Hallo Ihr Lieben,
willkommen zu Teil 3 meiner kleinen Blogbeitragsserie über meine ganz persönlichen Erfahrungen mit der Schaffung von Musik. Zur Erinnerung: im ersten Beitrag dieser Serie hatte ich ausführlich davon erzählt, wie ich im Jahre 1989 den Versuch unternommen hatte, der frisch gebackenen Dame meines Herzens ein Klavierstück zu komponieren, das meine überbordende Verliebtheit in Musik fassen sollte. Der zweite Beitrag dieser Serie hat sich hingegen auf Oktober/November 2019 fokussiert, wo mir rund dreißig Jahre später anlässlich einer für Januar 2020 geplanten Geburtstagsfeier meiner wundervollen Frau die wahnwitzige Idee gekommen war, mein seinerzeitiges Klavierstück in ein Streichquartett umzuarbeiten, um es bei besagter Feier zur Aufführung bringen zu lassen. Am Ende dieses Beitrags war die Transkription dann tatsächlich fertig und ich stand mit dem Leiter unseres Synagogenchors (ein begnadeter Musiker, der gleichzeitig ein guter Freund von mir ist) hinsichtlich eines Streichensembles in Kontakt, das mein Stück darbieten sollte.
In der Zwischenzeit war es auch schon Anfang Dezember geworden und die Feier war demnach nur noch gut sieben Wochen hin, als dann endlich auch die ersten Vorschläge meines Freundes für geeignete Ensembles eingingen. Es sah also ganz danach aus, als würde das Vorhaben zumindest nicht an der Verfügbarkeit eines Streichquartetts scheitern.
Just in diesen Tagen beschlich mich aber zunehmend der Gedanke, dass die bloße Darbietung eines recycelten Verliebtheitsgeschenks aus dem Jahre 1989 eigentlich zu weinig sei, um meiner Frau im Jahre 2020 anlässlich eines runden Geburtstags musikalisch zum Ausdruck zu bringen, was ich für sie bzw. für den Umstand empfand, dass wir zu diesem Zeitpunkt immerhin 32 glückliche Jahre zusammen verbracht hatten. Zwar war die Hommage an die frühere stürmisch-drängende Verliebtheit zweifellos ein angemessener Einfall, aber unsere jahrzehntelang gewachsene Beziehung bestand einfach aus unendlich viel mehr, als dass es alleine mit einem nostalgischen Rückblick auf den strahlenden Glanz der einstmals überbordenden Verliebtheit getan gewesen wäre.
Kurzum: dem aufpolierten Erinnerungsstück an längst vergangene Frühphasen unserer Beziehung musste etwas gänzlich Neues zur Seite gestellt werden, das den Verlauf unserer seitherigen Beziehung angemessen in Musik ausdrückt. Damit war klar: der bereits im letzten Beitrag erwähnte zweite Satz, von dem ich in all den Jahren immer mal wieder einzelne Melodiefragmente weitgehend unzusammenhängend auf dem Klavier vor mich hin improvisiert hatte, musste als musikalische Retrospektive auf unsere bisherige Beziehung auskomponiert, vervollständigt und aufgeschrieben werden — und zwar dann auch gleich von Anfang an für ein Streichquartett. Und das Ganze natürlich in wenigen Wochen, so dass das angeworbene Ensemble Zeit genug hätte, diesen Satz auch noch vor der Feier einzustudieren. Im Klartext: ich musste jetzt in Rekordtempo das zustande bringen, was sich beim ersten Satz auf dreißig Jahre verteilt hatte. Wow! Sportlich! Ich meine: es ist ja nicht so, dass man als Vollzeitberufstätiger mit Familie sonst nichts zu tun hätte. Damit stand auch fest, dass meine Schnapsidee mit der Komposition des Klavierstücks aus dem Jahre 1989 nicht allein auf jugendlichen Leichtsinn zurückzuführen gewesen sein konnte, denn als mittlerweile Anfang-Fünfziger kamen mir offenbar immer noch solche Schnapsideen.
Schnell erzeugte Langsamkeit
Na schön. Da die Zeit drängte, verschwendete ich sie gar nicht erst für langatmiges Nachdenken über die Ursachen meiner gelegentlichen Wahnsinnsanfälle und machte mich stattdessen lieber gleich an die Arbeit. In der Zwischenzeit bin ich über meinen Sohn auf das Freeware-Tool „MuseScore” aufmerksam geworden, bei dem es sich um eine vollwertige Notensatz- und Kompositions-Software als Teil eines online-Forums für den Austausch von Partituren handelt. Damit war nicht nur das Aufschreiben der Noten um längen komfortabler als mit dem angestaubten Anvil Studio, sondern auch die von MuseScore erzeugten Klangsimulationen boten endlich einen halbwegs realistischen Eindruck davon, wie sich meine Musik anhören würde, wenn sie von einem Streichquartett gespielt wird. Wer will, kann bei MuseScore sogar Plugins runterladen, welche die gerade bearbeitete Komposition auf die Einhaltung der wesentlichen Satztechnikregeln hin überprüfen (also sowas wie musikalische Spellchecker). Das habe ich mir allerdings bis heute noch nicht gegeben…
Frisch mit modernsten Werkzeugen ausgestattet, legte ich mir auch diesmal wieder die wesentlichen Designvorgaben für mein Stück zurecht, die da in etwa wie folgt lauteten:
- Der Satz sollte traditionsgemäß langsam sein. So ist das üblicherweise beim zweiten Satz einer Sonate.
