ist, bitte drauf hinweisen).
Das Virus muss ja bekanntlich mutieren, um auf den Menschen übertragbar zu werden. Nun wie könnten wir Bedingungen herstellen, die optimal für ein Virus wären, dass möglichst viele Iterationen durchlaufen muss, um irgendwann auf andere Spezies übertragbar zu sein. Mir fällt da was ein: möglichst viele Wirte wären schonmal ein guter Ansatz. Wo finden wir die? Am besten dort, wo viele Tiere der gleichen Art nah beieinander leben, damit sie sich möglichst schnell und möglichst alle anstecken. Das ermöglicht die maximale Varianz in den Mutationen und erhöht damit drastisch die Wahrscheinlichkeit, dass wir bei unserer Mutation „Glück“ haben, und sie nun auf eine andere Spezies übertragbar ist. Dann bräuchten wir natürlich noch eine Art „Mittel“ oder „Botenstoff“ über den wir den Kontakt zur „Zielspezies“ herstellen. Wenn der geneigte Leser nun mitgedacht hat, wird er oder sie bereits wissen, worauf ich hinaus will. Die einfachste Möglichkeit, um optimale Bedingungen für weitere Pandemien herzustellen, ist, möglichst viele Tiere auf möglichst engem Raum zu halten oder in grundsätzlich engem Kontakt, diese dann in engem Kontakt zum Menschen zu haben und Teile von ihnen entweder direkt zu konsumieren oder Oberflächen, Gegenstände o.ä. zu benutzen, mit denen sie in Kontakt gekommen sind.
Tjoa oder anders ausgedrückt: „industrielle Tierhaltung“ oder: der GAU für weitere Pandemien. Wobei… das U steht ja für Unfall und die industrielle Tierhaltung stellt nun beileibe ja keinen Unfall dar sondern eine von uns gewählte Form der Tierhaltung und ‑Nutzung, die aber, wie wir es am „Übungsbeispiel“ Corona sehen, offenbar weitreichende und dramatische Folgen haben kann.
Was wäre denn hier eine einfache Lösung? … Kurz überlegt – vielleicht einfach den ganzen Mist abschaffen? Keine industrielle Tierhaltung – vielleicht grundsätzlich keine derartige Form der unnatürlichen Tierhaltung (?) und dann dürften wir die Wahrscheinlichkeit wohl deutlich reduzieren. Blöde (& zugegebenermaßen rhetorische) Frage hintendran: Hat jemand ne Idee, wie wir die Chance weiterer Pandemien quasi auf 0 setzen können? „Ich, ich!“ – „Wir könnten: aufgepasst, jetzt kommt der verrückte Teil, wir könnten ja einfach keine Tiere mehr halten und konsumieren.“ Problem – quasi – gelöst.
Nun ich persönlich lebe – wie vielleicht im Unterton meinem Beitrag zu entnehmen ist – seit einiger Zeit vegan. Es ist für mich sowohl aus humanistischen als auch aus (tier-)ethischen, sowie gesundheitlichen Gründen und dem Umweltschutz zuliebe in meinem Interesse, dass wir aufhören Tiere zu konsumieren. Ich bin allerdings auch davon überzeugt, dass es in unser alle Interesse ist und damit meine ich im Interesse nahezu jeden Individuums sowie der Gesellschaft aller insgesamt, uns vom Konsum von Tieren und ihren „Produkten“ (sehr euphemistisch diese Bezeichnung) abzuwenden.
In deinem Kommentar auf Sigals Beitrag schreibst du, dass es „mehr als wünschenswert [wäre], wenn wir alle die Pandemie zum Anlass nehmen würden, ein wenig über Sinn und Unsinn unserer bisherigen Lebensweise nachzudenken.“ Du sprichst im Folgenden jedoch vorwiegend die Nebeneffekte der Pandemie (eingeschränkte Mobilität), nicht aber die Ursache / Herkunft dieser (Tierhaltung) an, zumindest nicht als Element, was es deiner Meinung nach zu hinterfragen gibt. Da würde mich interessieren, inwieweit du das zu hinterfragen gedenkst oder möglicherweise bereits getan hast?
Ich vermute einfach mal, dass du (noch) nicht vegan lebst. Ich persönlich halte eine vegane Lebensweise sowohl für ethischer als auch wie zuvor ausgeführt für einen Weg, auf dem wir zukünftige Pandemien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindern könnten. Bleiben wir einfach mal bei der Annahme, dass du nicht vegan lebst (ich habe übrigens den Blogpost zum Thema vegan auch gefunden & gelesen) – da du (bislang) noch der Überzeugung bist, den Konsum von tierischen „Produkten“ vertreten zu können, würde mich interessieren, wie du global gesehen Pandemien lösen würdest? Nicht, dass ich dich persönlich da in der Alleinverantwortung sehe, sondern eher aus dem Gedanken heraus, dass eine persönliche Entscheidung, wie der Nichtkonsum von Tieren & ihren „Produkten“, gleichzeitig sowohl umweltfreundlicher, ressourcenschonender als auch gesünder ist und, worauf es bei diesem Thema eben ankommt, verhindern kann, dass weitere Pandemien entstehen, während der weitergeführte Konsum, diese befördert.
