Vom Zäh­len zur Man­del­brot­men­ge – Teil 4: Reel­le Zahlen

Hal­lo Ihr Lieben,

auf unse­rem Erkun­dungs­pfad zur Man­del­brot­men­ge haben wir uns im letz­ten Teil die Men­ge der Ratio­na­len Zah­len erschlos­sen, für die ins­be­son­de­re gilt, dass die Ergeb­nis­se der Grund­re­chen­ar­ten Addi­ti­on, Sub­trak­ti­on, Mul­ti­pli­ka­ti­on und Divi­si­on stets selbst ratio­na­le Zah­len sind und damit inner­halb unse­rer bekann­ten Zah­len­welt blei­ben. Das Gan­ze gilt sogar für das Poten­zie­ren mit ganz­zah­li­gen Expo­nen­ten, da die­ses ja eigent­lich nichts ande­res ist, als die fort­ge­setz­te Hin­ter­ein­an­der­aus­füh­rung von Mul­ti­pli­ka­tio­nen oder Divi­sio­nen. Beim Wur­zel­zie­hen als Umkehr­ope­ra­ti­on des Poten­zie­rens hin­ge­gen konn­ten wir zei­gen, dass wir im All­ge­mei­nen Ergeb­nis­se erhal­ten, die nicht Teil der Ratio­na­len Zah­len sind und damit mal wie­der außer­halb unse­rer gera­de erst müh­sam erwei­ter­ten bekann­ten Zah­len­welt gera­ten. Wir haben fer­ner gelernt, dass die­je­ni­gen Ergeb­nis­se des Wur­zel­zie­hens, die selbst kei­ne ratio­na­le Zah­len sind, fol­ge­rich­tig als „irra­tio­na­le Zah­len” bezeich­net werden.

Was also liegt näher, als ein­fach die Ratio­na­len Zah­len und die Irra­tio­na­len Zah­len in einen Topf zu schmei­ßen, um eine erneut erwei­ter­te Zah­len­welt zu erhal­ten, die man dann auch beim Wur­zel­zie­hen nicht mehr ver­lässt? Genau­so haben wir es ja schließ­lich auch im zwei­ten Teil die­ser Bei­trags­se­rie mit den Natür­li­chen Zah­len und den nega­ti­ven Zah­len gemacht und uns damit die Gan­zen Zah­len zusam­men­ge­mixt. In der Tat haben die Mathe­ma­ti­ker im Wesent­li­chen schon im Früh­mit­tel­al­ter eben gera­de die­se Erkennt­nis gehabt und die Ratio­na­len mit den Irra­tio­na­len Zah­len fol­ge­rich­tig ein­fach zusam­men­ge­legt. Das Ergeb­nis die­ser Ver­ei­ni­gung bezeich­net man als die Men­ge der „Reel­len Zah­len” (abge­kürzt mit dem mathe­ma­ti­schen Sym­bol „\mathbb{R}”). Die­se Bezeich­nung stammt übri­gens von nie­mand gerin­ge­rem als René Des­car­tes. Sie klingt im Moment etwas unmo­ti­viert, wird aber spä­tes­tens im nächs­ten Teil die­ser Bei­trags­se­rie ver­ständ­lich werden.

War’s das also schon für die­ses Mal? Kei­ne lang­at­mi­gen Erklä­run­gen mit bun­ten Bild­chen und so? Ist das wirk­lich so einfach?

Ant­wort: nicht, wenn man sich mal erlaubt zu fra­gen, wie irra­tio­na­le bzw. reel­le Zah­len denn kon­kret aus­se­hen und wie man mit ihnen rech­net. Das schau­en wir uns dann doch lie­ber noch ein biss­chen genau­er an.

Ohne Punkt aber mit Komma

Da wir vom letz­ten Mal noch wis­sen, dass man die Irra­tio­na­len Zah­len ja gera­de nicht als Bruch aus zwei gan­zen Zah­len schrei­ben kann, fällt die­se Art der Zah­len­dar­stel­lung also für die Irra­tio­na­len Zah­len schon mal weg und dis­qua­li­fi­ziert sich damit auch gleich als all­ge­mei­ne Dar­stel­lung für reel­le Zah­len, da die­se ja – wie oben dar­ge­legt – ins­be­son­de­re die Irra­tio­na­len Zah­len ent­hal­ten. Auf den ver­mut­lich im Jah­re 1548 in Brüg­ge gebo­re­nen Mathe­ma­ti­ker, Phy­si­ker und Inge­nieur Simon Stevin geht statt­des­sen die soge­nann­te „Dezi­mal­dar­stel­lung” zurück, mit der man auf jeden Fall schon mal alle ratio­na­len Zah­len und – wie wir wei­ter unten sehen wer­den – im Grun­de auch alle irra­tio­na­len Zah­len auf­schrei­ben kann (wenn man sich ein biss­chen Zeit dafür nimmt). Wir alle ken­nen die Dezi­mal­dar­stel­lung aus dem Schul­un­ter­richt schlicht als „Kom­ma­zah­len”, und sie set­zen sich aus einer gan­zen Zahl, einem Kom­ma und einer Fol­ge von Zif­fern hin­term Kom­ma zusammen:

Jede der Zif­fern links vom Kom­ma ent­spricht dabei der­je­ni­gen Zahl, die ent­steht, wenn man die Zif­fer je nach Ent­fer­nung vom Kom­ma mit 1, 10, 100, 1000 usw. mul­ti­pli­ziert. Soll hei­ßen: die Zif­fer direkt links am Kom­ma (in unse­rem Bei­spiel die „6”) wird mit 1 mul­ti­pli­ziert, die­je­ni­ge links dane­ben (in unse­rem Bei­spiel die „7”) mit 10, die nächs­te links dane­ben (hier die „5”) mit 100 und so wei­ter. Ins­ge­samt ste­hen die drei Zif­fern links vom Kom­ma also für fol­gen­de Rechenaufgabe:

Rechts vom Kom­ma pas­siert ähn­li­ches – außer dass man mit zuneh­men­der Ent­fer­nung vom Kom­ma nicht mit 1, 10, 100, 1000 usw. mul­ti­pli­ziert, son­dern statt­des­sen mit 1/10, 1/100, 1/1000 usw. In unse­rem obi­gen Bei­spiel steht die „1” (an ers­ter Stel­le rechts vom Kom­ma) dem­nach für 1×1/10, die „3” (an zwei­ter Stel­le rechts vom Kom­ma) für 3×1/100 und die „4” (an drit­ter Stel­le rechts vom Kom­ma) für 4×1/1000. Ins­ge­samt ent­spricht das obi­ge Bei­spiel also fol­gen­der Rechenaufgabe:

oder – etwas ein­fa­cher ausgedrückt:

Krass oder? Wir schrei­ben gefühlt wohl fast jeden Tag irgend­wel­che Kom­ma­zah­len auf. Auf alle Fäl­le lesen wir sie immer dann, wenn wir es mit Geld­sum­men zu tun haben – also etwa im Super­markt, beim Online-Shop­pen oder auf dem Kon­to­aus­zug. Aber wann machen wir uns eigent­lich noch Gedan­ken dar­über, was die­se Art der Zah­len­dar­stel­lun­gen wirk­lich bedeu­tet und wie sie wirk­lich funk­tio­niert? Im Grun­de ist sie näm­lich gar nicht so selbst­er­klä­rend, wie wir sie im all­täg­li­chen Umgang empfinden.

Und spä­tes­tens, wenn man mal reka­pi­tu­lie­ren soll, wie man von einer ratio­na­len Zahl in Bruch­dar­stel­lung – also in der Form „a/b” – zu ihrer zuge­hö­ri­gen Dezi­mal­dar­stel­lung im Sin­ne des eben Erläu­ter­ten gelangt, ist es um die schein­ba­re Selbst­ver­ständ­lich­keit der Kom­ma­zah­len gar nicht mehr so gut bestellt.

Also – wie macht man das jetzt mit dem Umwan­deln von Bruch- in Dezimaldarstellung?

Nun, das erschließt sich wohl am ehes­ten, wenn man sich wie­der ein­mal dar­an erin­nert, dass ein Bruch der Form „a/b” für die Rechen­auf­ga­be „a÷b” – also „a geteilt durch b”– steht. Wir alle soll­ten noch aus der Grund­schu­le wis­sen, wie man schrift­lich divi­diert („Ja klar. Träum ruhig wei­ter”). Wer das ver­ges­sen hat, dem habe ich das in einem eige­nen klei­nen Bei­trag noch­mals zusam­men­ge­stellt. Dort wird auch erläu­tert, dass bei der schrift­li­chen Divi­si­on hin­ter dem Kom­ma der Dezi­mal­zahl im Ergeb­nis immer nur einer der fol­gen­den drei Fäl­le ent­ste­hen kann:

  1. Nach einer bestimm­ten Anzahl sich nicht wie­der­ho­len­der Nach­kom­ma­stel­len fol­gen nur noch Nul­len. Die kann man alle weg­las­sen und erhält somit eine end­li­che Zahl von Nach­kom­ma­stel­len. So eine Dezi­mal­zahl nennt man dem­entspre­chend „end­li­che Dezi­mal­zahl”. Beispiel:

\frac{9}{8} = 1,125

  1. Die­sel­be Fol­ge von Zif­fern wie­der­holt sich immer wie­der in den Nach­kom­ma­stel­len. So etwas nennt man „rein­pe­ri­odi­sche Zahl” und schreibt die sich wie­der­ho­len­de (=„peri­odi­sche“) Zif­fern­fol­ge nur ein­mal hin, mar­kiert sie aber dafür mit einem dar­über­lie­gen­den Strich. Beispiel:

\frac{20}{13} = 1,538461 538461 538461 538461 538461\ldots = 1,\overline{538461}

  1. Die bei­den obi­gen Fäl­le tre­ten gemischt auf: eine end­li­che Zahl wird von einer Peri­ode gefolgt. Fol­ge­rich­tig spricht man in die­sem Fall von einer „gemischt peri­odi­schen” Dezi­mal­zahl. Beispiel:

\frac{1301}{14} = 92,92 857142 857142 857142\ldots = 92,92\overline{857142}

Irra­tio­nal ohne Ende

Im Unter­schied zu den oben auf­ge­führ­ten mög­li­chen Arten der Dezi­mal­dar­stel­lung für ratio­na­le Zah­len, ist die Dezi­mal­dar­stel­lung einer irra­tio­na­len Zahl weder end­lich noch peri­odisch oder gemischt peri­odisch. Soll hei­ßen, es ent­ste­hen unend­lich vie­le Zif­fern rechts vom Kom­ma, ohne dass es irgend­wann eine Zif­fern­fol­ge gibt, die sich peri­odisch wie­der­ho­len würde.

Der Grund dafür liegt in der Natur der irra­tio­na­len Zah­len: sie ste­hen ja für Zah­len, die per defi­ni­tio­nem eben gera­de nicht als Bruch dar­stell­bar sind. Genau das wäre aber der Fall, wenn ihre Dezi­mal­dar­stel­lung in eine der drei oben erwähn­ten Kate­go­rien fie­le, denn man kann zu jeder Dezi­mal­zahl, die in eine der drei oben genann­ten Kate­go­rien fällt, immer einen Bruch mit Zäh­ler und Nen­ner berech­nen, des­sen Wert gera­de die­ser Zahl ent­spricht. Wie das geht, steht eben­falls in mei­nem oben erwähn­tem Bei­trag zum Hin- und Her­rech­nen zwi­schen Dezi­mal­zah­len und Brü­chen.

Wenn wir etwa an unse­re Wur­zel aus 2 den­ken, für die wir im letz­ten Teil dar­ge­legt hat­ten, war­um sie nicht ratio­nal sein kann, dann wür­de man wohl am ehes­ten ver­su­chen, ihren Wert als Dezi­mal­zahl durch fort­ge­setz­tes Aus­pro­bie­ren zu bestim­men. Wir wis­sen ja schon mal, dass die 1 als Wur­zel aus 2 zu klein ist, denn 1×1 ist 1 und damit klei­ner als 2. Die 2 selbst ist aber offen­sicht­lich als Wur­zel aus 2 zu groß denn 2×2 ist 4 und nicht etwa 2. Damit muss die Wur­zel aus 2 also auf jeden Fall mal zwi­schen 1 und 2 liegen.

Mit etwas Her­um­pro­bie­ren krie­gen wir raus, dass 1,4×1,4 mit 1,96 der 2 schon ziem­lich nahe kommt, wäh­rend 1,5×1,5 mit 2,25 wie­der zu groß ist. Also liegt die Wur­zel aus 2 zwi­schen 1,4 und 1,5. Das kann man jetzt Stel­le für Stel­le aus­pro­bie­ren. Für die ers­ten acht Stel­len der Wur­zel aus 2 sieht das dann so aus:

(klei­ner Hin­weis für das Lesen die­ses Bei­trags auf Mobil­ge­rä­ten: wenn Ihr auf die Illus­tra­tio­nen tippt, erschei­nen Sie im Voll­bild­for­mat, in wel­chem sie sich deut­lich bes­ser ent­zif­fern las­sen. Ha – „ent-Zif­fern”! Tref­fen­der kann man es in die­sem Zusam­men­hang gar nicht nennen)

Auf der lin­ken Sei­te haben wir pro Zei­le je eine Stel­le hin­zu­ge­fügt – und zwar so, dass die Mul­ti­pli­ka­ti­on die­ser Zahl mit sich selbst gera­de noch klei­ner als 2 ist. Rechts hin­ge­gen, haben wir die Stel­len so hin­zu­ge­fügt, dass die Mul­ti­pli­ka­ti­on der Zahl mit sich selbst immer gera­de noch grö­ßer als 2 bleibt. In der Mit­te ste­hen die Dif­fe­ren­zen zwi­schen der jeweils rech­ten und lin­ken Zahl. Man sieht, dass bei­de Sei­ten sich immer mehr der 2 annä­hern und die Dif­fe­renz aus bei­den ent­spre­chend immer klei­ner wird.