- Der Satz sollte traditionsgemäß in Dur gesetzt sein — als Kontrast zum ersten Satz in Moll. Dafür bot sich die Paralleltonart C‑Dur zur Tonart a‑Moll des ersten Satzes an.
- Der Satz sollte die traditionelle A‑B-A-Form haben: also einen ersten („A”-)Teil, mit dem charakteristischen Thema, einen zweiten („B”-)Teil mit einem eigenständigen Zwischenspiel und zum Schluss wieder mehr oder weniger den ursprünglichen A‑Teil.
- Der A‑Teil sollte aus einer lyrisch-schwebenden Melodie bestehen, die das strahlende Glück des jahrzehntelangen Zusammenseins mit meiner wundervollen Frau ausdrücken sollte.
- Der B‑Teil sollte den Wechsel in einen dramatischeren Verlauf beinhalten, mit dessen Hilfe eine (glücklicherweise vor vielen Jahren überstandene) lebensbedrohliche und insoweit dramatische Situation für meine wundervolle Frau zum Ausdruck gelangen sollte.
- Die Freude darüber, dass diese Situation überstanden war, sollte dann in der genannten Wiederholung des lyrisch-schwebenden „Glücks”-Themas aus dem A‑Teil ausgedrückt werden.
Da ich die wesentlichen Melodiefragmente für den A‑Teil ja schon im Kopf hatte, war dieser relativ schnell aufgeschrieben. Meine lyrische, in traditioneller achttaktiger Länge gehaltene „Lebensglücks”-Melodie (nachstehend grün dargestellt) sollte dabei wie folgt klingen:
Anschließend sollte sich die Melodie dann dramaturgisch weiterentwickeln (im Folgenden rot dargestellt), bevor der A‑Teil mit einer geeigneten Coda seinen Abschluss findet (im folgenden lila dargestellt). An dieser Passage hatte ich bei meinen Improvisationen der vielen vorangegangenen Jahre immer wieder herumgefeilt, so dass sie zum Zeitpunkt des Niederschreibens bereits ziemlich ausgereift war. Besonders stolz war ich dabei auf die in Pink hervorgehobene Harmoniewendung, zu der ich gleich noch etwas sagen möchte:
Hier also die Besonderheiten der in Pink hervorgehobenen Wendung: die Tonart weschelt hier plötzlich von C‑Dur nach Des-Dur und verschiebt sich damit um einen Halbton nach oben. Das ist insoweit bemerkenswert, als C‑Dur und Des-Dur zu den Tonartenpaaren gehören, die am wenigsten gemeinsame Töne haben und daher harmonisch weitestmöglich voneinander entfernt sind. Der dadurch entstehende Höreffekt ist derjenige einer stark betonten Steigerung des Klangerlebnisses und wird gerne in Songs verwendet, um die Emotionen der Zuhörer aufbrausen zu lassen (siehe zum Beispiel diese Stelle aus dem legendären USA for Africa-Song „We are the World” von 1985).
Das Problem mit so einer Wendung ist allerdings, dass man von dieser maximalen Entfernung aus wieder einen harmonisch glaubwürdigen Weg zurück zur Grundtonart finden muss. In meinem Fall habe ich die Tatsache genutzt, dass Des-Dur auch als sogenannter „Gegenklang” zu f‑Moll fungiert. Die Tonart f‑Moll wiederum kann als sogenannte „vermollte Subdominante” meiner Grundtonart C‑Dur betrachtet werden und steht damit in relativ enger Beziehung zur Grundtonart C‑Dur. Daher habe ich die Melodie entsprechend nach f‑Moll überführt, um mich dem C‑Dur-Dunstkreis aus der Ferne kommend wieder anzunähern. Von f‑Moll läuft die Melodie dann weiter nach c‑Moll (das als „vermollte” Grundtonart C‑Dur betrachtet werden), bevor sie schließlich in in einer von Ennio Morricones „Once Upon the Time in the West” („Spiel mir das Lied vom Tod”) inspirierten Wendung in As-Dur landet, das die Funktion der sogenannte „Paralleltonart” von f‑Moll einnimmt:
Weiter geht es dann über b‑Moll wieder nach f‑Moll zurück, und zwar mit einem Motiv, das mich an eine bestimmte Stelle aus Frederic Chopins Etüde in E‑Dur (Op. 10, No. 3) erinnert (von wo ich mich dann wohl auch unbewusst habe für diese Stelle inspirieren lassen):
Anschließend geht es dann über Es-Dur und g‑Moll nach G‑Dur, womit wir eigentlich schon wieder bei der sogenannten „Dominante” meiner Grundtonart C‑Dur angekommen wären, in der es dann mit einem Motiv weitergeht, das mich auffällig an Disneys „Schneewittchen” erinnert, wobei ich mich — wenn überhaupt — sicher nur höchst unbewusst von dort bedient habe:
Erstaunlich, wie das assoziative Denken hier mal wieder zugeschlagen hat: man hört einen Melodieverlauf und schon ploppt im Hinterkopf eine passende Fortsetzung aus dem Repertoire der vielen Musikstücke auf, die man im Laufe seines Lebens gehört hat.
