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War­um ich das Hand­tuch wer­fe – Bekennt­nis­se eines resi­gnier­ten Gabbais

 

Ach­tung: die in fol­gen­dem Bei­trag nie­der­ge­leg­ten Gedan­ken habe ich nach ziem­lich genau vier Jah­ren des Nach­den­kens einer kri­ti­schen Neu­be­wer­tung unter­zo­gen, die hier zu lesen ist. Ich habe den Bei­trag natür­lich trotz­dem in sei­ner ursprüng­li­chen Form ste­hen­ge­las­sen. Er ist in gewis­ser Wei­se ein Doku­ment mei­ner Lebens­ge­schich­te und es wäre vor allem unauf­rich­tig, jetzt plötz­lich so zu tun, als hät­te ich ihn nie geschrieben.

Hal­lo Ihr Lieben,

ab heu­te ist es amt­lich: ich habe mei­ne Tätig­keit als Gab­bai (also als Mit­glied des Syn­ago­gen­vor­stands) in der Frank­fur­ter West­end­syn­ago­ge nach gut elf Jah­ren mit sofor­ti­ger Wir­kung beendet.

Auch wenn die Ent­wick­lun­gen, die mich zu die­sem Schritt gebracht haben, ver­mu­ten las­sen, dass es nicht all­zu vie­le Men­schen geben dürf­te, die jenem Ent­schluss über­haupt irgend­ei­ne Bedeu­tung bei­mes­sen, so mag es den­noch eini­ge unter Euch geben, die sich schon auf­grund ihrer per­sön­li­chen Nähe zu mir für mei­ne Motiv­la­ge inter­es­sie­ren könn­ten, so dass ich für alle Fäl­le mit die­sem klei­nen Bei­trag dar­le­gen möch­te, wel­che Beweg­grün­de hin­ter mei­ner Ent­schei­dung stecken.

Um Miss­ver­ständ­nis­sen vor­zu­beu­gen und es gleich vor­weg ein für alle­mal klar­zu­stel­len: mein Ent­schluss hat nichts, ja wirk­lich abso­lut gar nichts mit dem Weg­gang unse­res geehr­ten Rab­bi­ner Men­achem Hale­vi Klein und noch viel weni­ger als nichts mit dem Amts­an­tritt unse­res geehr­ten Rab­bi­ner Juli­an-Cha­im Sous­san oder unse­res neu­en Kan­tors Yoni Rose zu tun. Ganz im Gegen­teil: hät­te Rav Sous­san nicht durch den Weg­gang von Rav Klein in die West­end­syn­ago­ge gewech­selt, hät­te ich mei­nen Rück­zug aus dem Syn­ago­gen­vor­stand schon Ende letz­ten Jah­res ange­tre­ten. Dass ich damit bis heu­te gewar­tet habe, ist also gera­de der Über­le­gung geschul­det, auf kei­nen Fall den Ein­druck erwe­cken zu wol­len, mein Ent­schluss hät­te etwas mit der neu­en Rol­len­defi­ni­ti­on von Rav Sous­san zu tun.

Rav Sous­san ist für mich eben­so wie Yoni Rose viel­mehr ein leuch­ten­der Hoff­nungs­trä­ger für einen längst über­fäl­li­gen Moder­ni­sie­rungs­schub in Kul­tus und Reli­gi­ons­päd­ago­gik unse­rer Gemein­de und als ich Rav Sous­san vor eini­gen Wochen über mei­ne Rück­zugs­ab­sich­ten aus dem Syn­ago­gen­vor­stand in Kennt­nis gesetzt habe, habe ich ihm gegen­über unmiss­ver­ständ­lich deut­lich gemacht, dass ich auch wei­ter sehr ger­ne für jede Form der Unter­stüt­zung sei­ner Arbeit zur Ver­fü­gung ste­he, bei der ich mei­ne Ener­gien kon­struk­tiv und frucht­bar zur Ent­fal­tung brin­gen kann.

