Es wer­de Klang I: mei­ne ers­ten kom­po­si­to­ri­schen Gehversuche

Hal­lo Ihr Lieben,

es sieht so aus, als hät­te ich im zwei­ten Pan­de­mie­jahr gera­de mal einen ein­zi­gen Blog­bei­trag her­vor­ge­bracht — und den auch noch aus­ge­rech­net zur Pan­de­mie selbst. Eigent­lich scha­de, denn das Schrei­ben von Blog­bei­trä­gen berei­tet mir auch wei­ter­hin größ­tes Ver­gnü­gen. Umso mehr freue ich mich, Euch im drit­ten (und hof­fent­lich bis auf Wei­te­res letz­ten) Pan­de­mie­jahr eine klei­ne Serie von Bei­trä­gen prä­sen­tie­ren zu kön­nen, in denen es um ein The­ma geht, das mir ganz beson­ders am Her­zen liegt und das gera­de ange­sichts die­ses Umstands bis­her ein­deu­tig zu kurz gekom­men ist: Musik.

Über Musik kann man natür­lich unend­lich viel schrei­ben. Ich wür­de außer­dem anneh­men, dass fast alles von dem, was ich selbst dazu zu sagen hät­te, schon längst von viel kom­pe­ten­te­ren Leu­ten als mir geschrie­ben und ver­öf­fent­licht wor­den sein dürfte. 

Aller­dings gibt es da etwas, über das selbst die kom­pe­ten­tes­ten Leu­te im Zusam­men­hang mit Musik nicht schrei­ben kön­nen, näm­lich über mei­ne ganz per­sön­li­che Selbst­er­fah­rung mit Musik — genau­er gesagt: mit deren Schöp­fung. Denn mit Musik ver­hält es sich mei­nes Erach­tens so, wie mit jeder ande­ren Mate­rie: man begreift sie erst dann wirk­lich, wenn man sich krea­tiv dar­in betätigt. 

Wir alle ken­nen das: man kann ja durch­aus viel über ein bestimm­tes The­ma gele­sen, gehört oder gese­hen haben und dabei sogar zu der auf­rich­ti­gen Über­zeu­gung gelangt sein, alles ver­stan­den zu haben. Spä­tes­tens aber, wenn man dann anschlie­ßend gefor­dert ist, das ver­meint­lich Ver­stan­de­ne in eige­ne Wor­te zu fas­sen bzw. zur prak­ti­schen Anwen­dung zu brin­gen, merkt man schnell, wie grau doch alle Theo­rie ist. Die Far­be der Pra­xis kommt dem­ge­gen­über erst dann wirk­lich ins Spiel, wenn man beginnt, sei­ne krea­ti­ven Fähig­kei­ten in den bis­her nur theo­re­tisch erfass­ten Gegen­stand einzubringen. 

Das ist exakt die Erfah­rung, die ich gemacht habe, als ich mich der­einst auf den lan­gen Weg zur Schaf­fung eige­ner Musik bege­ben hat­te. Ein Weg, der in Jugend­jah­ren mit einem Kla­vier­stück als musi­ka­li­sche Lie­bes­er­klä­rung begann und eini­ge Jahr­zehn­te spä­ter in ein voll­wer­ti­ges Streich­quar­tett — dabei immer noch als musi­ka­li­sche Lie­bes­er­klä­rung — mün­de­te. Was ich dabei erlebt habe — auch und gera­de in emo­tio­na­ler Hin­sicht — und was dabei her­aus­ge­kom­men ist, hat mir der­ma­ßen viel Inspi­ra­ti­on ver­lie­hen, dass ich das aus­ge­präg­te Bedürf­nis ver­spü­re, die­se oft sehr bewe­gen­den Erfah­run­gen mit Euch zu tei­len. Genau dies soll in vor­lie­gen­dem Bei­trag (und drei wei­te­ren Fol­ge­bei­trä­gen) denn nun auch geschehen.

Jugend­li­cher Leichtsinn

Mei­ne Geschich­te beginnt im Jah­re 1989. Noch stand die Ber­li­ner Mau­er schein­bar für die Ewig­keit und kaum einer ahn­te, dass der Nie­der­gang des War­schau­er Pakts und mit ihm das Ende des Ost-/West­kon­flikts, der Deut­schen Tei­lung und der gesam­ten Sowjet­uni­on in den dar­auf­fol­gen­den Mona­ten Schlag auf Schlag voll­zo­gen wer­den wür­de. Chem­nitz hieß noch „Karl-Marx-Stadt”, St. Peters­burg hieß „Lenin­grad”. Nie­mand besaß ein Mobil­te­le­fon, das Fest­netz war in der mono­po­lis­ti­schen Hand der „Deut­schen Bun­des­post Tele­kom”, Orts­ge­sprä­che kos­te­ten zu Spit­zen­zei­ten unfass­ba­re 2,9Pf/Min (=1,48Ct/Min), Fern­ge­sprä­che (inner­halb Deutsch­lands!) waren mit min­des­tens 35,8Pf/Min (=18,3Ct/Min) der reins­te Luxus und für Aus­lands­ge­sprä­che muss­te man in meh­re­ren DM/Min rech­nen. Die ers­ten pri­va­ten Fern­seh­sen­der erblick­ten in Deutsch­land nach jahr­zehn­te­lan­gem Mono­pol der öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­an­stal­ten gera­de das Licht der Welt. Das Inter­net exis­tier­te nur als exklu­si­ve Ver­net­zung aus­ge­wähl­ter aka­de­mi­scher und mili­tä­ri­scher Ein­rich­tun­gen, Hel­mut Kohl stand die Blü­te­zeit sei­ner Kanz­ler­schaft kurz bevor, Geor­ge Bush Seni­or hat­te gera­de sein Amt als frisch gewähl­ter 41. Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten ange­tre­ten und in Mos­kau war Michail Gor­bat­schow seit vier Jah­ren dabei, den legen­dä­ren Umbau der Sowjet­uni­on vor­an­zu­trei­ben, der unter dem Schlag­wort „Pere­stro­j­ka” berühmt wer­den sollte. 

In mein Leben war mit dem Aus­klang des Jah­res 1988 die zau­ber­haf­tes­te jun­ge Dame getre­ten, die es auf der gan­zen Welt gibt (und mit der ver­hei­ra­tet zu sein ich bis heu­te das gro­ße Pri­vi­leg habe). Ent­spre­chend frisch bis über bei­de Ohren in sie ver­liebt, fühl­te ich mich unbän­dig gedrängt, ihr mit allen mir zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­teln zum Aus­druck zu brin­gen, wel­che Eupho­rie es in mir her­vor­rief, ihr Herz für mich erobert zu haben. Dazu gehör­ten kur­ze Gedich­te, die ich ihr immer mal wie­der per Brief zusand­te (ja, damals gab es noch sowas wie Mail ohne „E-”) eben­so wie selbst gezeich­ne­te Comic-Strips im avant­gar­dis­ti­schen Stil. Lyrik und bil­den­de Kunst waren damit also abge­deckt. Was aber fehl­te noch? Rich­tig: Ton­kunst. Es muss­te ein Musik­stück her, das mei­ne rausch­ar­ti­ge Gefühls­la­ge in Klang aus­drückt. Erst dann wür­de ich ihr in Wort, Bild und Ton ver­mit­telt haben, in welch einen Lie­bes­rausch sie mich ver­setzt hatte.

Her­vor­ra­gen­de Idee — allein: wie macht man das? Wie schreibt man ein roman­ti­sches, lei­den­schaft­li­ches Musik­stück? Mei­ne Eig­nung für so ein Unter­fan­gen stütz­te sich auf Kla­vier­un­ter­richt, den ich damals seit vier Jah­ren absol­vier­te, Gitar­ren­spiel, das ich elf Jah­re zuvor zu ler­nen begon­nen, weni­ge Jah­re danach aber schon wie­der auf­ge­ge­ben hat­te und mei­ne münd­li­che Abitur­prü­fung in Musik, die ich zwei Jah­re zuvor mit vor­zeig­ba­rem Erfolg abge­legt hat­te. Außer­dem hat­te ich zu die­sem Zeit­punkt seit meh­re­ren Jah­ren aus­neh­men­des Inter­es­se für klas­si­sche Musik ent­wi­ckelt und mich inso­weit wenigs­tens schon mal hob­by­mä­ßig mit solch abs­trak­ten The­men wie For­men- und Har­mo­nie­leh­re beschäf­tigt. Gänz­lich unvor­be­rei­tet war ich also nicht. 