Sorry übrigens für die musikalische Fachsimpelei von eben, aber was ich eigentlich damit sagen wollte, ist das ich mit den fachsimpelnd beschriebenen Kunstgriffen die Tür zu einer Art „next Level” der Musikschöpfung aufgestoßen hatte, indem ich sehr deutlich über die doch eher konventionelle Harmonisierung meines ersten Satzes hinausgewachsen war. Ähnliches gilt für die polyphone (vielstimmige) Art, in der die zweite Violine die Melodie der ersten umspielt und damit komplementiert (nachstehend in Grün hervorgehoben). Das ist schon deutlich weniger klavier- bzw. gitarrenartiges Denken und damit mein erster echter Schritt in die Denkwelt des Streichquartetts, gleichwohl auch hier gilt, dass die zweite Violine — ähnlich wie bereits im ersten Satz bemerkt — schon wieder unpassender Weise über der ersten spielt und sie damit gelegentlich in den Hintergrund drängt (für den dritten Satz habe ich diese Lektion dann endlich gelernt — aber davon mehr im nächsten Beitrag):
Ich gestehe an dieser Stelle auch durchaus freimütig, dass ich leicht euphorische Schübe erlebt hatte, als das Ganze immer klarere Gestalt annahm und ich meine bisher nur auf dem Klavier improvisierten Fragmente plötzlich in teilweise polyphon ausgearbeiteter Form von einem virtuellen Streichensemble vorgespielt bekam — MuseScore sei Dank! Vielleicht kennt Ihr ja auch diese Momente in denen man so ein verzücktes „YES — wenn’s läuft, dann läuft’s!” im Inneren spürt. Genau solche Moment waren das damals für mich.
B‑Noten
Fein. Der „A‑Teil” meiner geplanten „A‑B-A”-Struktur war also fertig. Das war ja auch eigentlich eher die leichte Übung, denn das hatte ich mir ja bis auf die satztechnischen Feinheiten im Grunde schon alles über die Jahre zusammenimprovisiert. Nun war aber der „B‑Teil” gefragt und damit die viel schwierigere Übung, denn im Gegensatz zum A‑Teil, hatte ich für den B‑Teil bestenfalls grob im Hinterkopf, was er zum Ausdruck bringen soll. Konkrete Motive oder gar Melodien? Fehlanzeige! Jetzt war ich also endgültig im Neuland angekommen.
Was ich wusste, war indessen, dass der B‑Teil mit einem lyrischen Zwischenteil nach Art vieler Mittelsätze aus Mozarts späteren Klavierkonzerten beginnen sollte. Also zum Beispiel wie in der Mitte des zweiten Satzes aus dem 26. Klavierkonzert in D‑Dur (KV 537):
Damit sollte die Stimmungswelt des „Glücksthemas” aus dem A‑Teil zunächst als leichtfüßig fortschreitender, süßlicher Gesang aufgenommen werden, der sich dann aber nach und nach in melancholischere Moll-Tonarten wandeln sollte. Dies wiederum war als Vorbereitung des dramatischeren Teils gedacht, mit dem die oben erwähnte lebensbedrohliche Situation quasi mitten in das fließende Lebensglück hereinbrechen sollte. Natürlich musste das Ganze dabei insofern zu den Proportionen meines zweiten Satzes passen, als es gegenüber dem sehr viel ausladenderen Mozart’schen Vorbild deutlich kompakter, kürzer und einfacher zu sein hatte, um im Verhältnis zum A‑Teil ebenso wie zu den nachfolgenden Elementen des B‑Teils nicht übergewichtig zu werden. Ich fing also an, ein paar Noten in MuseScore hin- und herzuschieben, bis schließlich das Folgende herauskam:
Mit diesem Einstieg in meinen B‑Teil konnte ich gut leben. Zudem war es mir mit Hilfe einer passenden Modulation (A‑Dur als Zwischendominante) gelungen, mich von meiner Grundtonart C‑Dur in meine absolute Lieblingstonart d‑Moll zu bewegen, die zweifellos ein guter Ausgangspunkt für den nun anstehenden dramatischen Teil sein würde („d” wie „dramatisch”?). Dessen Herannahen sollte daher mit weiteren Steigerungen der melodischen und harmonischen Spannung angekündigt werden.
Ich experimentierte also ein wenig mit polyphon angelegten Motiven, die im ersten Schritt über eine Umkehrung der sogenannten „Rameau-Akkorde” mit ihrer schmerzlichen Wirkung in den kontrastreichen Gegenklang B‑Dur meiner aktuellen Bezugstonart d‑Moll führen sollten. Dieselbe Motivfolge wiederholte ich dann zur weiteren Steigerung der Dramatik um vier Stufen nach oben versetzt (also mit g‑Moll als neuer Bezugstonart), bevor ich diese schmerzliche Wendung auf Basis eines neapolitanischen Sextakkords als Einstieg in eine (leicht modifizierte) dritte Wiederholung dieser Motivfolge letztlich in besagtem g‑Moll enden ließ. Das Ganze hörte sich dann wie folgt an:
Tut mir leid, dass ich schon wieder ein wenig fachsimpeln musste, aber ich muss zugeben, dass ich diese Sequenz gerade ob ihrer wohlgeplanten Wirkung als ziemlich gelungen empfand. Ich bin zwar nicht mehr ganz sicher, aber ich glaube, es war just diese Sequenz, die ich im Großraumwagen eines ICEs auf der Rückfahrt von Hamburg (wo ich meine dort studierende Tochter besucht hatte) nach Frankfurt zusammengestückelt hatte. MuseScore auf einem Windows-Tablet machen es möglich!