Fra­ge: wie oft müs­sen wir das jetzt so fort­füh­ren, bis wir end­lich die Wur­zel aus 2 voll­stän­dig daste­hen haben – bis die Dif­fe­renz zwi­schen bei­den Sei­ten also Null ist?

Ant­wort: für immer und ewig. Käme die­ser Pro­zess je zu einem Ende, so hät­ten wir eine end­li­che Dezi­mal­zahl, die wir – wie oben fest­ge­stellt – in einen Bruch ver­wan­deln könn­ten. Klar, das kann dann schon eine Zahl mit beein­dru­ckend vie­len Nach­kom­ma­stel­len sein, aus der dann ent­spre­chend ein Bruch mit gigan­ti­schem Zäh­ler und nicht weni­ger spek­ta­ku­lä­rem Nen­ner wird. Aber es wäre den­noch ein Bruch aus zwei gan­zen Zah­len und damit wäre die Wur­zel aus 2 dann doch eine ratio­na­le Zahl, was wir im vor­an­ge­gan­ge­nen Bei­trag aber ein­deu­tig wider­legt hatten.

Daher: die Dezi­mal­dar­stel­lung irra­tio­na­ler Zah­len ist weder end­lich noch rein­pe­ri­odisch oder gemischt­pe­ri­odisch. Es kom­men ein­fach immer und ewig neue Nach­kom­ma­stel­len hin­zu, ohne dass je eine Peri­ode ent­ste­hen wür­de. Dabei nähert sich die so ent­ste­hen­de Fol­ge ratio­na­ler Zah­len immer mehr der gesuch­ten irra­tio­na­len Zahl an, bleibt aber den­noch immer auf Abstand zu ihr –wenn­gleich sich die­ser Abstand auf ein belie­big klei­nes Maß redu­zie­ren lässt, indem man ein­fach noch mehr Nach­kom­ma­stel­len aus­rech­net. Irgend­wie schwer vor­zu­stel­len, oder?

Tat­säch­lich sind die irra­tio­na­len Zah­len im Wesent­li­chen genau­so defi­niert, wie wir es oben illus­tra­tiv dar­ge­stellt haben. Sie sind die soge­nann­ten „Grenz­wer­te” der unend­li­chen Wei­ter­ent­wick­lung des oben gezeig­ten Vor­ge­hens, also gera­de jene Zahl, auf die bei­de Sei­ten der obi­gen Dar­stel­lung letzt­lich zustre­ben, wenn man immer so wei­ter­macht. Die Mathe­ma­ti­ker reden hier von soge­nann­ten „Cauchy-Fol­gen”, die nach ihrem geis­ti­gen Vater, dem 1789 gebo­re­nen fran­zö­si­schen Mathe­ma­ti­ker, Phy­si­ker und Inge­nieur Augus­tin-Lou­is Cauchy benannt wor­den sind.

Nun wird hof­fent­lich auch deut­lich, war­um man die­se Zah­len mit Fug und Recht als „irra­tio­nal” bezeich­net: ihr eigent­li­cher Zah­len­wert lässt sich nicht in für uns fass­ba­ren Kate­go­rien bestim­men. Er liegt gewis­ser­ma­ßen hin­ter dem uner­reich­ba­ren Hori­zont der Unend­lich­keit. Zwar kön­nen wir pro­blem­los belie­big genaue ratio­na­le Nähe­run­gen für jede irra­tio­na­le Zahl ange­ben, so dass wir uns ent­spre­chend nah an den eigent­li­chen Wert der Zahl her­an­tas­ten kön­nen. Den­noch exis­tie­ren die tat­säch­li­chen irra­tio­na­len Zah­len letzt­lich nur im Ver­bor­ge­nen des nicht enden wol­len­den Tun­nels ihrer Cauchy-Fol­ge – qua­si als abs­trak­te Gedankenkonstruktionen.

Wer kann damit rechnen?

Dass man die eigent­li­chen Wer­te der irra­tio­na­len Zah­len nicht wirk­lich ange­ben kann, wirft natür­lich die berech­tig­te Fra­ge auf, wie man denn über­haupt etwas mit ihnen berech­nen kann. Die trau­ri­ge Wahr­heit ist: im All­ge­mei­nen kann man tat­säch­lich nicht mit irra­tio­na­len Zah­len rech­nen. Man kann sich aber statt­des­sen recht gut behel­fen, indem man solan­ge es geht sym­bo­lisch rech­net, also zum Bei­spiel ein­fach den Aus­druck „\sqrt{2}” ste­hen lässt, bis drum­her­um alles soweit gerech­net ist, wie es irgend geht, und erst dann eine belie­big genaue Nähe­rung an sei­ne Stel­le setzt, wenn man anders nicht mehr weiterkommt:

Ihr müsst jetzt nicht wirk­lich ver­ste­hen, was da oben wie gerech­net wird. Schaut bit­te erst ein­mal nur auf den blau mar­kier­ten Teil, in wel­chem gera­de die Tat­sa­che aus­ge­nutzt wird, dass per defi­ni­tio­nem 2 her­aus­kommt, wenn man die Wur­zel aus 2 mit sich selbst mul­ti­pli­ziert. Daher wird aus \sqrt{2}\times\sqrt{2} in der zwei­ten Zei­le ein­fach nur noch eine 2 in der drit­ten Zei­le. Den eigent­li­chen Wert der Wur­zel aus 2 muss man dafür nicht ken­nen. Irgend­wann (näm­lich in der drit­ten Zei­le von unten) kom­men wir dann aber nicht mehr wei­ter, ohne die Wur­zel aus 2 durch eine end­li­che Dezi­mal­zahl zu erset­zen, die nur noch eine Nähe­rung für die eigent­li­che Wur­zel aus 2 ist. Daher schrei­ben wir dann kein Gleich­heits­zei­chen („=”), son­dern ein Unge­fähr­gleich­zei­chen („≈”) davor, denn wir haben das Sym­bol für die Wur­zel aus 2 durch etwas ersetzt, dass ihr eben nur unge­fähr gleicht.

Immer­hin kann man sich aber aus­su­chen, wie vie­le Nach­kom­ma­stel­len man für die ein­zu­set­zen­de Nähe­rung ver­wen­det, so dass man immer dafür sor­gen kann, dass das Ergeb­nis für den jeweils gewünsch­ten Zweck genau genug ausfällt.

Übri­gens: es gibt irra­tio­na­le Zah­len, mit denen man nicht ein­mal mehr Berech­nungs­schrit­te wie den blau mar­kier­ten in der obi­gen Berech­nung durch­füh­ren kann. Die hei­ßen dann „tran­szen­den­te Zah­len”, wäh­rend irra­tio­na­le Zah­len wie die Wur­zel aus 2 „alge­bra­ische Zah­len” genannt wer­den. Die tran­szen­den­ten Zah­len sind also gewis­ser­ma­ßen noch irra­tio­na­ler als die alge­bra­ischen Zah­len – was immer das jetzt schon wie­der hei­ßen soll. Bekann­te tran­szen­den­te Zah­len sind jeden­falls die legen­dä­re Kreis­zahl „π” oder die nicht weni­ger bedeut­sa­me Euler’sche Zahl „e”.

Unter sich bleiben

Unser Ziel bei der Ein­füh­rung der Reel­len Zah­len war es ja, dafür zu sor­gen, dass die Addi­ti­on, Mul­ti­pli­ka­ti­on und das Poten­zie­ren (mit ganz­zah­li­gen Expo­nen­ten) samt ihrer jewei­li­gen Umkehr­ope­ra­tio­nen, die Sub­trak­ti­on, das Divi­die­ren und das Wur­zel­zie­hen, alle­samt Ergeb­nis­se pro­du­zie­ren, die inner­halb unse­rer bekann­ten Zah­len­welt ver­blei­ben. Gilt das jetzt aber auch wirklich?

Dazu unter­schei­den wir drei mög­li­che Fälle:

  1. Die bei­den zu ver­knüp­fen­den reel­len Zah­len sind bei­de ratio­nal (bzw. die Basis beim Poten­zie­ren mit ganz­zah­li­gen Expo­nen­ten ist rational).
  2. Die bei­den zu ver­knüp­fen­den reel­len Zah­len sind bei­de irra­tio­nal (die­ser Fall kann beim Poten­zie­ren mit ganz­zah­li­gen Expo­nen­ten nicht vorkommen).
  3. Eine der bei­den zu ver­knüp­fen­den reel­len Zah­len ist ratio­nal, die ande­re irra­tio­nal (bzw. die Basis beim Poten­zie­ren mit ganz­zah­li­gen Expo­nen­ten ist irrational).

Fall 1 ist ein­fach: sind bei­de zu ver­knüp­fen­den Zah­len ratio­nal erhal­ten wir, wie im vor­an­ge­gan­ge­nen Bei­trag gezeigt, (außer beim Wur­zel­zie­hen) ja sowie­so immer eine ratio­na­le Zahl und damit ins­be­son­de­re eine reel­le Zahl (wir erin­nern uns, die Reel­len Zah­len ent­hal­ten die Ratio­na­len Zah­len). Aber auch das Zie­hen einer Wur­zel aus einer ratio­na­len Zahl ergibt, wie oben beschrie­ben, letzt­lich eine irra­tio­na­le Zahl – und zwar als Grenz­wert einer geeig­ne­ten Cauchy-Fol­ge von Dezi­mal­zah­len, die sich der gesuch­ten irra­tio­na­len Wur­zel auf belie­big klei­nem Abstand nähert. Am Ende (wenn wir es denn errei­chen könn­ten) stün­de dann eine irra­tio­na­le und damit ins­be­son­de­re eine reel­le Zahl.