Aber ist das wirk­lich schon alles, was man braucht, um ein eige­nes Stück kom­po­nie­ren zu kön­nen? Aus heu­ti­ger Sicht ganz schön ver­mes­sen. Wie gut, dass ich mit zar­ten 21 Jah­ren also noch von einem gewis­sen jugend­li­chen Leicht­sinn (gepaart mit dem Gefühl, aus mei­ner Ver­liebt­heit her­aus die gan­ze Welt umar­men zu kön­nen) beseelt gewe­sen bin, der sol­cher­lei Beden­ken geflis­sent­lich zu über­ge­hen ermöglichte.

Nicht ganz unbe­ein­flusst von mei­nem damals rela­tiv frisch begon­ne­nen Infor­ma­tik­stu­di­um bemüh­te ich mich also zunächst ein­mal um einen halb­wegs sys­te­ma­ti­schen Design­an­satz für mein Musik­pro­jekt und trug als ers­ten Schritt die wesent­li­chen Design­vor­ga­ben für mein zu schaf­fen­des Opus zusam­men. Hier­für iden­ti­fi­zier­te ich fünf wesent­li­che Punkte:

  1. Das Stück soll­te roman­tisch und lei­den­schaft­lich klin­gen (was ja die eigent­li­che Moti­va­ti­on des gan­zen Vor­ha­bens war).
  2. In dem Stück soll­te das ster­nen­ar­ti­ge Fun­keln zum Aus­druck gelan­gen, das von der exo­ti­schen Schön­heit der jun­gen Dame (alle­mal in mei­ner Wahr­neh­mung) aus­ging (und natür­lich auch heu­te noch ausgeht).
  3. Das Stück soll­te tän­ze­risch klin­gen (in Anspie­lung auf die Tanz­be­geis­te­rung der jun­gen Dame).
  4. Das Stück soll­te „rus­sisch” oder zumin­dest „ost­eu­ro­pä­isch” klin­gen (in Anspie­lung auf die Abstam­mung der jun­gen Dame aus der ehe­ma­li­gen Sowjetunion).
  5. Das Stück muss­te in spiel­tech­ni­scher Hin­sicht ein­fach genug sein, damit ich es mit mei­nen beschei­de­nen Instru­men­tal­fer­tig­kei­ten selbst auf dem Kla­vier spie­len kann.

Der geschul­te Blick auf die­se Lis­te offen­bart dabei schnell einen gewis­sen Ziel­kon­flikt: wäh­rend die Punk­te 1 bis 4 lau­ter durch­aus anspruchs­vol­le Vor­ga­ben an den Inhalt des zu schaf­fen­den Musik­stücks ent­hiel­ten, for­der­te Punkt 5 aus­ge­rech­net die spiel­tech­ni­sche Ein­fach­heit des­sel­ben Werks und schränk­te die Gestal­tungs­mög­lich­kei­ten für die Umset­zung der ers­ten vier Punk­te ent­spre­chend ein. Besag­ter jugend­li­cher Leicht­sinn der frü­hen zwan­zi­ger Lebens­jah­re scheint sich aber auch von sol­chen Wider­sprü­chen nicht ver­prel­len zu las­sen, so dass ich mich vol­ler trot­zi­gem Taten­drang und wohl auch mit einer ordent­li­chen Pri­se Nai­vi­tät an die Arbeit machte. 

Form­ge­bung

Als ein­ge­fleisch­ter Mozart-Fan war mir auch klar: das Gan­ze soll­te mehr oder weni­ger in Sona­ten­satz­form gegos­sen wer­den. Jene Struk­tur also, in der die ers­ten Sät­ze so ziem­lich sämt­li­cher Sona­ten, Sin­fo­nien und letzt­lich auch Solo­kon­zer­te der Wie­ner Klas­sik (und teils weit dar­über hin­aus) ange­legt sind. Die Sona­ten­satz­form unter­teilt das Musik­stück grob gesagt in drei Tei­le: die „Expo­si­ti­on”, die „Durch­füh­rung” und die „Repri­se”:

In der Expo­si­ti­on wer­den dabei — wie der Name schon sagt — die bestim­men­den The­men des Stücks vor­ge­stellt. Genau­er gesagt sind es derer zwei, die mehr oder min­der stark zuein­an­der in Kon­trast ste­hen (also ins­be­son­de­re in ver­schie­de­nen Ton­ar­ten gesetzt sind). Sie wer­den als „Haupt­satz” und „Sei­ten­satz” bezeich­net. Die Expo­si­ti­on sieht damit also —grob gesagt — etwa so aus:

Zwi­schen Haupt- und Sei­ten­satz wird in der Regel noch eine Über­lei­tung ein­ge­fügt und an das Ende des Sei­ten­sat­zes schließt sich nor­ma­ler­wei­se die soge­nann­te „Schluss­grup­pe” an, wel­che die Expo­si­ti­on ihrem Ende zuführt. 

In der anschlie­ßen­den Durch­füh­rung wer­den Haupt­satz und Sei­ten­satz (also die bei­den kon­tras­tie­ren­den The­men aus der Expo­si­ti­on) in der Regel the­ma­tisch ver­ar­bei­tet und zuein­an­der in Bezie­hung bzw. Kon­trast gesetzt. Die Durch­füh­rung sieht damit also gewis­ser­ma­ßen so aus:

Schließ­lich wird in der Repri­se — wie auch hier der Name schon sagt — die Expo­si­ti­on im Wesent­li­chen wie­der­holt. „Im Wesent­li­chen” des­halb, weil Haupt- und Sei­ten­satz jetzt nicht mehr so kon­tras­tie­ren, wie sie es noch in der Expo­si­ti­on getan haben. Statt­des­sen wur­den Sie gewis­ser­ma­ßen wäh­rend der Durch­füh­rung mit­ein­an­der „ver­söhnt”, so dass sie jetzt ins­be­son­de­re in der­sel­ben Ton­art und in the­ma­tisch stär­ker ein­an­der ange­gli­che­ner Form erklin­gen. Die Repri­se kann man sich dem­nach bild­lich in etwa so vorstellen:

Auch in der Repri­se tau­chen Über­lei­tung und Schluss­grup­pe in meist abge­wan­del­ter Form wie­der auf, und der Sona­ten­satz wird dann am Ende der Repri­se noch mit einer Coda sei­nem musi­ka­li­schen Abschluss zugeführt.

Unterm Strich ist das Gan­ze letzt­lich nichts ande­res als das musi­ka­li­sche Pen­dant zum Grund­prin­zip der Dia­lek­tik, das der­einst im anti­ken Grie­chen­land erson­nen und etwa zur Ent­ste­hungs­zeit der Sona­ten­satz­form von Hegel zum phi­lo­so­phi­schen Leit­satz aus­ge­ar­bei­tet wur­de: „The­se, Anti­the­se, Synthese”. 

Ers­te Gehversuche

Na schön, die Design­vor­ga­ben stan­den eben­so wie die Form fest. Jetzt galt es also, geeig­ne­te The­men für Haupt- und Sei­ten­satz zu fin­den (oder viel­mehr: zu erfin­den).

Die ers­te Ent­schei­dung war ziem­lich ein­fach: zur Umset­zung der Design­vor­ga­be Nr. 3 („tän­ze­ri­scher Klang”) soll­te das Stück im Drei­vier­tel­takt erklin­gen. Jener Takt also, der uni­ver­sell mit dem Wal­zer asso­zi­iert wird, so dass auto­ma­tisch eine tän­ze­ri­sche Atmo­sphä­re ent­steht. Soweit, so gut. 

