Hallo Ihr Lieben,
nachdem uns unser Erkundungspfad zur Mandelbrotmenge im vorangegangenen Teil dieser Beitragsserie vom Grundkonzept des uns allen bekannten Zählens zum Begriff der Natürlichen Zahlen geführt hat, wollten wir uns ja in diesem Teil mit der Frage beschäftigen, wohin wir gelangen, wenn wir wollen, dass eine einfache Subtraktion der Form „2−3” ein Ergebnis hat, das nicht außerhalb der uns bekannten Zahlen liegt. Dummerweise tut es das aber, wenn wir uns auf die Natürlichen Zahlen beschränken, denn wie gesagt: schon „nichts” gehört eigentlich nicht mehr zu „eins, zwei, drei” usw. Aber wenn wir von „nichts” noch etwas wegnehmen wollen, würden wir ja noch „weniger als nichts” erhalten. Das ist nicht nur definitiv kein Zustand, für den es eine Natürliche Zahl geben könnte. Es beschreibt eigentlich auch ein grundlegend unintuitives Konzept. Wenn nichts mehr da ist, kann man auch nichts mehr wegnehmen.
„Aldä, hassu Probläm oder was? Ssuai minus drrei is konkrrete minus eins. Was labersssu so krrass rum?” (hier die Untertitel: „Wo ist das Problem? Zwei minus drei ergibt minus eins. Was gibt es da so langatmig herumzulavieren?”)
Jaja, schon gut. Machen wir jetzt wirklich kein allzu großes Mysterium daraus. Tatsächlich lernen wir ja schon in den ersten Gymnasialjahren, mit negativen Zahlen umzugehen und auch die Mathematikaversesten unter Euch dürften den Umgang mit ihnen ohne großes Nachdenken beherrschen. Jeder von uns weiß also, dass 2−3=−1 ist. Aber wissen wir eigentlich wirklich so genau, was „−1” ist? Technisch gesprochen steht es für „0−1” also für „eins weniger als nichts”. Die „0” lassen wir dabei der Bequemlichkeit halber im Alltag einfach weg. Das heißt aber, dass wir das Ergebnis der Subtraktion „2−3” schlicht als „0−1” definieren – also durch etwas, das selbst wieder eine Subtraktion ist. Wir haben damit das schwer zu verstehende Ergebnis der einen Subtraktion letztlich nur durch das nicht leichter zu verstehende Ergebnis einer weiteren Subtraktion definiert. Mit diesem Vorgehen haben wir demnach bloß eine vereinfachte Schreibweise für ein Konzept eingeführt, das dennoch grundsätzlich unintuitiv bleibt.
Fehlen und Nichts
Obwohl die negativen Zahlen schon vor der Zeitwende in China eingeführt wurden, haben selbst die alten Griechen eine tiefliegende Aversion gegen dieses Konzept bekundet und es als „Absurdität” bezeichnet. Wie absurd negative Zahlen wirklich sind, sei an dem Euch sicher bekannten Spruch demonstriert, der da lautet:
„Wenn Zwei in einem Raum sind und Fünf herauskommen, dann müssen Drei wieder reingehen, damit keiner drin ist.”
Negative Zahlen sollen also irgendwie das Fehlen einer bestimmten Anzahl von Einheiten beschreiben – und zwar das Fehlen in Bezug auf das Nichts. „Minus zwei” bedeutet demnach, dass nichts da ist und darüber hinaus noch zwei Einheiten fehlen – wie immer man sich das vorzustellen hat.
Um diesen philosophisch grenzwertigen Begriffen eine einigermaßen praktikable Handhabung im mathematischen Alltag zu verleihen, hat man daher eine weitere Menge an Zahlen eingeführt, die derjenigen der Natürlichen Zahlen bis auf den Umstand entspricht, dass sie für fehlende anstatt für vorhandene Einheiten stehen sollen.