Ich hoffe du empfindest die Frage nicht als gemein, sondern siehst sie so wie ich: Wer zu einer möglichen Konsequenz beiträgt, ist auch in der Verantwortung, dieser Konsequnz präventiv entgegenzuwirken, zumindest wenn sie Auswirkungen hat wie dies beim Thema Pandemie (oder Klimawandel oder …) der Fall ist.
Also Mal angenommen vegan ist für dich tatsächlich keine Lösung, was wäre denn deine Lösung? Oder siehst du da bei dir als individuellem Konsumenten keine Verantwortung?
Für alle, denen die ökologischen, ökonomischen, gesundheitlichen, humanistischen und (tier-)ethischen Gründe für eine vegane Lebensweise nicht ausreichen oder nicht einleuchten, muss es ja auch eine andere Möglichkeit geben, die Situation zu lösen. Wie sieht diese aus? Wie hängt unsere Eigenverantwortung mit Gesellschaftsverantwortung und Solidarität zusammen? Könnte ich vielleicht sogar aus der Perspektive argumentieren, dass schon weil eine Pandemie zu risikoreich ist, wir aus solidarischen Gründen keine tierischen „Produkte“ konsumieren dürften?
Ich belasse es mal zum Schluss mit dieser Frage, hätte sicherlich noch einiges zu sagen aber ich bin so schon bei einem halben Roman, daher machen wir an dieser Stelle Schluss. Ich wünsche dir & allen Mitlesenden alles Gute, bleibt gesund und auf ein besseres 2021 & 2022.
Liebe Grüße
Björn Freiberg
Lieber Björn,
vielen Dank für Deinen ebenso ausführlichen wie wohldurchdachten Kommentar. Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass die in meinem Blogbeitrag geteilten Gedanken sogar Leute zu Kommentaren inspirieren, die ich gar nicht kenne. Du sprichst in Deinem sehr ausführlichen Kommentar eine Reihe von Punkten an, zu denen ich gerne meinerseits etwas bemerken möchte:
Darüber hinaus bin ich gar nicht so sicher, wie viele der von mir kritisierten „Verharmloser“ sich durch noch so sachliche Argumente davon überzeugen ließen, ihre Haltung zu überdenken. Wären sie sachlichen Argumenten wirklich zugänglich, hätten sie eigentlich schon längst die ganze Tragweite der Pandemie erkennen und anerkennen müssen.
Auf die Frage nach Präventionsmöglichkeiten für Zoonosen, die zweifellos als Hauptursache für Pandemie gelten müssen, habe ich diesen Beitrag des International Livestock Research Institute gemeinsam mit der UNEP gefunden. Die Massentierhaltung taucht auch dort nicht als primärer Risikofaktor für Pandemien auf. Das liegt zum einen daran, dass dort normalerweise schon in kommerziellem Interesse sehr stark auf Infektionsschutz gesetzt wird. Zum anderen belgeiten uns die üblichen Keime der Tiere, um die es dabei geht, seit vielen Jahrhunderten, so dass unser Immunsystem gut darauf eingestellt ist. Eine viel größere Gefahr geht indessen durch die Ansteckung bei wildlebenden Tieren aus, mit denen wir per definitionem als Menschen eigentlich kaum in Berührung kommen dürften. Dass es dennoch vermehrt zu solchen Ansteckungen kommt, liegt nach dem Bericht vor allem an der zunehmenden menschlichen Besiedlung der Lebensräume dieser Tiere, durch die es vermehrt zu Berührungspunkten zwischen diesen Tierarten und Menschen kommt. Dazu kommt selbstverständlich der in manchen Kulturen gepflegte Verzehr exotischer, wildlebender Tiere und vor allem die hohe Bevölkerungsdichte in urbanen Gebieten, die eine schnelle Infektionsausbreitung begünstigt und die extreme globale Mobilität, durch die solche Infektionen in kürzester Zeit in die gesamte Welt hineingetragen wird.