Als nächs­tes muss­te aber ein The­ma für den Haupt­satz ge- bzw. erfun­den wer­den. Die­ses hat­te ich — einem gewis­sen Bauch­ge­fühl fol­gend — für die Umset­zung von Vor­ga­be Nr. 2 vor­ge­se­hen, also der klang­li­chen Dar­stel­lung jener ster­nen­ar­tig fun­keln­den Schön­heit mei­ner Herz­al­ler­liebs­ten. Beim Gedan­ken an ster­nen­ar­ti­ges Fun­keln kam mir in direk­ter Asso­zia­ti­on die Ver­to­nung des jid­di­schen Gedichts „Unter day­ne vay­se shtern” („Unter dei­nen wei­ßen Ster­nen”) von Avra­ham Suts­ke­ver in den Sinn, die Lazar Wei­ner im Jah­re 1950 kom­po­niert hat­te. Genau­er gesagt hat­te ich dabei die wun­der­voll arran­gier­te Ver­si­on von Cha­va Alber­stein im Ohr. Zwar ist das Gedicht alles ande­re als eine roman­ti­sche Lie­bes­er­klä­rung. Im Gegen­teil: es ist ver­mut­lich 1943 im Ghet­to von Wil­na ver­fasst wor­den und han­delt von der ver­zwei­fel­ten Suche nach der trös­ten­den Zuwen­dung G*ttes inmit­ten des Grau­ens der Sho­ah. Aber: musi­ka­li­sche Stil­mit­tel ste­hen für sich selbst — ziem­lich unab­hän­gig vom Kon­text, für den sie ein­ge­setzt wer­den. Inso­fern schien mir das ver­wen­de­te Haupt­mo­tiv des besag­ten Lie­des genau das Klang­bild zu erzeu­gen, das ich mit einem von fun­keln­den Ster­nen über­sä­ten kla­ren Nacht­him­mel asso­zi­ie­ren würde:

Gera­de die pul­sie­ren­den Ach­tel­fol­gen, die im ers­ten Takt ent­lang des Grund­ton-Akkords empor­stei­gen aber auch der impul­si­ve Wech­sel zischen Terz- und Sekund­in­ter­val­len (also Drei­ton- und Zwei­ton­sprün­gen) kre­ierten nach mei­nem Emp­fin­den genau jene Stim­mung des roman­ti­schen Fun­kelns, die ich in Musik fas­sen woll­te. Ich ließ mich also von die­sem The­ma inspi­rie­ren und kam dabei zu fol­gen­dem Haupt­mo­tiv mei­nes ers­ten Themas:

Sowohl die Ach­tel­fol­gen als auch die abwech­seln­den Sekund- und Terz­in­ter­val­le mach­te ich mir dar­in also weit­ge­hend zu eigen, gleich­wohl ich einen grö­ße­ren Ton­um­fang und damit ein paar grö­ße­re Inter­val­le ein­ge­baut hat­te, um noch mehr Über­schwäng­lich­keit in das The­ma zu packen. Dass ich mich dabei in Sachen Ton­art anstel­le von h‑Moll (wie in Cha­va Alber­steins Vor­la­ge) für a‑Moll ent­schied, hat­te einen ein­fa­chen Grund: a‑Moll hat als Par­al­lel­ton­art von C‑Dur kei­ne Vor­zei­chen und wird daher über­wie­gend auf den wei­ßen Tas­ten des Kla­viers gespielt, womit ins­be­son­de­re der Design­vor­ga­be Nr. 5 (ein­fa­che Spiel­bar­keit auf dem Kla­vier) Rech­nung getra­gen wer­den soll­te. Eigent­lich ist a‑Moll ja aus­ge­rech­net in der von mir so geschätz­ten Wie­ner Klas­sik gera­de kei­ne son­der­lich belieb­te Ton­art gewe­sen. Ihm wird aber immer­hin attes­tiert, dass es zärt­li­che — ja gera­de­zu weib­li­che — Cha­rak­ter­zü­ge habe und sich durch­aus dazu eige­ne, ori­en­ta­li­sche Stim­mung wie­der­zu­ge­ben. Pass­te also inso­fern doch wie­der ganz gut zu mei­nen sons­ti­gen Designvorgaben. 

Mit dem The­ma war es mir nach mei­ner fes­ten Über­zeu­gung also immer­hin schon mal gelun­gen, das strah­len­de Ster­nen­fun­keln der exo­ti­schen Schön­heit mei­ner Herz­al­ler­liebs­ten in Musik zu ein­zu­fan­gen — für mich ein untrüg­li­ches Zei­chen dafür, dass ich auf dem rich­ti­gen Weg war. Ich fing also gleich noch ein wenig mehr Feu­er und stell­te mir als nächs­tes die fol­ge­rich­ti­ge Auf­ga­be, eine geeig­ne­te Har­mo­ni­sie­rung im ange­spro­che­nen Drei­vier­tel­takt­rhyth­mus hinzuzufügen. 

Hier mach­te sich glück­li­cher­wei­se mei­ne inten­si­ve Beschäf­ti­gung mit Musik aus den davor­lie­gen­den Jah­ren mit­samt der zuge­hö­ri­gen Hör­erfah­rung und dem dar­aus gepräg­ten Bauch­ge­fühl für Har­mo­nie in vol­lem Umfang bezahlt, zumal der Ver­lauf mei­nes The­mas eine sehr ein­fa­che, kon­ven­tio­nel­le Har­mo­nie­fol­ge sug­ge­rier­te. So wirk­lich außer­ge­wöhn­lich war das ja auch nicht (für die musi­ka­lisch Inter­es­sier­te­ren unter Euch: die sprich­wört­li­che Musik spiel­te sich in höchst kon­ven­tio­nel­len Wech­seln zwi­schen Toni­ka, Sub­do­mi­nan­te und Domi­nan­te ab). Her­aus­ge­kom­men ist dabei das Folgende:

Es fun­kel­te und tanz­te plötz­lich genau­so, wie ich es mir vor­ge­stellt hat­te! Im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes also eine stim­mi­ge Sache. Daher soll­te es gleich wei­ter im Text gehen…

Übli­cher­wei­se wird das Grund­ge­rüst des Haupt­satz-The­mas inner­halb der Sona­ten­satz­form anschlie­ßend in geeig­ne­ter Wei­se ent­wi­ckelt und fort­ge­führt. Ich ließ also mei­ner seit Jah­ren über­wie­gend von klas­si­scher Musik gepräg­ten Hör­ge­wohn­heit frei­en Lauf und ver­such­te, das The­ma in der Art wei­ter­zu­ent­wi­ckeln, wie ich es von vie­len ande­ren Stü­cken im Ohr hat­te. Letzt­lich kamen dabei wei­ter­hin reich­lich kon­ven­tio­nel­le aber — wie ich fin­de — wir­kungs­vol­le Stil­mit­tel zum Ein­satz (wie­der­um für die musi­ka­lisch inter­es­sier­ten unter Euch: Wech­sel in die Par­al­lel­ton­art, Trug­schlüs­se, Rameau-Akkor­de und Dop­pel­ka­den­zen) — und alles natür­lich immer unter dem stark ein­schrän­ken­den Dik­tat der leich­ten Spiel­bar­keit auf dem Kla­vier. Damit war der Haupt­satz dann auch schon fertig:

An die Sei­te gesetzt

Schön und gut. Mein ers­ter Schritt in die Welt der Sona­ten­satz­form war nach mei­nem Emp­fin­den gelun­gen. Jetzt aber heiß es, dem Gan­zen einen kon­tras­tie­ren­den Sei­ten­satz entgegenzusetzen. 

Ein Blick auf die Design­vor­ga­ben ergab, dass die Punk­te 2, 3 und 5 (ster­nen­fun­keln­de Schön­heit, tän­ze­ri­scher Cha­rak­ter und spie­le­ri­sche Ein­fach­heit) ja bereits soweit umge­setzt waren. Für den Sei­ten­satz nahm ich mir daher Punkt 1 vor: Lei­den­schaft und Roman­tik. Das pass­te auch recht gut, denn der Sei­ten­satz soll­te ja in gewis­sem Kon­trast zum Haupt­satz ste­hen und inso­fern einen ruhi­ge­ren und hei­te­re­ren Cha­rak­ter bekom­men. Ich end­schied mich daher für eine Melo­die­füh­rung mit über­wie­gend hal­ben und Vier­tel­no­ten im Gegen­satz zu den kür­ze­ren und schnel­le­ren Ach­tel­no­ten aus dem Haupt­satz. Außer­dem leg­te ich die Ton­hö­hen des Sei­ten­satz­the­mas viel enger anein­an­der als im Haupt­satz, um jetzt im Sin­ne der Kon­trast­bil­dung deut­lich weni­ger melo­di­sche Span­nung auf­zu­bau­en. Zu guter Letzt führ­te ich die Melo­die — wie­der­um im Sin­ne der Kon­trast­bil­dung — in die hei­te­rer klin­gen­de Par­al­lel­ton­art (C‑Dur), die somit im gewünsch­ten (und gefor­der­ten) Gegen­satz zur schwer­mü­ti­ge­ren Grund­ton­art (a‑Moll) des Haupt­sat­zes stand. 