Den Zusammenhang zwischen negativen und Natürlichen Zahlen kann man sich dann aufgrund ihrer Bedeutung (fehlende Einheiten bzw. vorhandene Einheiten) zusammenreimen:
Hinzufügen, abziehen, fehlen und vorhanden sein
- Fügt man vorhandenen Einheiten fehlende Einheiten hinzu erhält, man weniger vorhandene Einheiten, denn fehlende Einheiten hinzufügen ist dasselbe wie vorhandene Einheiten entfernen. Beispiel:
- Zieht man fehlende Einheiten von vorhandenen Einheiten ab, erhält man mehr vorhandene Einheiten, denn der Wegfall fehlender Einheiten ist dasselbe wie der Zugewinn vorhandener Einheiten. Beispiel:
- Fügt man fehlenden Einheiten vorhandene Einheiten hinzu, erhält man weniger fehlende Einheiten, was selbsterklärend sein sollte. Beispiel:
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- Zieht man vorhandene Einheiten von fehlenden Einheiten ab, erhält man mehr fehlende Einheiten, denn vorhandene Einheiten zu entfernen, erhöht die Anzahl an fehlenden Einheiten. Beispiel:
Anschaulich kann man sich die negativen Zahlen als Zahlenstrahl vorstellen (hier in Rot dargestellt), der den natürlichen Zahlen genau entgegengesetzt ausgerichtet ist (hier in Grün dargestellt):
Das Hinzufügen vorhandener Einheiten entspricht ebenso wie das Entfernen fehlender Einheiten einer Bewegung nach rechts (also in Richtung der positiven Zahlen), während das Entfernen vorhandener Einheiten ebenso wie das Hinzufügen fehlender Einheiten einer Bewegung nach links (also in Richtung der negativen Zahlen) entspricht. In der Mitte ist die Null in Blau zu sehen.
Die Natürlichen Zahlen gemeinsam mit der Null und den negativen Zahlen nennt man übrigens die Menge der „Ganzen Zahlen” und kürzt sie mit ab. Es dürfte zudem anhand der Veranschaulichung mit dem doppelten Zahlenstrahl intuitiv einleuchten, dass jede Addition und jede Subtraktion zwischen zwei Ganzen Zahlen wieder eine ganze Zahl hervorbringt, denn sie führt immer zu einer Bewegung um eine gewisse Anzahl an Einheiten entlang des Zahlenstrahls in die eine oder andere Richtung, so dass man am Ende in jedem Fall auf einer natürlichen Zahl, der Null oder einer negativen Zahl landet, die allesamt – wie eben definiert – zu den Ganzen Zahlen gehören.
Lektionen
Warum ich hier über solche scheinbaren Banalitäten so ausführlich sinniere? Weil wir hier am ziemlich einfachen Fall der negativen bzw. Ganzen Zahlen einige wichtige Prinzipien kennengelernt haben, die uns bei den weiteren Betrachtungen in durchaus weniger banalen Zusammenhängen wiederbegegnen werden, so dass es durchaus sinnvoll erscheint, sich diese Prinzipien nochmals wie folgt zu vergegenwärtigen:
- Wir sind von dem Problem ausgegangen, dass uns bestimmte Rechenoperationen (hier die Subtraktion) in manchen Fällen Ergebnisse liefern, die nicht mehr in unserer bisherigen Zahlenwelt (hier die Natürlichen Zahlen) enthalten sind – und zwar insbesondere, weil sie unintuitiv sind und es eigentlich keine Entsprechung dafür in unserer alltäglichen Erfahrungswelt gibt.
- Wir haben das Problem gelöst, indem wir einen neuen Typ von Zahlen eingeführt haben (hier die negativen Zahlen), von denen wir einfach festgelegt haben, dass sie für diejenigen Zahlen stehen sollen, die wir uns zwar nicht so recht vorstellen können, von denen wir aber sehr wohl sagen können, wie sie sich hinsichtlich unserer Rechenoperationen (hier Addition und Subtraktion) in Zusammenhang mit unseren bereits bekannten Zahlen (hier die Natürlichen Zahlen) verhalten sollen.
- Wir haben dann unsere neu eingeführten Zahlen in geeigneter Weise mit den bisherigen Zahlen verknüpft (hier als entgegengesetzten Zahlenstrahl) und damit eine Erweiterung unserer bisherigen Zahlenwelt erhalten.
Sofern wir in den weiteren Folgen dieser Beitragsserie auf Fälle stoßen werden, in denen wir diese Prinzipien wieder anzuwenden haben, werden wir selbstverständlich explizit darauf hinweisen und uns erinnern, wie einfach das hier vorgeführte Beispiel demgegenüber noch war… Ich meine – mal ehrlich: negative Zahlen kennt ja nun wahrlich jeder, der schon mal seinen Kontoauszug studiert hat, denn dort stehen sie für das meist ungeliebte Soll, wogegen die natürlichen Zahlen für Haben stehen.
Heißt das jetzt, dass Haben natürlich und Soll negativ ist? Darüber zu philosophieren, überlasse ich gerne Euch.
Vermehrung
Kehren wir aber noch einen Moment zu der Zahlenwelt zurück, die wir alle aus der Grundschule kennen. Dort haben wir nämlich auch die Multiplikation beigebracht bekommen. Sie dürfte wohl dereinst als Antwort auf alltägliche Probleme erfunden worden sein, die da beispielsweise lauten:
„Wenn wir fünf Jäger sind, die drei Tage unterwegs sind und jeder pro Tag den Inhalt zweier Obstkörbe verzehrt – wieviele Obstkörbe müssen wir dann mitnehmen?”