Nun gut. ich war ich jetzt also von einstmals C‑Dur in g‑Moll angelangt. Das ist durchaus ein weniger selbstverständlicher Harmonieverlauf. Ich blieb damit meinem selbst gestellten Anspruch treu, mich von der eher konventionellen Harmonik des ersten Satzes ein Stück weit zu emanzipieren und damit meinen gestalterischen Horizont zu erweitern. Ganz in diesem Sinne ließ ich den eigentlichen „Dramatik-Teil” daher mit einem weiteren Tonartensprung beginnen — und zwar wiederum um vier Stufen nach oben und damit nach c‑Moll. Für das Hauptmotiv des „Dramatik-Teils” ließ ich mich dabei vom Refrain des Jiddischen Lieds „Papirosn” inspirieren, das in den 1920er Jahren vom belarussischen Künstler Herman Yablokoff geschrieben wurde und nachstehend in einer außerordentlich bewegenden Einspielung des Klezmer-Genies Giora Feidman zu hören ist:
Beginnend mit jenem von „Papirosn” inspirierten Hauptmotiv sollte sich mein „Dramatik-Teil” dann zunächst in eine zunehmend aufwühlende Stimmung entwickeln, die ich mit Hilfe hoher, auf- und absteigender Melodieverläufe in der ersten, begleitet von wogenden Achtelläufen in der zweiten Violine und einer synkopisch versetzten (und damit zusätzliche Unruhe sowie immer wieder kurzfristige Dissonanzen stiftenden) Untermalung in der Bratsche zu erreichen versuchte. Das Ganze ebbte dann nach einem Höhepunkt im achten Takt des Hauptthemas hinsichtlich Tonhöhe und harmonischer Spannung langsam wieder ab und endete schließlich in einem langgezogenen f‑Moll-Akkord — und damit nochmals vier Stufen über dem Einstieg in c‑Moll.
Letztlich kam also folgendes Ergebnis dabei heraus:
Also Leute, ich muss sagen: als dieser (für meine Verhältnisse durchaus komplex angelegte) Teil so langsam in MuseScore Gestalt annahm, spürte ich immer mal wieder eine leichte Gänsehaut beim wiederholten Durchhören des jeweils erreichten Bearbeitungsfortschritts. Meine Absicht, das seinerzeitige einschneidend/dramatische Erlebnis in Musik zu gießen und zudem an dieser Stelle in fundamentalen Kontrast zum lyrischen Glückseligkeitsthema des A‑Teils ebenso wie zum schwebend heiteren Einstieg in den B‑Teil zu setzen, schien mir voll aufgegangen zu sein. Ich für meinen Teil spürte in der Musik jedenfalls sehr deutlich mein ganz persönliches Erleben beider Aspekte: sowohl des gemeinsamen Lebensglücks im A‑Teil bzw. zu Anfang des B‑Teils, als auch der Dramatik des betreffenden Erlebnisses im eben vorgestellten weiteren Verlauf des B‑Teils. Oder anders gesagt: für mich drückte die bisher geschaffene Musik meines zweiten Satzes genau das aus, was sie der Planung nach ausdrücken sollte.
Das mag jetzt banal klingen, nach dem Motto: „Wahnsinn — er wollte was bestimmtes schaffen und stellt jetzt fest, dass er genau das geschaffen hat”. Aber ich erlebte an dieser Stelle zum wiederholten Male (diesmal allerdings deutlich ausgeprägter als je zuvor) dieses eigenartige Staunen über meine eigene Schöpfung. Ich nahm die Musik mit einer überraschten Begeisterung in mich auf, die man eher erwarten würde, wenn ich sie eben zufällig im Radio gehört hätte. Dass ich selbst es sein sollte, der jene Musik gerade erst zusammengefügt hatte, erschien mir dagegen nahezu unbegreiflich — also fast so, als litte ich unter einer, sagen wir, „kreativen” Form von Schizophrenie. Vielleicht war es aber auch einfach eine Ebene meines eigenen Unterbewusstseins, die in meine Musikschöpfung eingeflossen war und mich so wie tongewordene Empfindungen eines vermeintlich Anderen ansprachen, gleichwohl in einer seltsam vertrauten Art und Weise. Anders gesagt: möglicherweise sprach ein tief vergrabener Teil meiner eigenen Persönlichkeit durch diese Art der Musikschöpfung zum ersten Mal seit sehr langer Zeit in aller Deutlichkeit wieder zu mir. Eine bessere Erklärung habe ich jedenfalls nicht für diese einzigartige Bewegtheit, mit der ich meine eigene Musikschöpfung so erlebte, als hätte ein Außenstehender versucht, mir seine ganz persönlichen Empfindungen in Musik zu übermitteln.
