Vom Zäh­len zur Man­del­brot­men­ge – Teil 5: Kom­ple­xe Zahlen

Hal­lo Ihr Lieben,

unser Erkun­dungs­pfad zur Man­del­brot­men­ge hat uns zuletzt zu den Reel­len Zah­len als (ver­meint­lich) ulti­ma­ti­ves Zah­len­mo­dell für die Abge­schlos­sen­heit aller bis­lang betrach­te­ten Rechen­ar­ten geführt. „Abge­schlos­sen­heit aller bis­lang betrach­te­ten Rechen­ar­ten” soll dabei hei­ßen, dass die Ver­knüp­fung zwei­er reel­ler Zah­len mit Hil­fe der Addi­ti­on, Sub­trak­ti­on, Mul­ti­pli­ka­ti­on oder Divi­si­on, sowie des Poten­zie­rens und Wur­zel­zie­hens uns stets ein Ergeb­nis lie­fert, das selbst wie­der eine reel­le Zahl ist. Aller­dings haben wir die (selbst­ver­ständ­lich gleich bei Euch aus­ge­bro­che­ne) Eupho­rie über das Errei­chen die­ses lang­at­mig erkämpf­ten Ziels dann auch gleich wie­der gehö­rig in Form der Erkennt­nis gedämpft, dass nega­ti­ve Zah­len kei­ne Wur­zeln haben, die in den reel­len Zah­len lie­gen kön­nen. Wir haben dabei auch erklärt, war­um das so ist:

Damit das Ergeb­nis einer Mul­ti­pli­ka­ti­on zwei­er Zah­len nega­tiv ist, muss eine davon nega­tiv und die ande­re posi­tiv sein. Das kann aber schlicht­weg nicht pas­sie­ren, wenn man eine Zahl mit sich selbst mul­ti­pli­ziert, denn dann sind bei­de zu mul­ti­pli­zie­ren­den Zah­len (also zwei­mal die­sel­be Zahl) ent­we­der zur glei­chen Zeit posi­tiv oder zur glei­chen Zeit nega­tiv. Die Wur­zel aus einer Zahl ist aber gera­de jene Zahl, die man mit sich selbst mul­ti­pli­zie­ren muss, um erst­ge­nann­te Zahl zu erhalten:

Wie an obi­ger Dar­stel­lung zu sehen ist, ergibt 3×3 eben­so wie (-3)×(-3) jeweils 9, so dass defi­ni­ti­ons­ge­mäß sowohl die 3 als auch die ‑3 jeweils Wur­zeln von 9 sind. Wel­che Zahl bleibt dann aber übrig, um als Wur­zel aus ‑9 zu fun­gie­ren – also wel­che Zahl soll man mit sich selbst mul­ti­pli­zie­ren, um 9 zu erhal­ten? Jene Zahl müss­te, wie bereits im letz­ten Teil die­ser Bei­trags­se­rie ange­deu­tet, irgend­wie gleich­zei­tig ein­mal mit nega­ti­vem und ein­mal mit posi­ti­vem Zei­chen in der Mul­ti­pli­ka­ti­on erschei­nen. Dann wäre es aber eben gera­de kei­ne Mul­ti­pli­ka­ti­on einer Zahl mit sich selbst.

Vor­stel­lungs­kraft

Wie eben­falls im vori­gen Teil die­ser Bei­trags­se­rie ange­deu­tet, besteht die Lösung dar­in, unse­re Zah­len­welt mal wie­der zu erwei­tern. Der dafür gefun­de­ne Weg ist dabei von der Art des Vor­ge­hens her ein Gemisch aus der Ein­füh­rung der Nega­ti­ven Zah­len und der­je­ni­gen der Ratio­na­len Zah­len. Die Nega­ti­ven Zah­len hat­ten ja sei­ner­zeit (zusam­men mit der Null) unse­re bis dahin bekann­ten Natür­li­chen Zah­len ergänzt, um mit ihnen gemein­sam die Gan­zen Zah­len zu bil­den. Dabei waren wir uns im Zusam­men­hang mit den Nega­ti­ven Zah­len ja doch eigent­lich dar­über einig, dass sie alles ande­re intui­tiv sind, da sie in unse­rer rea­len Erfah­rungs­welt schlicht­weg nicht ent­hal­ten sind. Erin­nert Ihr Euch noch: „Wenn Zwei in einem Raum sind und Fünf her­aus­kom­men, dann müs­sen Drei wie­der hin­ein­ge­hen, damit kei­ner mehr drin ist”. Ein­fach absurd.