Obwohl ich rück­bli­ckend nicht wirk­lich sicher bin, mei­ne ich mich dar­an zu erin­nern, dass ich mich für Sei­ten­satz-The­ma letzt­lich von Cho­pins Prä­lu­di­um Nr. 20 aus Op. 28 inspi­rie­ren las­sen hat­te. Die Ähn­lich­keit ist jeden­falls nicht zu leug­nen, wenn man sich das Ergeb­nis anhört:

Soweit also die sanf­te Roman­tik in Form einer ruhi­gen, span­nungs­ar­men Melo­die mit Dur-Har­mo­nik. Apro­pos Har­mo­nik: es muss­te ja noch eine har­mo­ni­sie­ren­de Beglei­tung zu die­sem The­ma her. Die­ser woll­te ich dabei gleich noch die Rol­le zukom­men las­sen, nun auch das Motiv Lei­den­schaft (also den zwei­ten Teil von Punkt 1 mei­ner Design­vor­ga­ben) musi­ka­lisch umzu­set­zen. Lei­den­schaft erfor­dert aber gera­de mehr Span­nung und Unru­he. Also ging ich wie­der auf die Ach­tel­no­ten-las­ti­ge Melo­die­füh­rung aus dem Haupt­satz zurück, ver­setz­te sie jedoch im Sin­ne der Kon­trast­bil­dung in die Bass­stim­me und benutz­te sie gleich noch dazu, die erfor­der­li­che Har­mo­ni­sie­rung in weit gespreiz­ten Akkord­bre­chun­gen erklin­gen zu las­sen. Aus heu­ti­ger Sicht sind die von mir gewähl­ten Akkord­bre­chun­gen wohl vor allem davon beein­flusst gewe­sen, dass ich mei­ne ers­ten Instru­men­tal­erfah­run­gen auf der Gitar­re gemacht hat­te, denn — ehr­lich gesagt — es klingt wirk­lich wie eine typi­sche Gitarren-Begleitfigur. 

Für die melo­di­sche Fort­füh­rung des Sei­ten­satz­the­mas ließ ich mich zudem ein wenig von der ers­ten Epi­so­de aus dem Ada­gio von Mozarts Kla­ri­net­ten­kon­zert (KV 622) inspi­rie­ren, die Ihr hier hören könnt. 

Im Ergeb­nis ist dann das Fol­gen­de entstanden:

Auch damit war ich nach all der Tüf­te­lei durch­aus zufrie­den. Ich mei­ne: Hey, wow — mein ers­ter eige­ner Sona­ten­satz nahm gera­de rich­tig Gestalt an! 

Also: gleich wei­ter, denn die Sona­ten­satz­form for­dert ja noch die Anfü­gung einer Schluss­grup­pe, mit deren Hil­fe die Expo­si­ti­on zu einer wür­di­gen Kadenz — also einem ange­mes­se­nen musi­ka­li­schen Abschluss — geführt wer­den soll. Das dabei zur Anwen­dung gelang­te The­men­ma­te­ri­al rekru­tiert sich übli­cher­wei­se aus Frag­men­ten des Haupt- und Sei­ten­sat­zes. Es lag also nahe, den Sei­ten­satz zunächst auf Basis sei­nes eige­nen The­men­ma­te­ri­als so fort­zu­füh­ren, dass er lang­sam wie­der in die melan­cho­li­sche Ton­art des Haupt­sat­zes (also a‑Moll) zurück­kehrt, um dort dann von den Schluss­frag­men­ten des Haupt­sat­zes in Emp­fang genom­men und einer ange­mes­se­nen Schluss­ka­denz zuge­führt zu wer­den. Wie­der ließ ich also dem asso­zia­ti­ven Den­ken auf Basis mei­ner Hör­ge­wohn­heit frei­en Lauf und gelang­te über eine Fol­ge ver­schie­de­ner Sequen­zen schließ­lich zu fol­gen­dem Ergebnis:

Wow! Jetzt hat­te ich mei­ne ers­te Sona­ten­satz-Expo­si­ti­on fer­tig. Cool. Ich war, soweit ich mich heu­te noch erin­nern kann, ziem­lich zufrieden! 

Aller­dings fehl­te dazu noch eine Klei­nig­keit: die selbst­ge­wähl­te Design­vor­ga­be Nr. 4, also der „rus­si­sche” Einschlag. 

Ein­ge­lei­tet

Eigent­lich ungüns­tig, denn ich hat­te ja schon die gesam­te Expo­si­ti­on und damit ins­be­son­de­re bei­de der gefor­der­ten zwei The­men fer­tig. Dem jetzt noch nach­träg­lich was rus­si­sch/sla­wisch-wie-auch-immer zu bezeich­nen­des auf­zu­set­zen, wür­de fast alles wie­der umschmei­ßen, was ich mir so mühe­voll zurecht­ge­bas­telt hatte. 

Zum Glück gestat­tet die Sona­ten­satz­form es aber noch, der Expo­si­ti­on eine Ein­lei­tung vor­an­zu­stel­len, die mit eige­nem the­ma­ti­schen Mate­ri­al auf­war­ten darf. Die­se soll­te also nun zur Umset­zung von Design­vor­ga­be Nr. 4 her­hal­ten und inso­fern die ost­eu­ro­päi­sche Klang­welt repräsentieren. 

Obwohl durch­aus kli­schee­haft, expe­ri­men­tier­te ich ein wenig mit der Imi­ta­ti­on von Bala­lai­ka-Klän­gen, die ja gemein­hin mit rus­si­scher Volks­mu­sik asso­zi­iert wer­den. Die Bala­lai­ka wird dazu ger­ne mit schnel­len Ton­re­pe­ti­tio­nen gespielt, wodurch sich län­ger zu hal­ten­de Noten qua­si „simu­lie­ren” las­sen, denn eigent­lich ver­klingt ein Bala­lai­ka-Ton sehr schnell. Ein popu­lä­res Bei­spiel dafür fin­det sich hier. Also galt es, schnel­le Ton­wie­der­ho­lun­gen und ent­spre­chend cha­rak­te­ris­ti­sche Ton­in­ter­val­le zu kom­bi­nie­ren. Letz­te­re fin­den sich in den gro­ßen Sekund­schrit­ten (also in Schrit­ten von drei statt zwei Halb­tö­nen) der soge­nann­ten „Sin­ti und Romas­ka­len” (einst­mals „Zigeu­ner­ton­art” genannt) und wer­den je nach Ton­ge­schlecht auch „ara­bi­sche Ton­lei­ter” (Dur) bzw. „unga­ri­sche Ton­lei­ter” (Moll) genannt. Schnel­le Ton­wie­der­ho­lun­gen auf dem Kla­vier las­sen sich hin­ge­gen am ein­fachs­ten als Oktav-Tre­mo­lo rea­li­sie­ren, indem man dann beim Spie­len der Okta­ve kräf­tig die Hand hin- und her­schüt­telt. All das zusam­men­ge­nom­men ergab nun fol­gen­des Einleitungsthema: 

Do you like my Bala-like‑a? Ich fand jeden­falls, dass das ziem­lich gut zu dem pass­te, was ich damit aus­drü­cken woll­te. Alle Design­vor­ga­ben waren also nach mei­ner Ein­schät­zung erfüllt und die Expo­si­ti­on samt Ein­lei­tung somit fer­tig! Das Gan­ze gefiel mir sogar der­ma­ßen gut, dass ich ger­ne dem gebräuch­li­chen Vor­ge­hen für die Sona­ten­satz­form folg­te, die Expo­si­ti­on aus didak­ti­schen Grün­den zu wie­der­ho­len, damit sich der geneig­te Hörer die cha­rak­te­ris­ti­schen Merk­ma­le der Haupt- und Sei­ten­satz­the­men bes­ser ein­prä­gen und sie dadurch in der spä­ter fol­gen­den Durch­füh­rung und Repri­se ent­spre­chend bes­ser wie­der­erken­nen kann. Alles in allem gelang­te ich also zu fol­gen­dem Gesamt­bild mei­ner Exposition:

ABge­sang an die Synthese

Mit der fer­ti­gen Expo­si­ti­on war nun also das gesam­te the­ma­ti­sche Mate­ri­al für mein Opus voll­stän­dig geschaf­fen. Die Arbeit war damit aller­dings noch längst nicht getan. Genau genom­men fing sie eigent­lich jetzt erst rich­tig an, denn The­men zu erfin­den und gemäß den lang­jäh­rig gepräg­ten Hör­tra­di­tio­nen zu har­mo­ni­sie­ren und ver­voll­stän­di­gen, war das Eine. Das Ande­re hin­ge­gen war jenes, was die Sona­ten­satz­form nun als nächs­tes ver­lang­te: die Durch­füh­rung mit ihrem heh­ren Anspruch, die bei­den kon­tras­tie­ren­den The­men der Expo­si­ti­on so zu ver­ar­bei­ten, dass eben jener Kon­trast zwi­schen den The­men für die spä­te­re Repri­se auf­ge­weicht wird. Jetzt erst ging es also rich­tig ans Eingemachte!