Die Multiplikation kann man somit als mehrfach hintereinander ausgeführte Addition ein und derselben Zahl verstehen. „Drei mal Fünf” bedeutet in diesem Sinne, dass man dreimal fünf Einheiten nebeneinander hinschreibt und links neben jeden dieser Fünferblöcke ein „+” voranstellt:
Dabei stellt man sich ganz links gedanklich eine Null vor, so dass man eigentlich „Null plus Fünf plus Fünf plus Fünf” rechnet. Entsprechend kann man „minus Drei mal Fünf” als dreifaches Entfernen solcher Fünferblöcke (wieder mit einer gedanklichen Null ganz links) auffassen:
Der Ausdruck „Drei mal minus Fünf” entspricht wiederum dem Dreifachen einer fehlenden Fünf (also einer fehlenden Fünfzehn), während der Ausdruck „minus Drei mal minus Fünf” dem dreifachen Entfernen einer fehlenden Fünf entspricht, also – gemäß unseren Überlegungen zum Zahlenstrahl – einer Bewegung um fünfzehn Einheiten nach rechts auf dem Zahlenstrahl und damit dem Hinzufügen von fünfzehn Einheiten.
Jeder dieser Fälle lässt sich demzufolge immer als mehrfach hintereinander ausgeführtes Addieren oder Subtrahieren auffassen – beides Rechenvorschriften, von denen wir bereits wissen, dass sie uns stets wieder Ganze Zahlen liefern, so dass wir auch mit der Multiplikation die Ganzen Zahlen nicht verlassen.
Spaltung
So wie die Addition in der Subtraktion ihren Antagonisten findet, kennt auch die Multiplikation eine Umkehroperation (die Mathematiker nennen es „inverse Operation”): die uns ebenfalls gut bekannte Division. Sie soll die Frage beantworten, wie oft eine Zahl in eine andere Zahl hineinpasst. Anders gesagt: mit welcher Zahl muss ich eine gegebene Zahl multiplizieren, um eine andere gegebene Zahl zu erhalten?
Aber ist das Ergebnis einer Division zweier Ganzer Zahlen immer auch selbst wieder eine Ganze Zahl? Dummerweise nicht. Einfaches Beispiel: 5÷2 – also: „wie oft geht die Zwei in die Fünf?” bzw. „mit was muss ich die Zwei multiplizieren, um Fünf zu erhalten?” Wir alle wissen, dass zweimal Zwei zu wenig ist – nämlich Vier – und dreimal Zwei zuviel ist – nämlich Sechs. Also liegt das Ergebnis dieser simplen Division zwischen Zwei und Drei.
Bedauerlicher Weise gibt es dazwischen aber keine Ganze Zahl.
Jaja, alles Banalitäten aus der Grundschulzeit. Schon klar. Aber auch hier will ich eigentlich nur anhand einfacher Beispiele ein paar Dinge veranschaulichen:
- So wie Subtraktion und Addition bei den Natürlichen Zahlen, ist es hier bei den Ganzen Zahlen die Division als Umkehrperation zur Multiplikation, die uns schon wieder zwingt, unsere bestehende Zahlenwelt anzupassen, um sicherzustellen, dass unsere Operationen allesamt Ergebnisse liefern, die unsere Zahlenwelt nicht verlassen.
- Das neue Problem entsteht bei einer Rechenoperation (bzw. ihrer Umkehroperation), die wir eingeführt haben, um mehrfache Hintereinanderausführungen der bisher bekannten Rechenoperation zu beschreiben – hier also die Multiplikation als mehrfache Hintereinanderausführung von Additionen.
In der nächsten Folge dieser Beitragsserie werden wir uns demnach zum Einen mit einer erneuten Erweiterung unserer Zahlenwelt befassen, die uns zusichern soll, dass auch die Ergebnisse der Division stets in unserer Zahlenwelt verbleiben. Zum anderen werden wir aber auch sehen, was passiert, wenn wir uns die Multiplikation auf dieselbe Weise vorknöpfen, in der wir uns eben die Addition vorgeknöpft haben: indem wir nämlich eine Rechenoperation hinzufügen, die mehrfaches Hintereinanderausführen von Multiplikationen beschreibt. Stay tuned…
Alles Liebe
Daniel
Beeindruckend, wie Du dieses Thema natürlich ganz rational und dabei nur imaginär komplex darlegst.
Hey – nimm den unbedarften Lesern nicht die Spannung bezüglich dessen, was da noch kommen wird. Das klingt ja doch schon ziemlich „reell”…