Bei den Ratio­na­len Zah­len hat­ten wir hin­ge­gen Paa­re jeweils zwei­er gan­zer Zah­len gebil­det, um die Ergeb­nis­se belie­bi­ger Divi­sio­nen dar­stel­len zu kön­nen. Das war schon viel intui­ti­ver, hat aber deut­lich auf­wän­di­ge­re Rechen­vor­schrif­ten zur Fol­ge gehabt, denen wir ent­spre­chend einen eige­nen klei­nen Bei­trag wid­men mussten.

Um dem Pro­blem mit den Wur­zeln nega­ti­ver Zah­len bei­zu­kom­men, macht man es tra­di­tio­nell erst ein­mal so, wie wir es für die Nega­ti­ven Zah­len gemacht hat­ten: man führt die soge­nann­te „ima­gi­nä­re Ein­heit” – als Zei­chen „i” – ein und legt ein­fach frech und frei fest, dass i×i = ‑1 sei.

Ja aber, was genau ist denn dann die­ses mys­te­riö­se „i” ?

Tja, das ist – wie gesagt – ganz ähn­lich, wie bei den Nega­ti­ven Zah­len. Wir kön­nen uns das nicht wirk­lich vor­stel­len, aber wir kön­nen sehr wohl so tun, als gäbe es die­ses „i” und wir kön­nen – ganz wie bei den Nega­ti­ven Zah­len – klar sagen, wie man mit die­sem „i” rech­net. Eine Vor­stel­lung davon, was „i” wirk­lich ist, benö­ti­gen die Mathe­ma­ti­ker für sowas nicht (was ver­mut­lich einer der Grün­de ist, aus denen die Mathe­ma­ti­ka­ver­sen unter Euch Mathe immer so gehasst haben). Daher nennt man sie ja auch fol­ge­rich­tig ima­gi­nä­re Ein­heit. Wir bil­den uns ein­fach ein, dass es sie gibt, ganz egal, ob man zu begrei­fen in der Lage ist, was sie wirk­lich sein soll, oder nicht.

Ganz schön komplex

Mit die­ser ima­gi­nä­ren Ein­heit aus­ge­stat­tet greift man jetzt auf ein sehr ähn­li­ches Prin­zip zurück, wie wir es bei der Ein­füh­rung der Ratio­na­len Zah­len ange­wandt hat­ten: man bil­det neue Zah­len als Paa­re ein­zel­ner Kom­po­nen­ten, die jeweils den bis­her bekann­ten Zah­len ent­stam­men. Damals war es der Bruch in Form von Zäh­ler und Nen­ner, die jeweils aus den Gan­zen Zah­len stamm­ten, dies­mal ist es eine soge­nann­te kom­ple­xe Zahl, die sich jeweils aus zwei reel­len Zah­len zusam­men­setzt: einem reel­len Anteila“ und einem ima­gi­nä­ren Anteil „b“. Notiert wird das Gan­ze dann so:Dabei ist i besag­te ima­gi­nä­re Ein­heit. Das Ein­zi­ge, was man (vor­läu­fig) ansons­ten zum Rech­nen mit kom­ple­xen Zah­len wis­sen muss, ist die Tat­sa­che, dass i×i bzw. ieben gera­de ‑1 ergibt. Die Men­ge aller (reel­len) Viel­fa­chen der ima­gi­nä­ren Ein­heit wird nahe­lie­gen­der Wie­se als Men­ge der „ima­gi­nä­ren Zah­len” bezeich­net. Jetzt wird auch kla­rer, war­um dem­ge­gen­über die Reel­len Zah­len eben als reell bezeich­net wer­den. Auch wenn näm­lich die im vor­an­ge­gan­ge­nen Teil die­ser Bei­trags­se­rie dis­ku­tier­ten Irra­tio­na­len Zah­len (als Teil der Reel­len Zah­len) letzt­lich eine Art Schat­ten­da­sein im Ver­bor­ge­nen der uner­reich­ba­ren Unend­lich­keit füh­ren, kön­nen wir zumin­dest belie­big genaue ratio­na­le Nähe­run­gen die­ser Zah­len erzeu­gen und mit die­sen rech­nen. Die ima­gi­nä­ren Zah­len ent­zie­hen sich hin­ge­gen jed­we­der Anschau­ung und las­sen sich nicht ein­mal erah­nen. Daher ist es durch­aus gerecht­fer­tigt, die Reel­len Zah­len dem­ge­gen­über eben als reell zu bezeich­nen – selbst wenn sie Zah­len beinhal­ten, die wir aus gutem Grund als „irra­tio­nal” bezeich­nen. Das ist ein biss­chen so wie mit unse­ren ver­bor­ge­nen Ängs­ten: sie kön­nen uns bis­wei­len ziem­lich irra­tio­nal erschei­nen, sind aber den­noch aus­ge­spro­chen reell.