Der Weg zurück ins reine Glück
Nun gut. Genug der ausladenden Selbstanalyse. Es war ja noch einiges an Arbeit zu leisten, bevor der zweite Satz als abgeschlossen betrachtet werden konnte. Getreu der Vorgabe das Stück in „A‑B-A”-Form zu gestalten, stand jetzt, nach mehr oder weniger vollendetem „A”- und „B”-Teil folgerichtig die Wiederholung das „A”-Teils an. Da dieser aber nun einmal in C‑Dur gesetzt war, stand ich zunächst vor der Aufgabe, einen geeigneten Weg von f‑Moll (in dem mein „Dramatik”-Teil ja schließlich angekommen war) wieder zurück zu C‑Dur zu finden. Zwar bin ich (wie oben beschrieben) genau diesen Weg im Prinzip schon mal in der zweiten Hälfte meines „A”-Teils gegangen. Dies geschah jedoch in einem völlig anderen Kontext, so dass der dort gefundene Weg einfach nicht zur aktuellen Stelle passte.
Stattdessen experimentierte ich diesmal ein wenig mit den bereits mehrfach genannten verminderten Vierklängen, die sich ziemlich gut als Drehkreuz für den Wechsel zwischen weit voneinander entfernten Tonarten eigenen. Das kommt daher, dass diese Akkorde — wie der Name schon sagt — aus vier Tönen bestehen, die jeweils im Abstand von genau drei Halbtönen aufeinander folgen. Damit besteht ein solcher Vierklang aus lauter identischen Intervallen, so dass alle vier Akkordtöne gleichberechtigt als Grundton herhalten können. Von derartigen Vierklängen gibt es demnach auch nur drei grundsätzlich verschiedene, die dadurch entstehen, dass man einen dieser Vierklänge jeweils als Ganzes um einen Halbton verschiebt. Das kann man genau zweimal machen, bevor man beim dritten Mal wieder beim ersten Vierklang ankommt (genauer gesagt bei dessen sogenannter Umkehrung). Nachfolgend habe ich die drei möglichen Vierklänge mal für eine Klaviatur illustriert:
Zum Tonartwechsel verwendet man diese verminderten Vierklänge jetzt unter anderem so, dass man zunächst von der bestehenden Bezugstonart in einen solchen Vierklang moduliert und von dort dann (vereinfacht gesagt) die Wahl hat, welchen der vier Akkordtöne man als Grundton für die harmonische Fortführung verwenden möchte. Damit gelangt man also auf ebenso elegante wie plausible Weise in relativ weit entfernte Tonarten, ohne dass sich der Übergang abrupt und insofern störend anhört.
In meinem konkreten Fall wählte ich den zweiten der in der obigen Illustration dargestellten verminderten Akkorde als Einstieg in meine Übergangssequenz, da dieser sich immerhin drei Töne mit b‑Moll teilt, welches seinerseits die sogenannte Subdominante zur aktuellen Bezugstonart f‑Moll bildet. Subdominanten haben die Eigenschaft, eine musikalische Spannung zu erzeugen, die sich durch anschließende Rückkehr in deren Bezugstonart auflöst. Folgerichtig führte ich meine Harmonie wieder auf f‑Moll zurück. Anschließend verwendete ich den dritten der oben dargestellten verminderten Akkorde. Das Ganze ergab eine Linie aus absteigenden Halbtönen am jeweiligen Beginn dieser drei Takte und trug so zum organischen Fluss dieser Harmoniefolge bei.
Besagter dritter Akkord aus obiger Illustration teilt sich zudem bereits drei Töne mit dem sogenannten Dominantseptakkord G‑Dur7 zu meiner Zieltonart C‑Dur. Solche Dominantseptakkorde haben die Eigenschaft, eine noch größere Spannung als Subdominanten aufzubauen, die insofern geradezu nach Auflösung in ihre Zieltonart (die sogenannte Tonika) schreit. Folgerichtig setzte ich also den nächsten Takt in meiner Zieltonart C‑Dur, die dann lediglich noch aus rhetorischen Gründen durch eine kurze Kadenz bestätigt werden musste — et voilà. Das Ergebnis all dessen klang dann so (meine verminderten Akkorde sind übrigens jeweils in Grün hervorgehoben):
Ich bitte auch diesmal inständig für die Fachsimpelei um Entschuldigung. Manchmal packt es mich einfach und dann habe ich dieses unbändige Bedürfnis, die Logik zu verstehen, die hinter der Wirkung von Musik steckt.…
Nun war ich also wieder in meiner Grundtonart angekommen und musste eigentlich nichts mehr weiter tun, als meinen A‑Teil gerade wieder an dieser Stelle anzuhängen. Um das Ganze nicht allzu starr wirken zu lassen, peppte ich den A‑Teil für die Wiederholung allerdings noch ein wenig auf. Dazu ergänzte zunächst die zweite Violine in den ersten sechs Takten, in denen sie im ursprünglichen A‑Teil nicht mitgespielt hatte (nachfolgend grün hervorgehoben):
Außerdem variierte ich an einigen Stellen die Viola-Stimme (nachfolgend in Rot hervorgehoben) und ließ die zweite Violine ein Echo auf den Doppelschlag der ersten spielen (nachfolgend in Grün hervorgehoben):
Zum Ende ein Gebet
Und damit war ich eigentlich auch schon fast wieder fertig mit der Wiederholung meines A‑Teils. Allerdings wollte ich das Stück an dieser Stelle nicht einfach analog zur ursprünglichen Version des A‑Teils ausklingen lassen. Das wäre mir eindeutig zu einfallslos und für den Abschluss des Satzes auch irgendwie zu langweilig gewesen. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass an diese Stelle ein kurzes, in Musik gegossenes Gebet hingehörte, mit dem mein inniger Wunsch zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass unser gemeinsames Glück (für welches das Stück ja insgesamt stehen sollte) möglichst auf ewig erhalten bleibe. Das Ganze müsste also eine Art feierlich/hymnischen Charakter bekommen. Außerdem müsste sich der Melodieverlauf erkennbar in hohe Töne hin entwickeln, denn Gebete steigen ja sinnbildlich nach oben hin auf.