Fall 2 (wir ver­knüp­fen zwei irra­tio­na­le Zah­len) ist schon deut­lich kom­pli­zier­ter. Um näm­lich beur­tei­len zu kön­nen, ob das Ergeb­nis unse­rer Ver­knüp­fung inner­halb der Reel­len Zah­len liegt, müs­sen wir über­haupt erst ein­mal ver­ste­hen, wie man etwa zwei irra­tio­na­le Zah­len addiert, obwohl man bei­de weder als Bruch noch als end­li­che, rein­pe­ri­odi­sche oder gemischt­pe­ri­odi­sche Dezi­mal­zahl dar­stel­len kann.

Die Lösung: man bil­det je eine end­li­che (und damit ratio­na­le) Nähe­rung für bei­de Zah­len und addiert die­se bei­den Nähe­run­gen dann wie ratio­na­le Zah­len. Anschlie­ßend bil­det man etwas genaue­re Nähe­run­gen und addiert sie wie­der. Das kann man dann immer wei­ter machen und erhält somit eine Fol­ge von immer genaue­ren Nähe­run­gen, die dem gesuch­ten Ergeb­nis dem­nach immer genau­er ent­spre­chen. Und gera­de das ist dann wie­der so eine die­ser Cauchy-Fol­gen, deren Grenz­wert das gesuch­te Ergeb­nis unse­rer Addi­ti­on zwei­er irra­tio­na­ler Zah­len ist, wie nach­ste­hend an der Sum­me \sqrt{3}+\sqrt{2} illustriert:

Auf genau die­sel­be Wei­se kann man die Sub­trak­ti­on, Mul­ti­pli­ka­ti­on und Divi­si­on aber auch das Poten­zie­ren mit ganz­zah­li­gen Expo­nen­ten und das Wur­zel­zie­hen zwei­er irra­tio­na­ler Zah­len beschrei­ben. Es ent­steht dann immer eine Cauchy-Fol­ge die gegen das gesuch­te Ergeb­nis der jewei­li­gen Ope­ra­ti­on strebt und deren Grenz­wert damit jener irra­tio­na­le Zahl ent­spricht, die als Ergeb­nis der aus­ge­führ­ten Ope­ra­ti­on her­aus­kommt. Da die Irra­tio­na­len Zah­len in den Reel­len Zah­len ent­hal­ten sind, liegt das eben beschrie­be­ne irra­tio­na­le Ergeb­nis damit immer auch in den Reel­len Zah­len. Die bis­her betrach­te­ten Rechen­ar­ten haben dem­nach alle­samt Ergeb­nis­se, die inner­halb der Reel­len Zah­len blei­ben, wenn sie auf zwei irra­tio­na­le Zah­len ange­wandt wer­den – und zwar natür­lich auch dann, wenn die Ver­knüp­fung zwei­er irra­tio­na­ler Zah­len uns zufäl­lig mal eine ratio­na­le Zahl lie­fert, wie etwa \sqrt{2}\times\sqrt{2}, was ja per defi­ni­tio­nem 2 ergibt.

Fall 3 (also die Ver­knüp­fung einer ratio­na­len mit einer irra­tio­na­len Zahl) ist dann fast genau­so wie Fall 2, mit dem ein­zi­gen Unter­schied, dass jetzt auf einer Sei­te immer schon die vol­le Dezi­mal­dar­stel­lung der ver­wen­de­ten ratio­na­len Zahl steht. Bei­spiel:Unterm Strich kön­nen wir also mit Fug und Recht behaup­ten, dass uns nun­mehr kei­ne der betrach­te­ten Rechen­ar­ten Ergeb­nis­se lie­fert, die außer­halb der Reel­len Zah­len lie­gen. Unser Wur­zel­pro­blem ist damit also nun auch geheilt.

Tat­säch­lich sind die Reel­len Zah­len gewis­ser­ma­ßen die Zah­len schlecht­hin, denn sie sind nichts Gerin­ge­res die zah­len­mä­ßi­ge Reprä­sen­ta­ti­on des Kon­ti­nu­ums, so dass sie ins­be­son­de­re für die ein­schlä­gi­gen mathe­ma­ti­schen Grund­la­gen der Phy­sik und Geo­me­trie unver­zicht­bar sind. So wäre etwa gesam­te Ana­ly­sis ohne die Reel­len Zah­len schlicht undenk­bar. Die Mathe­ma­ti­ka­ver­sen unter Euch mögen jetzt instink­tiv den­ken: „I don’t give a f…” – gäbe es doch bloß kei­ne reel­len Zah­len, dann wäre uns die unsäg­li­che Kur­ven­dis­kus­si­on erspart geblie­ben (obwohl ich sicher bin, dass auch Ihr ger­ne treff­lich über so man­che Kur­ven diskutiert).