Und genau damit sind wir eigent­lich auch schon beim Kern mei­ner Moti­va­ti­on für die Been­di­gung mei­ner Tätig­keit im Syn­ago­gen­vor­stand: mir ist in den letz­ten zwei Jah­ren nach lan­gem inne­ren Hadern end­lich klar gewor­den, dass ich mich im Rah­men die­ses Amts in einer Wei­se enga­gie­re, die an der Bedürf­nis­la­ge der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit unter den G*ttesdienstteilnehmern kom­plett vorbeigeht.

Wäh­rend näm­lich mei­ne Vor­stel­lung eines wür­di­gen G*ttesdienstablaufs so etwas wie gemein­schaft­lich geteil­te Gesän­ge, Andacht und Besinn­lich­keit beinhal­tet, sucht der über­wie­gen­de Teil der all­wö­chent­li­chen G*ttesdienstteilnehmer vor allem so etwas wie sozia­le Begeg­nun­gen, Gesel­lig­keit und Gra­tis­ver­kös­ti­gung mit einem biss­chen „Jid­disch­keit” als unauf­dring­li­cher Hin­ter­grund­mu­sik. Das gilt frei­lich umso mehr für das Publi­kum, das sich zu den Hohen Fei­er­ta­gen oder an Sim­chat-Torah bzw. Purim einfindet.

Man kann es meta­pho­risch viel­leicht am bes­ten so aus­drü­cken: wäh­rend ich fort­wäh­rend bemüht bin, Raum für ein Kon­zert zu schaf­fen, bei wel­chem mög­lichst vie­le Teil­neh­mer aktiv mit­wir­ken und der Rest zumin­dest in respekt­vol­ler Stil­le ver­harrt und der Musik als zen­tra­les Gesche­hen der Ver­an­stal­tung auf­merk­sam lauscht, betrach­ten sich die meis­ten Teil­neh­mer unse­rer G*ttesdienste eher als so etwas wie die Gäs­te in einer Pia­no-Bar, in der man aus­gie­big quatscht, isst und trinkt und die Musik der Stim­mung hal­ber aus dem Hin­ter­grund auf sich wir­ken lässt. Mei­ne Ver­su­che, die G*ttesdienst-Teilnehmer zur Mit­wir­kung, zumin­dest aber zu andäch­ti­ger Stil­le zu ermah­nen, neh­men sich aus deren Sicht also in etwa so aus, als wür­de der Betrei­ber der Pia­no-Bar oder gar der Pia­nist selbst sei­ne Gäs­te fort­wäh­rend zum akti­ven Musi­zie­ren, zumin­dest aber zu auf­merk­sa­mem und stil­lem Zuhö­ren auf­for­dern. Dar­auf wür­de ich als Gast in einer Pia­no-Bar wohl auch mit eben jenem Unver­ständ­nis (Mot­to: „neb­bich –  er kapiert’s ein­fach nicht”) oder bis­wei­len auch Unmut (Mot­to: „von dem Schmock las­se ich mir garan­tiert nicht den Mund ver­bie­ten”) reagie­ren, die mir in der Syn­ago­ge übli­cher­wei­se denn auch in sol­chen Momen­ten entgegenschwingen.

Immer und immer wie­der haben wir uns in den letz­ten zehn Jah­ren im Syn­ago­gen­vor­stand gemein­sam mit den ver­schie­de­nen Gemein­de­rab­bi­nern, der Gemein­de­di­rek­ti­on oder auch diver­sen Vor­stands- und Gemein­de­rats­mit­glie­dern den Kopf dar­über zer­bro­chen, was man wohl alles noch tun kön­ne, um ins­be­son­de­re zu den hohen Fei­er­ta­gen für mehr Ruhe und Wür­de in der Syn­ago­ge zu sor­gen. Dabei haben wir so gut wie kei­ne Über­le­gung aus­ge­las­sen – sei es die viel­zi­tier­te Instal­la­ti­on kosche­rer Mikro­fo­ne, bezahl­te Saal­ord­ner, wel­che die Beten­den zur Ruhe ermah­nen soll­ten, der Ein­bau von Glas­tü­ren zwi­schen Haupt- und Vor­raum oder auch ein Bis­t­rot im Kid­du­sch­raum, das die quat­schen­de Men­ge aus dem Bet­raum locken sollte.