War­um ich jetzt irra­tio­na­le Zah­len mit ver­bor­ge­nen Ängs­ten asso­zi­ie­re? Nutzt doch bit­te die Kom­men­tar­funk­ti­on wei­ter unten, um Euch dies­be­züg­lich als Hob­by­psy­cho­lo­gen zu betätigen.

Mit dem Wis­sen über die Defi­ni­ti­on der ima­gi­nä­ren Ein­heit und über den Auf­bau von kom­ple­xen Zah­len aus­ge­stat­tet, kann man sich (rela­tiv) leicht über­le­gen, dass die Anwen­dung der Grund­re­chen­ar­ten (Addie­ren, Sub­tra­hie­ren, Mul­ti­pli­zie­ren und Divi­die­ren) auf zwei belie­bi­ge kom­ple­xe Zah­len sowie das Poten­zie­ren einer kom­ple­xen Zahl mit einem ganz­zah­li­gen Expo­nen­ten immer Ergeb­nis­se her­vor­bringt, die selbst in den kom­ple­xen Zah­len lie­gen. Wer genau­er wis­sen will, war­um das so ist, für den habe ich dafür eigens einen klei­nen Bei­trag zusam­men­ge­stellt, den Ihr hier fin­den könnt.

Was man in die­sem Bei­trag aber auch ganz gut sehen kann, ist der Umstand, dass wir (=ich) bei den Kom­ple­xen Zah­len zuneh­mend Schwie­rig­kei­ten haben, deren Mecha­nik mit Kuchen­stück­chen, Kügel­chen oder klei­nen blau­en Männ­chen zu ver­an­schau­li­chen. Das liegt vor allem dar­an, dass es in unse­rer Erleb­nis­welt so gut wie nichts gibt, was dem Umgang mit kom­ple­xen Zah­len ent­spricht. Sie spie­len vor allem in der Zah­len­theo­rie und ver­schie­de­nen Berei­chen der Phy­sik eine wich­ti­ge Rol­le, mit denen nor­ma­le Sterb­li­che aber halt eben sel­ten bis nie in Berüh­rung kommen.

Das soll aber nicht hei­ßen, dass es nicht trotz­dem ein wenig anschau­li­cher geht, als das gan­ze, lang­at­mi­ge Zei­chen­ge­schie­be anhand alge­bra­ischer Regeln, wie ich es in mei­nem Bei­trag zum Rech­nen mit kom­ple­xen Zah­len prä­sen­tiert habe.

Punk­te in der Ebene

So, wie reel­le Zah­len sich als kon­ti­nu­ier­li­cher Zah­len­strahl dar­stel­len las­sen, der sich in zwei ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tun­gen bis in die Unend­lich­keit erstreckt, kann man genau das­sel­be auch für die ima­gi­nä­ren Zah­len tun. Sie sind ja nichts ande­res als reel­le Viel­fa­che der ima­gi­nä­ren Ein­heit i und inso­weit eigent­lich kaum mehr als ein wei­ters Sys­tem reel­ler Zah­len. Da nun die Kom­ple­xen Zah­len aber aus je einem reel­len und einem ima­gi­nä­ren Anteil bestehen, kann sich eine kom­ple­xe Zahl dem­nach sowohl ent­lang des reel­len, als auch ent­lang des ima­gi­nä­ren Zah­len­strahls – oder natür­lich gleich­zei­tig ent­lang bei­der Strah­len – bewe­gen. Für so etwas ver­wen­den die Mathe­ma­ti­ker ger­ne ein Koor­di­na­ten­sys­tem, das man sich für die kom­ple­xen Zah­len in etwa so vor­stel­len kann:

Wäh­rend die reel­len Zah­len wei­ter­hin als hori­zon­ta­ler Zah­len­strahl zu sehen sind (hier mit „Re” mar­kiert), kreuzt der ima­gi­nä­re Zah­len­strahl (hier mit „Im” mar­kiert) den reel­len genau im rech­ten Win­kel – also ganz so, wie man es etwa bei Koor­di­na­ten­sys­te­men auf Stadt­plä­nen zum Auf­fin­den von Stra­ßen vor­fin­den wür­de. Der Kreu­zungs­punkt in der Mit­te (der soge­nann­te „Ursprung“) ent­spricht dann der kom­ple­xen Zahl „0+0×i und jede ande­re kom­ple­xe Zahl wird durch einen ein­deu­ti­gen Punkt in der Ebe­ne reprä­sen­tiert, wie nach­ste­hend am Bei­spiel „4+3×i zu sehen ist:

Wir sehen, dass die Zahl „4+3×i also genau jenem Punkt in der Ebe­ne ent­spricht, den man erreicht, wenn man zuerst 4 Ein­hei­ten ent­lang der reel­len Ach­se nach rechts (also in Rich­tung posi­ti­ve reel­le Zah­len) geht und von dort aus dann 3 Ein­hei­ten par­al­lel zur ima­gi­nä­ren Ach­se nach oben (also in Rich­tung posi­ti­ve ima­gi­nä­re Zah­len) geht.

Mit die­sem Kon­zept der soge­nann­ten „kom­ple­xen Ebe­ne“ haben wir einen wich­ti­gen Schritt in Rich­tung Ver­ständ­nis der Man­del­brot­men­ge gemacht. Wie wir noch genau­er sehen wer­den, ist die Man­del­brot­men­ge näm­lich eine Men­ge ganz bestimm­ter kom­ple­xer Zah­len, und ihre welt­be­rühm­ten Visua­li­sie­run­gen dem­nach nichts ande­res als ein Hau­fen ein­ge­färb­ter Punk­te in der kom­ple­xen Ebe­ne. Dar­auf kom­men wir aber – wie gesagt – im nächs­ten Teil die­ser Bei­trags­se­rie noch­mals im Detail zurück.

Pola­ri­sie­ren­de Ansichten

Wenn wir uns die kom­ple­xe Ebe­ne für einen Moment als See­kar­te vor­stel­len, mit deren Hil­fe wir etwa einem Schiffs­ka­pi­tän erläu­tern wol­len, wie er – vom Ursprung aus­ge­hend – zu eben dem Punkt gelangt, der die Zahl „4+3×i reprä­sen­tiert, dann ist die Beschrei­bung der Form „fah­re erst vier Ein­hei­ten in Rich­tung posi­ti­ve reel­le Zah­len, dann drei Ein­hei­ten in Rich­tung posi­ti­ve ima­gi­nä­re Zah­len” nicht gera­de sehr effi­zi­ent. Anstatt den Kapi­tän auf direk­tem Kurs zu unse­rem Punkt fah­ren zu las­sen, schi­cken wir ihn mit der obi­gen Beschrei­bung auf einen erheb­li­chen Umweg.

Viel bes­ser wäre es doch, wenn wir dem Kapi­tän statt­des­sen sagen könn­ten: „Schla­ge einen Kurs ein, der vom Ursprung aus um 36,9° gegen den Uhr­zei­ger­sinn ver­dreht ist (bezo­gen auf die posi­ti­ve reel­le Ach­se) und fah­re dann fünf Ein­hei­ten in die­se Richtung“:

Es ist offen­sicht­lich, dass er auf die­se Wei­se den kür­zes­ten Weg vom Ursprung aus zu unse­rem Punkt „4+3×i” fah­ren wür­de – näm­lich 5 statt 4+3 (also 7) Ein­hei­ten. Die­se Art der Beschrei­bung von kom­ple­xen Zah­len nennt man „Polar­ko­or­di­na­ten“. Eine sol­che Polar­ko­or­di­na­te besteht, wie eben gezeigt, aus einem Win­kel (dem soge­nann­ten „Polar­win­kel“) und einer Län­ge, die man als „Betrag“ der betref­fen­den kom­ple­xen Zahl (in unse­rem Fall „4+3×i) bezeich­net.