Wie­der ein­mal stand ich damit vor einem wei­ßen Blatt und wie­der ein­mal such­te ich nach irgend­ei­nem brauch­ba­ren Ansatz, um einen sinn­vol­len Ein­stieg in mein ehr­gei­zi­ges Vor­ha­ben zu fin­den. Dies­mal küss­te mich die Muse glück­li­cher­wei­se in Form der Erin­ne­rung an das, was ich im gym­na­sia­len Musik­un­ter­richt über den ers­ten Satz aus Schu­berts Sin­fo­nie in h‑Moll (Deutsch-Ver­zeich­nis Nr. 759) — bes­ser bekannt als „Die Unvoll­ende­te” — gelernt hat­te. Jener ers­te Satz die­ses unbe­schreib­lich auf­rüt­teln­den Meis­ter­werks eines viel zu jung gestor­be­nen Aus­nah­me­kom­po­nis­ten steht natür­lich in wel­cher Form? Bin­go: in Sonatensatzform! 

Naja, jeden­falls sieht es vor­der­grün­dig so aus. Das Beson­de­re an die­sem Satz ist näm­lich gera­de, dass er in gewis­ser Wei­se als buch­stäb­li­cher Abge­sang auf das von der Sona­ten­satz­form reprä­sen­tier­te dia­lek­ti­sche Prin­zip der Syn­the­se aus The­se und Anti­the­se daher­kommt. Und zwar aus fol­gen­dem Grunde:

ACHTUNG — das wird jetzt gleich ziem­lich fach­spe­zi­fisch. Wer von Euch sich das erspa­ren und statt­des­sen nur die Quint­essenz dar­aus wis­sen will, kann ein­fach hier weiterlesen… 

Zunächst beginnt der Satz mit einem tief in den Bäs­sen ver­or­te­ten und ent­spre­chend düs­te­ren Ein­lei­tungs­the­ma, das hier zu hören ist. Dar­an schließt sich der auf­ge­wühlt in Moll erklin­gen­de Haupt­satz an, der hier zu hören ist. Der Haupt­satz wird dann wei­ter­ent­wi­ckelt und gelangt nach einer kur­zen Über­lei­tung zu einem tän­ze­risch leich­ten, in hei­te­rem Dur gehal­te­nen Sei­ten­satz, der hier zu hören ist.

Soweit, so gut. Erst­mal alles regel­kon­form: Haupt­satz düs­ter in Moll, Sei­ten­satz hei­ter in Dur. The­se und Anti­the­se in Rein­kul­tur. Aber wie sieht jetzt die Durch­füh­rung aus? Sie beginnt zunächst ein­mal mit dem Ein­lei­tungs­the­ma aus der Expo­si­ti­on. Eigent­lich nicht wirk­lich was Beson­de­res. Doch wo blei­ben Haupt- und Sei­ten­satz, die ja gera­de hier ver­ar­bei­tet wer­den sol­len? Vom Haupt­satz­the­ma ist statt­des­sen weit und breit kei­ne Spur und auch das Sei­ten­satz­the­ma taucht nur kurz zwi­schen­durch in Form einer Andeu­tung sei­ner cha­rak­te­ris­tisch-tän­ze­ri­schen Begleit­syn­ko­pen auf. Es ist viel­mehr aus­ge­rech­net das bas­sig-bedroh­li­che Ein­lei­tungs­the­ma, das hier immer wei­ter ver­kürzt, ver­dich­tet und gestei­gert wird, bis es schließ­lich in einer furi­os-dra­ma­ti­schen, teils an Mozarts Don-Gio­van­ni, teils an Beet­ho­vens Fünf­te erin­nern­den Sequenz kul­mi­niert, die irgend­wann abebbt und erschöpft der Repri­se weicht. Das Gan­ze ist hier zu hören.

Schu­berts eben­so erschüt­tern­de wie dras­ti­sche Aus­sa­ge lau­tet also: es gibt kei­ne Syn­the­se mehr — die Kon­fron­ta­ti­on bleibt von nun an bestehen! Die bei­den kon­tras­tie­ren­den The­men wer­den prak­tisch nicht ein­mal ange­fasst, geschwei­ge denn ver­ar­bei­tet oder zuein­an­der in Bezie­hung gesetzt. Und wie zur Bestä­ti­gung tau­chen bei­de The­men dann in der Repri­se nahe­zu unan­ge­tas­tet und damit in unver­än­der­ter Gegen­sätz­lich­keit wie­der auf, was in die­sem Zusam­men­schnitt zu hören ist.

Wer das mal erkannt hat, dem wird unmit­tel­bar klar, wie abgrund­tief und radi­kal Schu­bert in die­sem Satz mit der Sona­ten­satz­form und den durch sie reprä­sen­tier­ten Idea­len der Klas­sik gebro­chen hat. In die­ser Sin­fo­nie steckt also weit mehr also „nur” eine geball­te Ladung auf­wüh­len­der Emo­tio­nen einer höchst tra­gi­schen Figur. Ihre gan­ze Struk­tur ist nicht weni­ger als die end­gül­ti­ge Absa­ge an alles, wofür die Idea­le der Klas­sik ste­hen. Wel­cher Welt­schmerz die­sen jun­gen Mann dabei beseelt haben muss, lässt sich anhand des­sen nur erahnen…

Selbst durch­ge­führt

Ok, ok. Wir wis­sen jetzt, dass Schu­bert mit dem ers­ten Satz sei­ner Unvoll­ende­ten den vom dia­lek­ti­schen Prin­zip reprä­sen­tier­ten klas­si­schen Idea­len demons­tra­tiv abge­schwo­ren hat, indem er statt Haupt- und Sei­ten­satz schlicht­weg das ansons­ten unbe­deu­ten­de Ein­lei­tungs­the­ma in der Durch­füh­rung ver­ar­bei­tet und den Kon­trast zwi­schen Haupt- und Sei­ten­satz in der Repri­se zudem scham­los auf­recht­erhal­ten hat. Aber was hat das jetzt alles mit der Durch­füh­rung mei­nes eige­nen beschei­de­nen Werks zu tun? Wie­so soll­te ich mich in der musi­ka­li­schen Lie­bes­er­klä­rung an eine unbe­schreib­lich bezau­bern­de Frau aus­ge­rech­net von einem Stück inspi­rie­ren las­sen, das für den Zusam­men­bruch einer gan­zen Epo­che steht? Nein, es war natür­lich nicht die musi­ka­li­sche Inkar­na­ti­on des Welt­schmer­zes, die mich an die­sem genia­len Werk gereizt hat­te. Wohl aber die Idee, das Ein­lei­tungs­the­ma ins Zen­trum der Durch­füh­rung zu stel­len — wenn­gleich auf ganz ande­re Wei­se: als Basis für den Har­mo­nie­ver­lauf der Durch­füh­rung, die sich melo­disch ganz kon­ven­tio­nell aus dem Haupt­satz bedie­nen soll­te. Ich setz­te also zunächst in vager Anleh­nung an Schu­bert eine gestreck­te Ver­si­on des Ein­lei­tungs­the­mas in den Bass:

Dann schnapp­te ich mir die ers­ten bei­den Tak­te des Hauptsatzes:

Die­se woll­te ich in irgend­ei­ner sinn­vol­len Form über die eben geschaf­fe­ne Bass­li­nie mei­ner Durch­füh­rung set­zen. Als ange­hen­der Infor­ma­ti­ker muss­te die zün­den­de Idee dabei gar nicht lan­ge auf sich war­ten las­sen. Ich arran­gier­te das Gan­ze ein­fach in Zwei­er­po­ten­zen, also in auf­ein­an­der­fol­gen­den Ver­dopp­lun­gen. Nach­dem bei­de Tak­te zuerst in der Ori­gi­nal­ver­si­on erklun­gen waren, soll­te dem­nach anschlie­ßend jeder der bei­den Tak­te erst je ein­mal, dann je zwei­mal, dann je vier­mal und schließ­lich je acht­mal über den jewei­li­gen Bass­ton gelegt wer­den, wobei mir beim Acht­fa­chen dann schon nach der Hälf­te die Bass­li­nie ausging:

Den Abschluss der Durch­füh­rung soll­te dann eine durch Ein­zel­takt-Ver­dopp­lung gestreck­te Ver­si­on der Schluss­grup­pe aus der Expo­si­ti­on bil­den und bei die­ser Gele­gen­heit wie­der in die Grund­ton­art a‑Moll zurück­lei­ten, nach­dem die Durch­füh­rung selbst auf­grund des ers­ten Tons in mei­ner Bass­li­nie (E) in e‑Moll begann. Im Ergeb­nis kam dabei das Fol­gen­de heraus:

Und damit war mei­ne ers­te Durch­füh­rung auch schon geboren! 