Ich experimentierte also — MuseScore sei Dank — mal wieder ein wenig vor mich hin und gelangte dabei zu einem melodischen Verlauf, dessen Anfang zumindest vermutlich vom Refrain aus Naomi Shemers „Al kol ele” („über all dieses”) inspiriert worden zu sein scheint:
Neben der ersten Violine versuchte ich aber diesmal auch, die zweite Violine und die Bratsche nochmals auf deutlich polyphonere Weise in das Geschehen einzubinden. Insgesamt entstand so ein achttaktiger Einschub, in dem die Bratsche überwiegend wogende Klangteppiche erzeugt, während sich die erste Violine um die hymnische Melodik und die Zweite um die musikalischen Höhenflüge kümmert. Das Ganze mündet dann wieder in den ursprünglichen Abschluss des A‑Teils, den ich allerdings noch etwas modifiziert und verlängert hatte, bevor er in einem ruhigen Schlussakkord ausklingt:
Wow! Mein zweiter Satz war mit diesem — wie ich ehrlich finde — anmutigen Finale nun auch beendet und ich gestehe wieder einmal freimütig, dass ich mich an gerade diesem Schlussteil kaum satthören konnte. Wieder einmal entstand dieses eigenartige Gefühl, als würde ich dem Schaffen eines Fremden lauschen und mich an den aufwallenden Emotionen erfreuen, die von dessen Musik transportiert wird. Bis heute habe ich nicht ganz verstanden, welche Funktion diese Distanz zu meinem eigenen Schaffen für mein mentales System hat. Aber es macht mir immer wieder Freude und vielleicht muss man unter diesen Umständen ja auch nun wirklich nicht immer alles akribisch hinterfragen…
Eingezwitschert
Nachdem nun der zweite Satz an sich vollendet war, erinnerte ich mich allerdings noch daran, dass ich in all den Jahren, in denen ich — wie oben erwähnt — immer mal motivische Fragmente des A‑Teils vor mich hin improvisiert hatte, dem Ganzen eine Art Ein- oder vielleicht besser Überleitungsmotiv vorangestellt hatte, um nach dem eher leidenschaftlichen Schluss des ersten Satzes gewissermaßen eine musikalische Überblendung zum romantisch/lyrischen zweiten Satz zu schaffen. Diese sollte irgendwie ein bisschen so klingen wie Vogelgezwitscher während des morgendlichen Erwachens der Natur unter den ersten sanften Sonnenstrahlen. Das klingt jetzt reichlich pathetisch und irgendwie auch ein bisschen überladen. Herausgekommen ist jedenfalls dabei das Folgende:
Und damit war nun auch der gesamte zweite Satz meiner musikalischen Schöpfung abschließend vollendet. In eben dieser Vollendung klang er nun so:
Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: ich erzeugte mir per MuseScore eine MP3-Datei aus dieser Partitur und hörte mir mein Werk immer und immer wieder an — sei es beim Autofahren, abends im Bett oder bisweilen sogar (natürlich in aller überraschungswahrenden Diskretion) mit dem Smartphone zuhause auf dem Klo. Man könnte meinen, ich habe anstatt meiner wundervollen Frau zu einem Gutteil mir selbst ein Stück geschrieben — jedenfalls insoweit, als mich die Emotionen, die ich darin in Musik zu gießen versucht hatte, auf eine sonderbar tiefgreifende Art ansprachen und erreichten. Ob es mir wohl gelingen würde, meine Frau und vielleicht sogar die Geburtstagsgäste damit auf ähnlich intensive Weise emotional zu erreichen?
Es wird ernst
Um das herauszufinden, galt es nun (die Feier war zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch drei Wochen hin) sicherzustellen, dass das Streichquartett die beiden Sätze auch wirklich bis zur Feier aufführungsreif einstudieren würde — idealerweise so, dass ich mich auch noch ein wenig in deren Interpretation des Stücks einbringen können würde. Das Problem dabei: nur die erste Violinistin des mittlerweile unter Vertrag genommenen Streichquartetts war in Frankfurt ansässig. Die drei anderen Quartettmitglieder waren irgendwo im Ruhrgebiet verteilt. Immerhin war ich mit der jungen Dame aus Frankfurt seit Mitte Dezember 2019 regem Kontakt. Dabei hatte sie mir mehrfach versichert, dass die anderen Drei ihre jeweiligen Auszüge separat einstudieren würden und man sich dann am Abend der Darbietung vorab ein paar Stunden zusammensetzen würde, um alles gemeinsam zu proben (sie seien ja schließlich Profis). Dennoch wäre mir deutlich lieber gewesen, die jungen Leute hätten schon einige Wochen vorher mit den gemeinsamen Proben begonnen.