Die Prävention bestünde demnach darin, die Lebensräume der wildlebenden Tiere möglichst unangetastet zu lassen, urbane Konzentrationen aufzulösen und die globale Reisetätigkeit zu reduzieren. Da lag ich also mit meinen Themen gar nicht so falsch…
Vor allem gilt es aber, sehr viel mehr auf nachhaltige, ressourcenschonende Landbewirtschaftung zu setzen und die Nachfrage nach dem Verzehr tierischer Produkte massiv zu reduzieren. Ein vielversprechender Ansatz, dem ich gerade neulich in einem sehr interessanten Vortrag zu nachhaltiger Landwirtschaft begegnet bin, besteht in der Internalisierung externer Effekte der Landwirtschaft mit dem Ergebnis einer sogenannten öko-sozialen Marktwirtschaft. Das bedeutet im Wesentlichen, dass der Verkaufspreis eines landwirtschaftlichen Produkts alle umweltbezogenen Folgekosten beinhalten müsste, die aufgrund seiner Produktion entstehen, so dass man diese Schäden aus dem Produktpreis heraus sanieren kann. Nach einer Studie der Boston Consulting Group von 2019 hieße das beispielsweise, dass Rindfleisch fünf- bis sechsmal so viel kosten müsste wie sein derzeitiger Marktpreis. Bei Geflügel wären es immerhin noch drei- bis viermal, bei Schweinefleisch zwei- bis zweieinhalbmal so viel. Milch wäre zwei- bis zweieinhalbmal und Eier ca. doppelt so teuer wie bisher. Äpfel und Möhren hingegen würden kaum teurer werden. Brotweizen wäre allerdings auch wieder fünfmal so teuer wie bisher.
Mit einer solchen Preisgestaltung würde der Konsument an der Ladentheke entscheiden müssen, ob ihm der Konsum nachhaltigkeitsschädigender Produkte die Entrichtung der dafür notwendigen Umweltsanierungskosten wert ist. Wer dann unbedingt ein Kilo Rindfleisch für 120 Euro kaufen will, kann das dann tun und hat die Wiederherstellung der dadurch hervorgerufenen Umweltschäden auch gleich mitbezahlt. Mit Obst und Gemüse käme er aber sehr viel günstiger weg. Es ist vorhersehbar, dass der Markt das Problem auf diesem Wege sehr schnell über das Konsumentenportemonnaie gelöst hätte und nachhaltig erzeugte Produkte sich in kürzester Zeit durchgesetzt hätten.
Ich hoffe, das ist eine Antwort, mit der Du leben kannst. Der kategorische Verzicht auf tierische Produkte ist insofern aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten nicht zwingend erforderlich. Diese Produkte müssten aber so teuer sein, dass der durch ihre Herstellung hervorgerufene Umweltsanierungsbedarf beim Kauf mitbezahlt würde. Dadurch entstünde ganz schnell und ohne die Notwendigkeit ideologischer Überzeugungsarbeit eine massive Verschiebung zu pflanzlichen Produkten. Salopp gesagt: der gute alte Sonntagsbraten (oder wohl eher der Monatsanfangsbraten) würde eine Renaissance erleben, während der Rest der Woche bzw. des Monats vegan gegessen würde.
Man kann die Frage nach dem Verzehr tierischer Produkte natürlich auch unter anderen als ökologischen Gesichtspunkten diskutieren. Aber das war ja hier nicht das Thema.
Bleib gesund + alles Liebe
Daniel
Lieber Daniel,
gestern habe ich bei unserem bislang ziemlich vergeblichen Versuch, uns die französische Sprache gefügig zu machen, einen schönen Ausdruck gelernt: mettre ses deux centiemes. Jetzt gebe ich also meine zwei Cents sprich meinen Senf zu dieser Diskussion.
Ich stimme Dir in eigentlich allen Punkten zu, würde aber gerne noch den ein oder anderen Gedanken hinzufügen, der Deine Überlegungen zu den Ursachen der Verleugnung ergänzen und ggf. zu einem weiteren Austausch anregen soll.
Nach derzeitiger Kenntnis der Krankheitsverläufe nach einer Corona-Infektion erkranken nicht alle Infizierten gleich schwer, an nicht wenigen scheint die Infektion ziemlich geräuschlos vorbeizuziehen, einige erwischt es schwer oder sie versterben gar. Die Risikofaktoren und Statistiken dürften bekannt sein, sie sind auch nicht mein Punkt. Ich denke, bei Corona-Verleugnung kommt vielmehr ein machtvolles psychologisches Motiv ins Spiel, nämlich das der Verdrängung von unliebsamen Tatsachen. So ziemlich jeder Raucher dürfte beispielsweise über die Risiken seiner Angewohnheit informiert sein, trotzdem reicht diese Erkenntnis so gut wie nie aus, um mit dem Rauchen aufzuhören. Nun kommt hier sicher der Suchtfaktor ins Spiel, aber mir sind nicht wenige starke Raucher bekannt, die nur unter Aufbringung größter mentaler Anstrengungen ein Flugzeug besteigen (das Absturzrisiko ist bekanntlich exorbitant), die Petitionen gegen Funkmasten in ihrer (weiteren) Umgebung aufsetzen oder ihr Trinkwasser nur aus Karaffen trinken, die durch affirmative Gravuren und Befuellung mit Halbedelsteinen ein spirituell einwandfreies, gesundheitsförderndes Trinkerlebnis versprechen. Und so gut wie immer wird dann auf Helmut Schmidt s.A. verwiesen, dessen Konstitution ihn vermutlich unwillentlich zur Ikone der Rauchergemeinde erhoben hat. Etc etc. Verdrängung in Kombination mit einem wenig ausgeprägten, weil teilweise kontraintuitiven mathematischen Verständnis, insbesondere im Bereich der Wahrscheinlichkeitsrechnung, führen dann zu diesen Absurditäten, die für sich genommen sehr menschlich und teilweise auch amüsant und liebenswert sind.