Es war dabei für mich aus­neh­mend span­nend zu erle­ben, wie hier Hör­ge­wohn­heit, auto­di­dak­ti­sche Musik­bil­dung und nerdi­ges Infor­ma­tiker­den­ken inein­an­der­grif­fen. Aus heu­ti­ger Sicht spie­gelt sich dar­in ganz klar ein Grund­mus­ter mei­ner Per­sön­lich­keits­struk­tur wider. Aber das mal nur so neben­bei. Mir gefiel die­ses ziem­lich for­mal auf­ge­bau­te Ergeb­nis den­noch gut, denn durch die zusätz­li­chen Halb­tö­ne der oben erwähn­ten Sin­ti- und Romas­ka­len in der Bass­li­nie wur­de es erfor­der­lich, sich (haupt­säch­lich auf Basis ver­min­der­ter Vier­klän­ge) har­mo­nisch immer mal wie­der von der Grund­ton­art zu ent­fer­nen, was nach mei­nem Emp­fin­den ein hohes Maß an Span­nung her­vor­brach­te und damit den Anfor­de­run­gen an eine Sona­ten­satz­form-Durch­füh­rung in beson­de­rem Maße gerecht wurde. 

Klar: vom Sei­ten­satz war in der Durch­füh­rung kei­ne Spur. Also doch ein biss­chen was vom Bruch mit der Dia­lek­tik à la Schu­bert? Kei­nes­wegs. Auch bei Mozart gibt es sowas schon — etwa im ers­ten Satz sei­ner Sin­fo­nie Nr. 25 (KV 183), die ger­ne auch als „klei­ne g‑Moll-Sin­fo­nie” bezeich­net wird und die als Titel­me­lo­die mei­nes unan­ge­foch­te­nen Lieb­lings­films „Ama­de­us” beson­de­re Berühmt­heit erlangt hat. Die gesam­te Durch­füh­rung ent­hält nichts, was the­ma­tisch auch nur an den Haupt- oder Sei­ten­satz erin­nert. Aller­dings wird hier, anders als bei Schu­bert, kein schein­bar belang­lo­ses Ein­lei­tungs­the­ma in den Vor­der­grund gestellt und am Ende kommt es in der Repri­se selbst­ver­ständ­lich ganz kon­ven­tio­nell zur Syn­the­se bei­der The­men, die dort näm­lich bei­de in Moll erklingen.

Nichts­des­to­we­ni­ger war das Feh­len des Sei­ten­satz­ma­te­ri­als in mei­ner Durch­füh­rung vor allem ein Tri­but an die not­wen­di­gen Ein­schrän­kun­gen der spiel­tech­ni­schen Anfor­de­run­gen mei­nes Stücks. Die­ses Man­ko sol­le sich erst gute drei­ßig Jah­re spä­ter auf­lö­sen, als ich mich anschick­te, die­sen Satz in ein Streich­quar­tett umzu­ar­bei­ten. Aber davon soll im nächs­ten Bei­trag die­ser Serie die Rede sein.

Wie­der­auf­nah­me

Im Jah­re 1989 plag­te mich viel­mehr das Feh­len der noch ver­blei­ben­den Kom­po­nen­ten mei­nes Sona­ten­sat­zes — vor allem die Repri­se aber natür­lich auch noch eine effekt­vol­le Coda als krö­nen­der Abschluss des Ganzen.

Was die Repri­se angeht, ist es zur Ver­mei­dung auf­kom­men­der Lan­ge­wei­le übli­cher­wei­se so, dass der Haupt­satz nicht ein­fach wört­lich in sei­ner Gestalt aus der Expo­si­ti­on wie­der­holt wird. Statt­des­sen taucht er dort meist in abge­wan­del­ter, the­ma­tisch wei­ter­ent­wi­ckel­ter Form wie­der auf. Um dies für mein Werk zu gewähr­leis­ten, begann ich daher zunächst ein­mal aus Wie­der­erken­nungs­grün­den mit der wört­li­chen Wie­der­ho­lung des Haupt­mo­tivs — also der ers­ten fünf Tak­te des Haupt­sat­zes. Anstel­le der bekann­ten Wei­ter­füh­rung aus der Expo­si­ti­on füg­te ich aber dies­mal eine soge­nann­te Quint­fall­se­quenz bestehend aus moti­vi­schen Frag­men­ten des Haupt­sat­zes an. Sie heißt so, weil der Grund­ton der dabei ver­wen­de­ten Akkord­fol­ge jeweils fünf Stu­fen (= Basis­ton­lei­ter-Töne) unter dem vor­her­ge­hen­den Grund­ton liegt und ist schon in der Barock­mu­sik ein aus­ge­spro­chen häu­fig ein­ge­setz­tes Stil­mit­tel gewe­sen, das sich bis heu­te unge­bro­che­ner Beliebt­heit erfreut. So taucht sie zum Bei­spiel gleich am Anfang des ers­ten Sat­zes von Vival­dis a‑Moll-Vio­lin­kon­zert (RV356) aber auch in Bart Howards legen­dä­rem Song „Fly Me to the Moon” von 1956 auf.

Für mein Haupt­satz­the­ma führ­te ich die Quint­fall­se­quenz aller­dings nicht wie­der in die Grund­ton­art, son­dern aus rhe­to­ri­schen Grün­den zunächst in den Gegen­klang zurück, wodurch ein soge­nann­ter Trug­schluss mit sei­ner höchst über­ra­schen­den Wir­kung ent­steht. Dar­an häng­te ich dann noch eine kur­ze (ver­mut­lich von diver­sen jid­di­schen Lie­dern inspi­rier­te) Motiv­fol­ge mit einem wei­te­ren Trug­schluss an, die über eine sehr weit oben anset­zen­de abstei­gen­de Ach­tel­fol­ge schließ­lich wie­der in die erlö­sen­de Grund­ton­art mün­de­te (wodurch also mal wie­der eine Dop­pel­ka­denz ent­stand). Ins­ge­samt kam dabei fol­gen­des heraus:

Es fehl­te jetzt noch die Wie­der­ho­lung des Sei­ten­sat­zes, der gemäß den Vor­ga­ben der Sona­ten­satz­form nun aber gera­de nicht mehr die kon­tras­tie­ren­de Dur-Wen­dung aus der Expo­si­ti­on neh­men durf­te, son­dern viel­mehr im Sin­ne der dia­lek­ti­schen Syn­the­se zur Anglei­chung an den Haupt­satz in Moll-Sphä­ren zu ver­har­ren hat­te. Auch hier­für bedien­te ich mich eines Trug­schlus­ses, der bei Dur-Ton­ar­ten aller­dings in die par­al­le­le Moll-Ton­art führt. Von dort aus füg­te ich eine abstei­gen­de Sequenz ein, die über einen reich­lich exo­ti­schen f‑Moll-Zwi­schen­schritt wie­der zu a‑Moll führ­te. Im Ohr hat­te ich dabei ver­mut­lich eine bestimm­te Stel­le aus dem ers­ten Satz von Mozarts c‑Moll-Kla­vier­kon­zert (KV 491) — einem der fan­tas­tischs­ten Musik­stü­cke, die je geschrie­ben wur­den. Schließ­lich brach­te ich das Gan­ze mit einer in Moll gehal­te­nen Abwand­lung der ent­spre­chen­den Pas­sa­ge aus der Expo­si­ti­on über die Anfangs­mo­ti­ve des Haupt­sat­zes zur Grund­ton­art zurück. Der Sei­ten­satz mei­ner Repri­se stell­te sich damit ins­ge­samt so dar:

Wahn­sinn! Auch mei­ne ers­te Repri­se war damit erschaf­fen — und für mei­nen eige­nen Geschmack im Sin­ne der Anfor­de­run­gen der Sona­ten­satz­form auch noch ziem­lich gut gelun­gen. Was jetzt allein noch fehl­te, war eine ordent­li­che Coda — also die fina­le Über­lei­tung zu einem furio­sen Schlussakkord. 