Schließlich war der Abend der Feier gekommen. Ich hatte dafür gesorgt, dass die Musiker im selben Hotel, in dem sich die Räumlichkeiten für die Feier befanden, einen kleines Besprechungszimmer zugewiesen bekamen, in dem sie fernab der Hörweite meiner Frau proben konnten. In den letzten eineinhalb Stunden vor dem offiziellen Beginn der Feier bin ich dann im Hotel aufgeschlagen — vorgeblich um noch bei letzten Vorbereitungen zu helfen. Tatsächlich brannte ich natürlich regelrecht darauf, mich zu den Musikern in den Probenraum begeben zu können. Um die Überraschung für meine Frau damit nicht zu gefährden, konnte ich mir dafür allerdings kaum mehr als eine halbe Stunde ungerechtfertigter Abwesenheit leisten. So stahl ich mich dann also irgendwann unauffällig zu den Proben in einem der oberen Stockwerke.
Was ich dort zu hören bekam, klang indessen alles andere als aufführungsreif. Jedenfalls gemessen am Anspruch der jungen Leute, Profis zu sein. Es gelang mir aber immerhin, dem Vierergespann noch ein paar Hinweise dazu zu übermitteln, wie ich mir die eine oder andere Passage vorgestellt hatte. Letztlich blieb mir allerdings nicht viel mehr als die Hoffnung darauf, dass die jungen Leute das in den verbleibenden paar Stunden bis zu ihrem Auftritt schon irgendwie hinbekommen würden.
Die Feier (übrigens die für uns Allerletzte, die noch in der mittlerweile längst vergessenen Unbeschwertheit der prä-Pandemie-Ära stattfand) begann und nahm ihren vorgesehenen Lauf. Es entwickelte sich ein wirklich toller, feierlich/fröhlicher und ausgelassener Abend mit wundervollen Gästen, delikatem Essen, geschmackvoller Musikauswahl, Tanz und allenthalben guter Laune. Irgendwann nach den Essensgängen war es dann aber soweit: endlich stand meine so lange vorbereitete Überraschung auf dem Programm. Gerade ging eine zutiefst bewegende Gesang- und Musikeinlage zu Ende, die unsere Kinder — ebenfalls als Überraschung für meine Frau — dargeboten hatten. Einer unserer Freunde rief mir direkt danach zu: „wie willst Du das jetzt noch toppen?”. Auch wenn ich mich natürlich absolut nicht im Wettbewerb mit meinen Kindern gesehen hatte, dachte ich dennoch im Stillen: „abwarten — ein bisschen was hätte ich da schon noch zu bieten”.
Während nun die Stühle für das Quartett von den Mitarbeitern der Location aufgestellt wurden, erläuterte ich mit ein paar kurzen einleitenden Worten, was ich da vorbereitet hätte und welche Bedeutung es für meine wundervolle Frau und mich habe. Anschließend betrat das Quartett den Saal und stimmte noch ein letztes Mal die Streichinstrumente. Dann wurde es ganz still.
Musik aus Fleisch und Blut
Was jetzt in meinem Inneren passierte kann ich eigentlich nur als Endorphinfeuerwerk bezeichnen. Die Anfangstöne meines ersten Satzes erklangen mitten in die Stille hinein. Und auf einmal waren es nicht mehr die synthetischen, von einer seelenlosen Rechenmaschine erzeugten Klänge der MuseScore-Software. Nein, es waren vielmehr menschengemachte Töne in Reinkultur. Ich fing plötzlich an zu begreifen, dass das Niederschreiben von Musik nichts anderes ist, als zutiefst menschliche Emotionen in Notensprache zu kodieren, die von anderen Menschen entschlüsselt und wieder in musikalisch aufbereitete Emotionen umgewandelt werden. Ich hatte damit also die vier Musiker dazu gebracht, meine Emotionen zu ihren werden zu lassen — oder besser: ich hatte sie mit meinen in Notenschrift kodifizierten Emotionen zu ihren ganz eigenen Emotionen inspiriert. So lauschte ich meiner Musik und spürte eine für mich bisher unbekannte geradezu spirituelle Verbindung mit den vier jungen Leuten, deren ganze Körpersprache weithin erkennbar zum Ausdruck brachte, dass sie mit meinen Inspirationen buchstäblich in Resonanz geraten waren. Ein für mich wahrhaft unbeschreiblich tiefgreifendes Erlebnis!