Aber wie kommt man eigent­lich von „4+3×i” auf den Polar­win­kel 36,9° und einen Betrag von 5? Let­ze­res lässt sich rela­tiv ein­fach ver­ste­hen, wenn man sich den „umständ­li­chen” Weg – also „vier nach rechts und drei nach oben” – als die bei­den Sei­ten am rech­ten Win­kel eines recht­wink­li­gen Drei­ecks und den Betrag als die Sei­te gegen­über dem rech­ten Win­kel vorstellt:

Dann sagt der berühm­te Pytha­go­räi­sche Lehr­satz, dass das Qua­drat des Betrags der Sum­me der Qua­dra­te der bei­den Sei­ten am rechen Win­kel – also 42+32 bzw. 16+9 und damit 25 – ent­spre­chen muss. Wenn das Qua­drat des Betrags aber 25 ist, dann ist der Betrag gera­de die Wur­zel aus 25, also jene Zahl, die mit sich selbst mul­ti­pli­ziert 25 ergibt und das ist ganz klar die 5 (ja natür­lich, könn­te auch -5 sein, aber las­sen wir es jetzt mal gut sein).

Wie jetzt? Ihr fragt, was noch­mal der Satz des Pytha­go­ras war? Kein Pro­blem: ich habe ihn in einem eige­nen klei­nen Bei­trag erläu­tert – und zwar, wie ich in aller Beschei­den­heit fin­de, recht anschaulich.

Und wie kommt man auf die 36,9°? Nein, nicht mit dem Fie­ber­ther­mo­me­ter. Das Zau­ber­wort heißt in die­sem Fall „Tri­go­no­me­tri­sche Funk­tio­nen“. Die Mathe­ma­ti­ka­ver­sen unter Euch sind jetzt ver­mut­lich ob des blo­ßen Klangs die­ses Wor­tes schon wie­der erschau­dert. Ja genau, das war die Sache mit dem Sinus, dem Kosi­nus und der Erd­nuss und dem Tan­gens. In unse­rem Fall bestimmt sich der Win­kel φ im Wesent­li­chen aus einem Unge­tüm namens „arc­tan(3÷4)“ – der soge­nann­te „Arkus­tan­gens” – ange­wen­det auf das Ver­hält­nis der Gegen­ka­the­te (also der­je­ni­gen Drei­ecks­sei­te, die dem gesuch­ten Win­kel gegen­über­liegt – hier die ima­gi­nä­re Sei­te) zur Anka­the­te (also die­je­ni­ge Drei­ecks­sei­te, die den rech­ten mit dem gesuch­ten Win­kel ver­bin­det – hier die reel­le Sei­te). Wie man den Arkus­tan­gens aus­rech­net? Und war­um der Win­kel sich nur „im Wesent­li­chen” aus dem Arkus­tan­gens bestimmt? Oje, Leu­te. Also wenn mir hier einer wirk­lich einen ernst gemein­ten Kom­men­tar schreibt, in dem er mich auf­for­dert, das anschau­lich zu erklä­ren, wür­de ich den Ver­such wagen. Leicht wird es aller­dings nicht, denn das gehört zu den Berei­chen der Mathe­ma­tik, die wirk­lich in jeder Hin­sicht weit von den übli­chen Kate­go­rien der Anschau­lich­keit ent­fernt sind.

Das mit der kom­ple­xen Ebe­ne und den Polar­ko­or­di­na­ten habe ich ja eigent­lich auch aus einem ganz ande­ren Grun­de hier erklä­ren wol­len. Man kann dar­an näm­lich ziem­lich anschau­lich erläu­tern, dass die Mul­ti­pli­ka­ti­on zwei­er kom­ple­xer Zah­len viel ein­fa­cher zu beschrei­ben ist, als mit den alge­bra­ischen Mit­teln, die ich in mei­nem Bei­trag zum Rech­nen mit kom­ple­xen Zah­len vor­ge­stellt habe. Um dies ver­ständ­lich zu machen, habe ich wie­der­um in einem eige­nen klei­nen Bei­trag mit geo­me­tri­schen Argu­men­ten her­ge­lei­tet, dass man zur Mul­ti­pli­ka­ti­on zwei­er kom­ple­xer Zah­len ledig­lich deren Beträ­ge mul­ti­pli­zie­ren und deren Polar­win­kel addie­ren muss. Soll hei­ßen, wenn ich zwei kom­ple­xe Zah­len a und b habe, dann berech­ne ich den Betrag x und den Polar­win­kel φ von a sowie den Betrag y und den Polar­win­kel ψ von b und erhal­te dann den Betrag des Pro­dukts a×b mit x×y und den Polar­win­kel des Pro­dukts mit φ+ψ.