Zu guter Letzt

So ein Schluss steht ja bild­lich gespro­chen am ande­ren Ende des Anfangs eines Musik­stücks, den in mei­nem Fall die ein­lei­ten­de Bala­lai­ka-Simu­la­ti­on bil­de­te. Um dem Gan­zen also eine Art Rah­men zu ver­lei­hen, schien es mir char­mant, die Bala­lai­ka-arti­gen Klän­ge am Ende des Stücks wie­der auf­le­ben zu las­sen. Ich ließ daher den Drei­vier­tel­takt-Rhyth­mus im Bass über eine kon­ven­tio­nel­le vier­tak­ti­ge Kadenz wei­ter­lau­fen und setz­te die Bala­lai­ka-Simu­la­ti­on ein­fach ent­lang der Drei­klangstö­ne mei­ner Grund­ton­art über die­se vier­tak­ti­gen Grup­pen. Das Ergeb­nis klang dann so:

Rhe­to­risch klang die­se Sequenz nach mei­nem Gefühl aller­dings eher wie eine Art Hin­lei­tung zur eigent­li­chen Schluss­ka­denz. Die­se zwölf­tak­ti­ge Stei­ge­rung der Span­nung ver­lang­te dem­nach ein­deu­tig nach einer befrei­en­den Auf­lö­sung der­sel­ben als letzt­end­li­ches Fina­le mei­nes Werks. Ein beein­dru­cken­des Bei­spiel für so etwas kam mir dann auch schon gleich in den Sinn: die Schluss­ka­denz aus dem ers­ten Satz des Kla­vier­kon­zerts Nr. 1 (Op. 15) von Johan­nes Brahms in d‑Moll (mei­ner unan­ge­foch­te­nen Lieb­lings­ton­art). Sie ist hier zu hören und been­det den furio­sen Kopf­satz eines Kla­vier­kon­zerts, das mei­nes Erach­tens zum Bes­ten gehört, was jemals für Kla­vier und Orches­ter geschrie­ben wurde.

Natür­lich wäre es eben­so ver­mes­sen wie schlicht­weg unpas­send gewe­sen, mei­nem beschei­de­nen Kla­vier­stück ein der­art gran­di­os ange­leg­tes Fina­le zu spen­die­ren — mal ganz abge­se­hen von der For­de­rung der leich­ten Spiel­bar­keit, die damit abso­lut hoff­nungs­los unter­lau­fen wor­den wäre. Aber der Grund­cha­rak­ter die­ser ful­mi­nan­ten Schluss­ka­denz erschien mir den­noch als pas­sen­de Quel­le der Inspi­ra­ti­on für die Schluss­ka­denz mei­nes eige­nen klei­nen Opus. So ent­schlack­te ich ihn um alles, was ihn all­zu opu­lent und vor allem viel zu schwer für mein eige­nes Werk machen wür­de und beließ es weit­ge­hend bei der Melo­die­be­we­gung und der Har­mo­nie mei­nes Vor­bilds. Her­aus­ge­kom­men ist dabei das Folgende:

Ein wür­di­ger Abschluss, wie ich damals fand. Und damit auch gleich­zei­tig der Abschluss mei­nes klei­nen Kompositionsprojekts!

Und nun?

Nun war mein Werk also tat­säch­lich voll­endet und lag nie­der­ge­schrie­ben auf mei­nem Schreib­tisch. Sei­ner­zeit ver­wen­de­te ich dazu aller­dings kei­ne gra­fisch bedien­ba­ren Noten­satz­pro­gram­me (die es übri­gens sogar schon gege­ben hät­te). Statt­des­sen saß ich mit Noten­pa­pier und Blei­stift bewaff­net am Kla­vier und schrieb alles noch ganz brav per Hand auf:

Dabei erhob sich die Fra­ge, in wel­cher Form ich das Gan­ze an die jun­ge Frau mei­ner Träu­me über­rei­chen soll­te. Hand­ge­schrie­be­ne Noten schön und gut — allein: man kann nicht von jedem ver­lan­gen, dass er Noten vom Blatt liest und sich dabei den Klang des Stücks rea­lis­tisch vor­zu­stel­len in der Lage ist. Neben dem rei­nen Noten­text muss­te also noch eine Ein­spie­lung her. Hier mach­te sich ange­nehm bemerk­bar, dass ich das Stück stets in den Gren­zen mei­ner eige­nen Instru­men­tal­fä­hig­kei­ten gehal­ten hat­te. Also pack­te ich einen Kas­set­ten­re­kor­der aus und stü­ckel­te nach und nach eine Auf­nah­me mei­nes Werks zusammen. 

Die Jün­ge­ren unter Euch mögen sich fra­gen, was ein Kas­set­ten­re­kor­der ist. Das war so ein Kas­ten mit einem Fach, in das man soge­nann­te Kom­pakt­kas­set­ten ein­le­gen konn­te, wel­che die eigent­li­chen Musik­auf­zeich­nun­gen ent­hiel­ten. Inner­halb einer sol­chen Kas­set­te befand sich ein schma­les Magnet­band, das zwi­schen zwei Spu­len hin und her gewi­ckelt wer­den konn­te. An einer Sei­te war die Kas­set­te offen, so dass das Magnet­band dort im Vor­bei­lau­fen von einem magne­ti­schen Schreib-/Le­se­kopf wahl­wei­se magne­ti­siert (= beschrie­ben) oder abge­tas­tet (= gele­sen) wer­den konnte. 

Dabei wur­den Metall­teil­chen auf dem Band in Abhän­gig­keit vom Fre­quenz­gang der auf­zu­zeich­nen­den Töne stär­ker oder schwä­cher magne­ti­siert, so dass man aus der Fol­ge die­ser ver­schie­de­nen Magne­ti­sie­run­gen hin­ter­her wie­der den Fre­quenz­gang aus­le­sen und in Klang umwan­deln konn­te. Das Gan­ze lief natür­lich streng ana­log, hat­te aber für uns in etwa die Funk­ti­on, die in den frü­hen 2000er-Jah­ren von MP3-Play­ern über­nom­men wur­de und heu­te auf jedem Smart­phone mit­tels ent­spre­chen­der mul­ti­me­dia-Apps rea­li­siert wird.

Soweit also der Kas­set­ten­re­kor­der. Das Zusam­men­schnei­den mei­ner Auf­nah­me auf einer sol­chen Kas­set­te lief natür­lich nicht wie bei den Pro­fis mit lau­ter unab­hän­gi­gen Takes, aus denen man spä­ter die jeweils bes­ten her­aus­fil­tert und mit ent­spre­chen­der Stu­dio­tech­nik naht­los zusam­men­ge­fügt. Viel­mehr muss­te ich bei jedem klei­nen Pat­zer (von denen es lei­der eine gan­ze Men­ge gab) zur letz­ten Stel­le mit nen­nens­wer­ter Pau­sen­län­ge zurück­spu­len, die Auf­nah­me­tas­te drü­cken und so schnell wie mög­lich wei­ter­spie­len, um den Ein­druck einer kon­ti­nu­ier­li­chen Ein­spie­lung zu wahren.

Lei­der habe ich kei­ne Auf­nah­me mehr von damals fin­den kön­nen und — ehr­lich gesagt — es wäre nach über drei­ßig Jah­ren wohl auch kaum etwas dar­auf zu hören gewe­sen. So lan­ge bleibt die Magne­ti­sie­rung der klei­nen Bän­der in aller Regel nicht erhalten. 