Nur die eine ent­schei­den­de Fra­ge haben wir uns nicht gestellt: war­um wol­len wir die Gemein­de eigent­lich mit tech­ni­schen, logis­ti­schen oder orga­ni­sa­to­ri­schen Maß­nah­men zu einem Ver­hal­ten zwin­gen, an dem sie in ihrer über­wie­gen­den Mehr­heit über­haupt nicht inter­es­siert ist? Denn wäre sie es, dann müss­te man ja regel­mä­ßig beob­ach­ten kön­nen, wie sich eine an Stil­le und Wür­de inter­es­sier­te Mehr­heit unter den Gebets­teil­neh­mern wäh­rend des G*ttesdienstes gegen die lär­men­de Min­der­heit in Form hör­ba­rer Ermah­nun­gen zu Ruhe und Andacht durch­zu­set­zen ver­sucht. Nichts der­glei­chen wäre mir in den letz­ten zehn Jah­ren indes­sen auf­ge­fal­len (naja, bis­wei­len beob­ach­te ich schon mal den echauf­fier­ten Ver­such von Sei­ten eines der reni­ten­tes­ten Dau­er­stö­rer, die ver­sam­mel­ten Syn­ago­gen­be­su­cher zur Ruhe zu ermah­nen, weil der Kan­tor gera­de eines sei­ner Lieb­lings­stü­cke dar­bie­tet. Das wäre also in etwa so, als wür­de sich ein beson­ders gesel­li­ger und laut­star­ker Gast in einer Pia­no-Bar plötz­lich von sei­nem Platz erhe­ben und die ande­ren Gäs­te empört um Ruhe bit­ten, wo der Pia­nist doch gera­de sein Lieb­lings­stück zum Bes­ten gibt. Ich neh­me an, Ihr wer­det mir nach­se­hen, wenn ich das als Gro­tes­ke zu den Akten lege und in mei­ner oben ange­stell­ten empi­ri­schen Betrach­tung nicht wei­ter berücksichtige).

Kurz: wer an einer Kon­zert­ver­an­stal­tung inter­es­siert ist, soll­te nicht ein eine Pia­no-Bar gehen (oder gar eine betrei­ben) und die Gäs­te dort zu Ruhe und Auf­merk­sam­keit zwin­gen wol­len. Sie neh­men näm­lich zurecht für sich in Anspruch, in eine Pia­no-Bar zu gehen, um sich bei unauf­dring­li­cher Hin­ter­grund­mu­sik mit­ein­an­der unter­hal­ten zu kön­nen, zu trin­ken und ggf. zu essen. Und weil das so ist, habe ich für mich beschlos­sen, mich ab sofort nach Mög­lich­kei­ten umzu­se­hen, wie­der ech­te Kon­zert­ver­an­stal­tun­gen zu besu­chen bzw. in Orches­tern mit­zu­wir­ken, anstatt mich län­ger an dem absur­den Vor­ha­ben auf­zu­rei­ben, eine Pia­no-Bar für Kon­zert­ver­an­stal­tun­gen miss­brau­chen zu wol­len und auf die Gäs­te zu schimp­fen, die sich das zurecht ver­bit­ten. Soll­te mir wider erwar­ten dann doch mal der Sinn nach einer Pia­no-Bar ste­hen, weiß ich natür­lich, wo ich hin­zu­ge­hen habe…

Alles Lie­be

Dani­el

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