Zurück zur Wurzel

Alles klar, Alter. Win­kel als grie­chi­sche Buch­sta­ben, die ich nicht ein­mal aus­spre­chen kann und abs­trak­te Zah­len­bei­spie­le mit „a“ und „b“ und so – das soll anschau­lich sein?

Ja, ich weiß. Wir sind hier in der Tat ein einem Bereich der Mathe­ma­tik ange­langt, der ein gewis­ses Abs­trak­ti­ons­ver­mö­gen vor­aus­setzt. Es ist also durch­aus zu befürch­ten, dass nicht jeder von Euch den jüngs­ten Aus­füh­run­gen im Detail fol­gen konn­te. Aber das ist auch nicht wirk­lich ent­schei­dend. Wich­tig ist letzt­lich nur, die Erkennt­nis zu akzep­tie­ren, dass man kom­ple­xe Zah­len mul­ti­pli­ziert, indem man ihre Beträ­ge mul­ti­pli­ziert und ihre Polar­win­kel addiert. Denn dann weiß man auch, wie man die Wur­zel aus einer kom­ple­xen Zahl zieht – und genau dar­auf will ich mit alle­dem hinaus:

Neh­men wir dazu unser frü­he­res Bei­spiel „4+3×i. Wir hat­ten oben gezeigt, war­um ihr Betrag 5 sein muss und jeden­falls behaup­tet, dass ihr Polar­win­kel 36,9° sein muss. Die Wur­zel aus die­ser Zahl muss damit einen Betrag haben, der mit sich selbst mul­ti­pli­ziert 5 ergibt, wäh­rend ihr Polar­win­kel zu sich selbst addiert 36,9° erge­ben muss. Das ist so, weil wir ja gera­de gelernt haben, dass man eine kom­ple­xe Zahl mit sich selbst mul­ti­pli­ziert, indem man ihren Betrag mit sich selbst mul­ti­pli­ziert und ihren Polar­win­kel zu sich selbst addiert. Der Betrag unse­rer kom­ple­xen Wur­zel muss damit also gera­de die Wur­zel aus 5 sein, denn die­se mit sich selbst mul­ti­pli­ziert ergibt ja gera­de per defi­ni­tio­nem 5. Der Polar­win­kel unse­rer Wur­zel muss hin­ge­gen die Hälf­te von 36,9° sein, denn addiert man die­se Hälf­te zu sich selbst, erhält man wie­der ihr Dop­pel­tes und damit gera­de wie­der unse­re 36,9°. So ein­fach zieht man Wur­zeln aus kom­ple­xen Zah­len: Wur­zel aus dem Betrag zie­hen und Polar­win­kel hal­bie­ren. Fer­tig. Wer Lust hat, kann sich ja mal über­le­gen, was dem­nach die Wur­zel aus i (also 0+1×i) ist…

Vor allem aber woll­te ich damit ver­deut­li­chen, dass die Wur­zel aus einer kom­ple­xen Zahl wie­der­um selbst eine kom­ple­xe Zahl ist, denn auch sie hat einen ein­deu­tig bestimm­ten reel­len Betrag und einen ein­deu­tig bestimm­ten Polar­win­kel. Auch das Wur­zel­zie­hen aus belie­bi­gen kom­ple­xen Zah­len ist daher ein Vor­gang, der uns nicht aus den Kom­ple­xen Zah­len hin­aus­führt, womit wir end­lich am Ziel unse­rer zah­len­theo­re­ti­schen Vor­re­de zum Ver­ständ­nis der Man­del­brot­men­ge ange­langt sind.

Fazit

In die­sem Bei­trag haben wir die Kom­ple­xen Zah­len ken­nen­ge­lernt, mit deren Hil­fe gegen­über den Reel­len Zah­len erreicht wer­den konn­te, dass auch nega­ti­ve Zah­len Wur­zeln haben, die inner­halb unse­rer bekann­ten Zah­len­welt blei­ben. Die dafür ein­ge­führ­te ima­gi­nä­re Ein­heit ent­behrt zwar jed­we­der Anschau­ung, aber das Rech­nen mit ihr ist im Grun­de sehr simpel.