Jeden­falls kann man sich die Reel­len Zah­len am bes­ten als Strahl vor­stel­len, der sich – aus­ge­hend von der Null – kon­ti­nu­ier­lich in die posi­ti­ve und nega­ti­ve Rich­tung fort­setzt, und zwar jeweils bis in alle Unendlichkeit:

Unend­lich kompliziert

Apro­pos Unend­lich­keit: auch wenn es natür­lich bereits unend­lich vie­le ratio­na­le Zah­len gibt, es gibt trotz­dem noch viel mehr reel­le Zahlen.

„Hä? Mehr als unend­lich? Hast Du ges­tern Abend was genommen?”

Doch. Ist wirk­lich so und es liegt in der Tat an den irra­tio­na­len Zah­len, die ihrer­seits – wie die Mathe­ma­ti­ker sagen – über­ab­zähl­bar sind. Das heißt, ver­ein­facht gesagt, dass man sie kate­go­risch nicht in eine geeig­ne­te Rei­hen­fol­ge brin­gen kann, die man dann mit „eins”, „zwei”, „drei”, „vier” usw. nach­ein­an­der abzäh­len kann. Dass das dem­ge­gen­über sehr wohl bei den Ratio­na­len Zah­len mach­bar ist, soll­te an fol­gen­der Illus­tra­ti­on erkenn­bar werden:

Unse­re Spal­ten sind fort­lau­fend mit allen mög­li­chen Zäh­lern 1, 2, 3, 4 usw. beschrif­tet, wäh­rend wir die Zei­len fort­lau­fend mit allen mög­li­chen Nen­nern 1, 2, 3, 4 usw. beschrif­tet haben. In jeder Zel­le steht dem­nach der Bruch, des­sen Zäh­ler im zuge­hö­ri­gen Spal­ten­kopf und des­sen Nen­ner im zuge­hö­ri­gen Zei­len­kopf steht. Es soll­te damit klar sein, dass die Tabel­le, sofern sie nach allen Sei­ten im gege­be­nen Sche­ma unend­lich fort­ge­setzt wird, alle mög­li­chen ratio­na­len Zah­len ent­hält (wir las­sen die Null und die nega­ti­ven Brü­che mal aus Grün­den der Über­sicht­lich­keit weg – das hier vor­ge­stell­te Prin­zip wür­de aber auch mit der Null und den nega­ti­ven Zah­len funktionieren).

Nun gehen wir gemäß den gold­brau­nen Pfei­len alle Zel­len nach­ein­an­der durch: wir fan­gen links oben an, gehen eins nach unten, dann dia­go­nal rechts hoch bis zur ers­ten Zei­le, dann eins nach rechts, dann dia­go­nal links run­ter bis  zur ers­ten Spal­te, dann wie­der eins nach unten usw. Jedes­mal, wenn wir auf die­se Wei­se an einer Zel­le vor­bei­kom­men, erhält die­se eine Num­mer, die jeweils um eins grö­ßer ist, als die­je­ni­ge der zuletzt besuch­ten Zel­le. Das Gan­ze beginnt links oben mit der 1. Auf die­se Wei­se erhält jeder mög­li­che Bruch eine ein­deu­ti­ge Num­mer. Wir kön­nen also alle mög­li­chen Brü­che – und damit alle ratio­na­len Zah­len – auf­zäh­len. Das hier gezeig­te Auf­zäh­lungs­prin­zip nennt sich nahe­lie­gen­der Wei­se „Dia­go­na­li­sie­rung” und geht auf den 1845 in Sankt Peters­burg gebo­re­nen deut­schen Mathe­ma­ti­ker Georg Can­tor zurück. Er hat auch zunächst im Jah­re 1874, dann aber noch­mals in wesent­lich ele­gan­te­rer Form im Jah­re 1891 bewie­sen, dass man die Reel­len Zah­len eben gera­de nicht auf­zäh­len kann, so dass es wirk­lich mehr reel­le als ratio­na­le Zah­len gibt, auch wenn bei­de Men­gen unend­lich groß sind. Bei­de sei­ner Bewei­se sind wirk­lich beein­dru­ckend, aber selbst­ver­ständ­lich wer­de ich Euch hier nicht mit sowas Abs­trak­tem behel­li­gen – es sei denn, einer schreibt mir hier einen ernst gemein­ten Kom­men­tar, der da lau­tet „ver­ste­hen will!”.

Nega­tiv denken

Fein, dann haben wir es also end­lich geschafft. Alle bis­he­ri­gen Rechen­ar­ten füh­ren nun end­lich nicht mehr aus unse­rer mitt­ler­wei­le ja auch schon oft genug erwei­ter­ten Zah­len­welt – also den Reel­len Zah­len – hin­aus und die Reel­len Zah­len sind echt was ganz beson­de­res. Kön­nen wir jetzt bit­te end­lich zur Man­del­brot­men­ge kommen?