Sicher ist aber, dass die über alles bezau­bern­de Dame mei­nes Her­zens das Stück von mir in Form einer Kopie der Par­ti­tur und eben jener Kas­set­te über­reicht bekom­men hat­te. Und ich glau­be, sie hat sich wirk­lich sehr gefreut. Ob sie dabei erahnt hat, wie vie­le Gedan­ken ich mir bei der Gestal­tung mei­nes Werks gemäß den obi­gen Aus­füh­run­gen gemacht habe, ist nicht wirk­lich bedeut­sam, denn eine der Beson­der­hei­ten von Musik ist ja gera­de, dass sie sich auch dem unbe­darf­ten Hörer allein auf Basis ihrer emo­tio­na­len Wir­kung erschließt. Und die hat­te ich nach allem, was ich heu­te sagen kann, nicht verfehlt.

Übri­gens: so ein Werk braucht natür­lich auch noch einen Namen. Ich habe es damals in aller Schlicht­heit „Sona­ta qua­si una Fan­ta­sia” („Sona­te — bei­na­he eine Fan­ta­sie”) getauft. Dar­in soll­te sich der selbst auf­er­leg­te Anspruch nie­der­schla­gen, dass das Stück der Sona­ten­form folgt, wobei ich die­sen Anspruch dann auch gleich wie­der durch die Anfü­gung auf­zu­wei­chen ver­such­te, dass es sich dann doch bei­na­he um eine Fan­ta­sie han­de­le (die ja gera­de kei­ner beson­de­ren Form folgt). So woll­te ich jed­we­der Kri­tik an man­geln­der Regel­treue bei der Umset­zung der Sona­ten­satz­form von Anfang an vor­beu­gen (dabei mag es dahin­ge­stellt blei­ben, wer sie über­haupt hät­te äußern sol­len). Aber so bin ich halt: immer gleich die poten­zi­el­le Kri­tik im Auge haben und a prio­ri ent­kräf­ten. Merk­wür­di­ger Charakterzug…

Ach ja — ich habe ja noch ganz ver­ges­sen, Euch das Stück als Gesamt­werk zu Gehör zu brin­gen. Voilà:

Und für alle, die es selbst mal spie­len wol­len: die Noten könnt Ihr selbst­ver­ständ­lich ger­ne hier her­un­ter­la­den und frei ver­wen­den — wobei ich mir wün­schen wür­de, dass mei­ne Urhe­ber­schaft dabei Erwäh­nung findet.

So, Ihr Lie­ben, das war der Teil mei­ner kom­po­si­to­ri­schen Selbst­er­fah­rungs­ge­schich­te, der sich im Jah­re 1989 abge­spielt hat­te. Wie und war­um dar­aus über drei­ßig Jah­re spä­ter der ers­te Satz eines anschlie­ßend um zwei wei­te­re Sät­ze ergänz­ten Streich­quar­tetts wur­de, erfahrt Ihr im zwei­ten Teil die­ser Bei­trags­se­rie. Ihr dürft also ger­ne gespannt bleiben.

Alles Lie­be

Dani­el

16 Kommentare

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  • Lie­ber Dani­el , mit gro­ßer Begeis­te­rung habe ich mir dein Stück ange­hört und den dazu­ge­hö­ri­gen Text durch gelesen .
    Chapeau ….
    Ich bin wirk­lich begeis­tert und das Ihr nun 29 mitt­ler­wei­le ver­hei­ra­tet seid … alles rich­tig gemacht . Euch alles Lie­be Lior

    • Vie­len Dank für die aner­ken­nen­den Wor­te, lie­ber Lior! Es fällt mir selbst denk­bar schwer zu begrei­fen, wie schnell die Zeit seit­her ver­gan­gen ist. Umso mehr hat es mir gut getan, die längst ver­gan­ge­nen Jugend­jah­re beim Schrei­ben des Posts ein klein wenig wie­der leben­dig wer­den zu lassen…

  • Lie­ber Dani­el, auf Hebrä­isch sagt man MAGNIV מגניב ! So viel wie COOL und KLASSE zugleich. Jischar Koach. Lana ist ganz bestimmt so groß­ar­tig, dass sie Dich so toll inspi­rier­te! Ein wei­te­res Bei­spiel dafür, dass eine Jugend­be­we­gung eine frucht­ba­re Begeg­nungs­stät­te war und ist. Mei­ne Frau, mein jün­ge­rer Sohn und ich haben nach Lesen Dei­ner so lie­be­vol­len und locke­ren ein­füh­ren­den Beschrei­bung der roman­ti­schen Moti­va­ti­on die Musik­se­quen­zen uns genüss­lich ange­hört. (Der ande­re Sohn und die Enke­lin bekom­men es am Abend zu hören, da sie unter­wegs sind.) Dei­ne wun­der­ba­re Syn­the­se von klas­si­scher Musik mit ande­ren Gen­res bis hin zur Volks­mu­sik diver­ser Spra­chen lässt jeden sich umso mehr zu Hau­se füh­len. Eine Augen­wei­se und eine Ohren­wei­de zugleich. Jede Musik­schu­le hät­te ger­ne einen sol­chen humor­vol­len und päd­ago­gisch span­nen­den Bei­trag im eige­nen Rah­men gehabt… Wir dan­ken Dir sehr herz­lich für das Sha­ring. Jetzt kön­nen wir alles noch­mals in aller Ruhe und anle­sen und anhö­ren. Dan­ke viel­mals Dir und Lana und mit den bes­ten wün­schen Euch und der gan­zen Fami­lie mit allen Zwei­gen an allen Stand­or­ten! Wir bedan­ken uns sehr herz­lich, und wün­schen Euch wei­te­res krea­ti­ves, roman­tisch inspi­rier­tes und inspi­rie­ren­des Schaf­fen! Unser Applaus sagt: ENCORE! Alles Lie­be und herz­lichst Shalom aus Isra­el. Dein Ari 

    • Vie­len Dank für das gran­dio­se Feed­back, lie­ber Ari. Ich freue mich sehr, wenn es mir gelun­gen sein soll­te, mei­ne Emp­fin­dun­gen mit mei­nem Bei­trag leben­dig ver­mit­telt zu haben.

  • Lie­ber Daniel,
    mir feh­len die Worte.
    Du bist im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes „ein­ma­lig“ und Lana und du ein wah­res Vor­bild für die nächs­te Generation.

    • Herz­li­chen Dank für die­se schö­nen Wor­te, lie­be Jut­ta! Dabei habt Ihr uns ja sogar noch ein paar Jähr­chen vor­aus und seid alle­mal ein min­des­tens so gutes Vorbild…

  • Lie­ber Daniel
    Dei­ne Musik und Dei­ne Wor­te berüh­ren mich tief. Wir sind über­glück­lich, sGw in weni­gen Mona­ten Mechu­tanim eines solch vor­bild­haf­ten Paa­res zu wer­den, das es schafft, sich auch nach vie­len gemein­sa­men Jah­ren mit Freu­de, Respekt und gröss­ter Zunei­gung zu begegnen.
    Sehr herz­lich Deine
    Caroline

    • Herz­li­chen Dank, für das wun­der­ba­re Feed­back, lie­be Caro­li­ne! Ich den­ke, unse­re Kin­der haben von bei­den Sei­ten tol­le Vor­bil­der für eine nach­hal­ti­ge Partnerschaftskultur…

    • Vie­len Dank für das tol­le Feed­back. Es freut mich sehr, wenn es mir gelingt, mit mei­nen Bei­trä­gen zu mei­nen Lesern durchzudringen!

  • Wow, das ist echt beein­dru­ckend. So viel Talent und musi­ka­li­sches Wis­sen. Es macht gro­ßen Spaß, das Werk im Ent­ste­hen ver­fol­gen zu kön­nen und dann das schö­ne, roman­ti­sche Ergeb­nis zu hören. Gro­ßes Kom­pli­ment. Wir freu­en uns auf wei­te­re Teile.
    Vie­len Dank.
    Judith und Gerhard

    • Herz­li­chen Dank für die aner­ken­nen­de Rück­mel­dung, lie­be Judith, lie­ber Ger­hard. Freut mich sehr, dass ich Euch mit mei­nem Bei­trag Freu­de machen konn­te. Hof­fent­lich bleibt das auch bei den Fol­ge­bei­trä­gen so…

  • Wow, super Arti­kel. Dan­ke! Wenn das die Anfor­de­run­gen an einen jun­gen Ver­lieb­ten sind, über­le­ge ich es mir gründ­lich bevor ich mich ver­lie­be. Solan­ge wäre ich dann „qua­si verliebt“.

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