Ken­nen­ge­lernt haben wir aber auch die kom­ple­xe Ebe­ne als zwei­di­men­sio­na­le Struk­tur, in der man sich mit Hil­fe eines Koor­di­na­ten­sys­tems – bestehend aus einer reel­len Ach­se und einer dazu recht­wink­lig ange­ord­ne­ten ima­gi­nä­ren Ach­se – ori­en­tie­ren kann. Jeder kom­ple­xen Zahl ist damit ein ein­deu­tig bestimm­ter Punkt in die­ser Ebe­ne zuge­ord­net, des­sen Koor­di­na­ten sich aus dem reel­len und dem ima­gi­nä­ren Teil der betrach­te­ten kom­ple­xen Zahl bestim­men. Außer­dem haben wir Polar­ko­or­di­na­ten ken­nen­ge­lernt, mit denen das Mul­ti­pli­zie­ren und Wur­zel­zie­hen für kom­ple­xe Zah­len erheb­lich ein­fa­cher erklärt wer­den kann.

Die kom­ple­xe Ebe­ne mit all ihren Punk­ten, die jeweils für eine ein­deu­tig bestimm­te kom­ple­xe Zahl ste­hen, ist das eigent­li­che Ziel der lan­gen zah­len­theo­re­ti­schen Vor­re­de, die wir auf unse­rem Erkun­dungs­pfad zur Man­del­brot­men­ge über uns haben erge­hen las­sen müs­sen. Dazu mehr im nächs­ten Teil die­ser Bei­trags­se­rie, bei der es dann end­lich um die Man­del­brot­men­ge selbst gehen wird.

Sind die kom­ple­xen Zah­len jetzt eigent­lich in jeder Hin­sicht ein Fort­schritt gegen­über den Reel­len Zah­len? Nein, sind sie nicht. Ers­tens ist das Rech­nen mit kom­ple­xen Zah­len deut­lich umständ­li­cher als das­je­ni­ge mit den Reel­len Zah­len. Das soll­te in die­sem Bei­trag mehr als deut­lich gewor­den sein. Ein wei­te­rer gra­vie­ren­der Nach­teil der Kom­ple­xen Zah­len gegen­über den Reel­len Zah­len ist der Ver­lust der Ord­nung. Für je zwei unglei­che reel­le Zah­len kann man immer ein­deu­tig ent­schei­den, wel­che von bei­den die klei­ne­re und wel­che die grö­ße­re ist. Bei kom­ple­xen Zah­len ist das nicht so. Betrach­ten wir dazu mal die bei­den Zah­len 2+1×i und 1+2×i. Es sind offen­bar ver­schie­de­ne Zah­len, aber wel­che ist denn jetzt die Klei­ne­re und wel­che die Grö­ße­re? Bei der Ers­ten ist der reel­le Anteil grö­ßer als bei der Zwei­ten, aber mit dem ima­gi­nä­ren Anteil ver­hält es sich genau umge­kehrt. Ins­ge­samt erkauft man sich also die Vor­tei­le der Kom­ple­xen Zah­len gegen­über den Reel­len Zah­len mit erheb­li­chen Nach­tei­len. Das ist einer der vie­len Grün­de dafür, dass wir in der Schu­le (und erst recht im All­tag) eigent­lich nie über die Reel­len Zah­len hinausgehen.

Die Men­ge der Kom­ple­xen Zah­len wird übri­gens mit dem Zei­chen „\mathbb{C}“ abge­kürzt.

Auf die Idee mit der ima­gi­nä­ren Ein­heit ist man ver­mut­lich im 16. Jahr­hun­dert in Ita­li­en gekom­men und der Begriff „ima­gi­nä­re Ein­heit” wur­de im Jah­re 1637 von nie­man­dem Gerin­ge­res als René Des­car­tes  geprägt. Das Kon­zept der kom­ple­xen Ebe­ne wie­der­um wur­de erst­ma­lig 1799 vom dänisch-nor­we­gi­schen Mathe­ma­ti­ker Cas­par Wes­sel beschrieben.

Im Gro­ßen und Gan­zen han­delt es sich bei den Kom­ple­xen Zah­len dem­nach um ein his­to­risch gese­hen ver­gleichs­wei­se moder­nes mathe­ma­ti­sches Kon­zept. Nicht alles, was ich hier zum Bes­ten gebe, ist also unbe­dingt antik und angestaubt…

Die Man­del­brot­men­ge ist es jeden­falls ganz sicher nicht. Sie stammt aus dem spä­ten zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert und ist damit ein Kind des Com­pu­ter­zeit­al­ters. Doch davon – wie gesagt – erzäh­le ich dann im nächs­ten Bei­trag.

Alles Lie­be

Dani­el

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