Lei­der immer noch nicht. Denn es gibt schlech­te Nach­rich­ten, lie­be Leu­te. Wir haben näm­lich all die Zeit geflis­sent­lich unter­schla­gen, dass wir beim Wur­zel­zie­hen nur des­halb inner­halb der Reel­len Zah­len blei­ben, weil die Mathe­ma­ti­ker aus gutem Grun­de fest­ge­legt haben, dass das Wur­zel­zie­hen nur für nicht-nega­ti­ve Zah­len (also nur für posi­ti­ve Zah­len und die Null) erlaubt ist. Genau genom­men hat ja jede nicht-nega­ti­ve reel­le Zahl nicht nur eine son­dern gleich zwei Wurzeln.

Neh­men wir bei­spiels­wei­se die Zahl 4. Ihre Wur­zel ist bekannt­lich die 2, denn 22 (also 2×2) ist 4. Aber (-2)2 – also (-2)×(-2) – ist doch eigent­lich auch 4, denn, wie in mei­nem Bei­trag zu den Gan­zen Zah­len aus­führ­lich dar­ge­legt, es gilt ja „minus mal minus ist plus”. Dann ist aber auch ‑2 eine Wur­zel von 4.

Soweit, so gut. Was ist dann aber die Wur­zel aus ‑4? Weder die 2 noch die ‑2 kom­men dafür in Fra­ge, denn wie eben erwähnt, kommt bei bei­den 4 her­aus, wenn man sie mit sich selbst mul­ti­pli­ziert. Man müss­te also die 2 mit der ‑2 mul­ti­pli­zie­ren, aber die Wur­zel aus ‑4 ist nun ein­mal als die­je­ni­ge Zahl defi­niert, die man mit sich selbst mul­ti­pli­zie­ren muss, um ‑4 zu erhal­ten. Und 2 und ‑2 sind ein­deu­tig ver­schie­de­ne Zah­len. Gibt es dann viel­leicht irgend­et­was, was so halb minus und halb plus ist, so dass man „halb­mi­nus 2” mal „halb­mi­nus 2” rech­nen und dann irgend­wie ‑4 raus­be­kom­men könn­te? Mit ande­ren Wor­ten: gibt es viel­leicht so etwas wie „poga­ti­ve” oder „nesi­ti­ve” Zahlen?

Die Ant­wort dar­auf ist: Jein. So etwas gibt es nicht – und schon gar nicht in den Reel­len Zah­len. Aber wir haben ja jetzt im Rah­men die­ser Bei­trags­se­rie oft genug erlebt, was die Mathe­ma­ti­ker machen, wenn es etwas nicht gibt, das man aber ger­ne hät­te, um alle Rechen­ar­ten inner­halb der bekann­ten Zah­len­welt zu halten.

Den­ken wir etwa an die Nega­ti­ven Zah­len. Sie sind, wie in mei­nem Bei­trag zu den Gan­zen Zah­len aus­führ­lich erläu­tert, alles ande­re als intui­tiv und doch haben wir sie – Intui­ti­on hin oder her – ein­fach mit Hil­fe der Eigen­schaf­ten defi­niert, die sie haben müs­sen, um die Ergeb­nis­se der Sub­trak­ti­on inner­halb der Gan­zen Zah­len zu hal­ten. War­um also kön­nen wir nicht ein­fach nach dem­sel­ben Sche­ma wei­te­re Zah­len hin­zu­er­fin­den, die so defi­niert sind, dass auch nega­ti­ve Zah­len Wur­zeln haben?

Genau davon wird der nächs­te Teil die­ser Bei­trags­se­rie han­deln. Und ich ver­spre­che hoch und hei­lig: danach wer­den wir wirk­lich bei der Man­del­brot-Men­ge ange­kom­men sein.

Alles Lie­be

Dani­el

 

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  • Sehr anschau­lich dar­ge­stellt. Shkoiech! Klei­ner Hin­weis: streng genom­men ist die Dezi­mal­dar­stel­lung (und das gan­ze Dezi­mal­sys­tem) ja nur eine (recht belie­bi­ge) Dar­stel­lung, die uns nur des­halb so intui­tiv erscheint, weil Men­schen seit jeher mit zehn Fin­gern rech­nen. Eigent­lich ist das Binär­sys­tem die fun­da­men­tals­te Zah­len­dar­stel­lung. Das ist in die­sem Fall nicht völ­lig irrele­vant, da Dei­ne Arti­kel­se­rie ja auf ein com­pu­ter-gene­rier­tes Phä­no­men hin­zielt, wel­ches Zah­len nun mal im Binär­sys­tem darstellt.

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