Doch genug der blumigen Worte. Warum hört Ihr Euch das nicht einfach selbst mal an? Hier eine live-Aufzeichnung des ersten Satzes, die einer der Gäste mit seinem Smartphone gemacht hat:
Nachdem der erste Satz nun also verklungen und mit lautstarkem Applaus gewürdigt worden war, zwang ich mich, aus meinem Gefühlsrausch wieder in die Realität zurück und leitete mit ein paar Worten den zweiten Satz ein, der ja in gewisser Weise zu seiner Uraufführung gelangen sollte. Außer mir selbst, meinem Synagogenchorleiter-Freund, dem Quartett und meinen Kindern hatte ihn ansonsten noch niemand gehört — geschweige denn live und von Menschen gespielt. So erklang dann nach meinen einleitenden Worten auch schon der zweite Satz mit diesen einzigartig lebendigen Tönen, die nur echte Instrumente zu erzeugen in der Lage sind. Für mich fühlte es sich so an, als würde der ganze Saal in jenen sanften Wellenbewegungen gewiegt, in welche die vier Musiker ihn mit ihren unbeschreiblich anmutigen Klängen versetzt hatten. Unversehens war ich schon wieder ganz weit weg und hatte eher das Gefühl, dass die Realität sich wie ein Film vor meinen Augen abspielte, als dass ich ein Teil ihrer gewesen wäre.
Ein paar Patzer haben sich die jungen Leute dann übrigens doch noch geleistet. So ganz „Profis” waren sie also doch nicht gewesen. Aber was soll’s. Einzig das Große und Ganze zählte und ich selbst war ausnahmsweise restlos zufrieden, mit dem, was ich da geschaffen hatte.
Hier nun also auch der live-Mitschnitt jener Uraufführung zweiten Satzes:
Nachdem die letzten Töne jedenfalls verklungen waren, herrschte einen kurzen Moment lang die absolute Stille und ich war an diesem Punkt in einer vollkommen anderen Sphäre als jeder andere im Saal. Dennoch sah ich, nachdem ich allmählich wieder aus dem Nebel meiner inneren Entrückung in die reale Welt zurückgekehrt war, tatsächlich in dem einen oder anderen Gesicht ein Tränchen der Rührung herunterrinnen. Offenbar hatte ich also nicht nur mich selbst bewegt, sondern durchaus auch unsere Gäste.
Jaja, schon klar: wenn man die letzten Absätze so liest, könnte man schon wieder meinen, es gehe gar nicht mehr um meine Frau, sondern nur noch um mich. Ich hatte ja schon in den vorangegangenen Beiträgen ehrlicherweise zugegeben, dass dieses ganze Vorhaben, eindeutig eine Art Selbsterfahrung-Trip gewesen ist, der am Ende mir selbst mehr gebracht haben dürfte, als jedem anderen auf der Welt. Dennoch: ohne die Inspiration, die mir meine wundervolle Frau und unsere jahrzehntelange Beziehung verliehen hatten, wäre es indessen ganz sicher nicht zu alledem gekommen. So gesehen spielt meine Frau und unsere gemeinsame Beziehung in jedem Fall eine ganz wesentliche Rolle in diesem Selbsterfahrungs-Spektakel.
Apropos: wie hat meine Frau das alles denn nun empfunden? Tja, das kann natürlich letztlich nur sie selbst beantworten. Ich habe jedenfalls mein absolut Bestes dafür gegeben, ihr in Form meiner Musikschöpfung mit all den mir zur Verfügung stehenden Ausdruckmöglichkeiten zu vermitteln, in welch emotionale Höhenflüge sie mich in all den Jahren des gemeinsamen Lebens versetzt hat und es jeden Tag weiterhin tut. Und den Musikern ist es zweifelsohne gelungen, mein Stück mit zauberhaften Tönen zu einer für mich bis dato ungeahnten Lebendigkeit zu erwecken. Ich bin mir absolut sicher, dass meine Frau das ganz tief in ihrem Herzen sehr genau gespürt hat und ich insofern mit meiner auf diese Weise ausgedrückten unendlichen Dankbarkeit für mein durch sie erfahrenes Glück zu ihr durchgedrungen bin.
Epilog
Es war nun also alles so vollbracht, wie ich es mir vorgestellt hatte — in gewisser Weise sogar noch viel schöner. Was blieb jetzt zu tun?
Nun ja, eigentlich wollte ich mein Werk im Anschluss an Feier nochmals in einem professionellen Tonstudio einspielen lassen, um meiner Frau eine möglichst optimale Aufnahme des Stücks als Erinnerung an die Feier überreichen zu können. Erste Kontakte zu entsprechenden Fachleuten hatte ich auch schon geknüpft. Doch dann kam alles anders:
Die Pandemie brach über die Welt hinein und alles stand plötzlich still. Gemeinsame Proben eines Quartetts — geschweige denn gemeinsame Aufzeichnungen — waren aufgrund der Infektionsschutzauflagen tabu und alle waren ohnehin überwiegend damit beschäftigt, ihre Existenz zu sichern, wo doch niemand auch nur ahnen konnte, wohin sich das alles entwickeln würde. An meine Aufnahme war also bis auf Weiteres nicht zu denken. Als Alternativprogramm wandte ich mich daher der Komplettierung meines Werks in Form eines dritten Satzes zu — in der Hoffnung, diesen fertiggestellt zu haben, wenn Proben und Aufnahmen auf engem Raum wieder möglich sein würden.
Von der Entstehung dieses mit großem Abstand komplexesten und ausgereiftesten Satzes meiner „Fantasia” und der letztlich erfolgreichen Aufnahme des Gesamtwerks soll der vierte und letzte Teil meiner hiesigen Beitragsserie handeln.
Stay tuned!
Alles Liebe
Daniel