Nun bilden Glaube Liebe Hoffnung, Verdrängung und mangelndes mathematischen Verständnis auf der individuellen Ebene einen sehr menschlichen Bezugsrahmen, der ja auch durchaus positive Seiten hat und manchmal, against all odds, Berge versetzten kann. Schwierig wird es dann da, wo individuelle Befindlichkeiten und Anspruechlichkeiten negative Auswirkungen auf Andere haben, wo die Interessen, Werte und Glaubenssätze des Individuums ein Problem fuer die Mitkreaturen (Gruss an Sigal 😉 darstellen und die Gesellschaft kein Korrektiv mehr bildet. Den von Dir gebrauchten Begriff des Individualismus, dem in unserer westlichen Kultur so gehuldigt wird und den Du zutreffend als bedeutsamen Faktor in dieser Krise identifiziert hast, möchte ich aber gerne hinterfragen und präzisieren, da ich ihn schief finde. Er ist hier nicht der Schurke.
Meiner Meinung nach besteht ein Paradoxon. Individualismus ist genau deswegen so begehrenswert, weil er heute weniger denn je erreicht wird und erreichbar ist. Das ist ein bisschen wie mit der Sehnsucht nach Jugend in alternden Gesellschaften. Ich behaupte, Individualismus im Sinne von echter Selbstwirksamkeit und Selbstverwirklichung hat in unserer Gesellschaft so gut wie keinen Raum mehr. Die berüchtigten, algorithmen-basierten Filterblasen für Informationen in den (sozialen) Medien, eine hochgradig arbeitsteilige Gesellschaft, in der der Einzelne die Konsequenzen seines Handelns kaum noch mitbekommt, das Phänomen Influencer, die meist völlig austauschbare Gedankengänge und Geschmacksrichtungen vorgeben… Urlaub, Freizeit, Karriere als Möglichkeiten des ach so individuellen Ausdrucks, den die Pandemie jetzt einschränkt? In dem Moment, wo „Individualismus“ fast nur noch durch Höher Schneller Weiter, exzessiven Konsum und / oder möglichst abseitige und provokante Meinungsäußerungen herstellbar ist und Selbstwirksamkeit mit Rücksichtslosigkeit verwechselt wird, da wo demokratisch legitimierte Einschränkungen im Sinne des Gemeinwohls als Angriff auf die eigenen Person interpretiert werden, hast Du die Zutaten, genauer gesagt das Vakuum, das die von Dir beschriebenen Reaktionen hervorbringen. Narzissmus scheint hier der treffendere Begriff zu sein, spätestens seit the Donald jedem ein Begriff, der ganz sicher kein Unfall war als Führungsfigur einer Nation, die vom Mythos der Selbstverwirklichung lebt. Ich würde behaupten, Individualismus braucht im Gegensatz zum Narzissmus immer die Gemeinschaft als Resonanzboden, Spiegel und Korrektiv.
Wenn ich einen Wunsch frei hätte dann den, dass wir bei den Aufraeumarbeiten nach der Corona-Krise nichts weniger als einen Paradigmenwechsel vollziehen. Der Mensch ist Individuum und soziales Wesen zugleich, die Relation muss in unserem Kulturkreis neu bestimmt werden, zumal in anderen Teilen der Welt hierzu ganz andere Vorstellungen bestehen und uns dieses Thema noch mehr beschäftigen dürfte, als es uns vielleicht lieb ist. Aber das ist nun der Beginn einer neuen Diskussion, die ganz im Sinne von Sigal auch erweitert werden muss um unser Verhältnis zur Natur und anderen Kreaturen.
Vielen Dank Dir für Deine Gedanken und Anregungen, ich lese Deinen Blog wirklich gerne und bin ein bisschen stolz, dass ich mir jetzt endlich mal die Zeit für diesen Austausch genommen habe. Da pflichte ich Dir völlig bei: Selbst bei unterschiedlichen Standpunkten müssen wir miteinander im Gespräch bleiben, danke für den Schubser.
Alles Liebe aus dem verschneiten Kanada,
Simone